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Den Eröffnungstermin eines Flughafens würde Munich Re-Chef Bomhard nicht versichern.

© Doris Spiekermann-Klaas

Munich Re-Chef Bomhard: "Der Mensch ist der größte Risikofaktor"

Nikolaus von Bomhard ist Chef des weltweit größten Rückversicherers Munich Re. Mit dem Tagesspiegel spricht er über Stürme, Niedrigzinsen - und den künftigen Großflughafen BER.

Herr von Bomhard, Ihr Geschäft ist es, Risiken einzuschätzen. Wie hoch ist Ihre Trefferquote?

(lacht) Seit 133 Jahren offensichtlich groß genug, um die Aktionäre bei der Stange zu halten. Aber auch wir liegen manchmal falsch – das passiert vor allem bei sogenannten Pilotrisiken, also bislang nicht versicherten Risiken, deren Einschätzung entsprechend unsicher ist.

Was ist denn aus Ihrer Sicht derzeit der größere Risikofaktor: Mario Draghi, der als Chef der Europäischen Zentralbank die Zinsen in Europa klein hält, oder die Stürme, die derzeit die Welt verwüsten?

Ganz generell der Mensch – bei uns im Unternehmen, im Kapitalmarkt, wo Menschen agieren und natürlich auch in der Politik, wo die Rahmenbedingungen gesetzt werden. Der Mensch ist der größte Risikofaktor.

Schlimmer als Fluten, Hagel und der Taifun auf den Philippinen? Wie war 2013 für Sie?

Für viele Menschen war 2013 mit großem Elend und Leid verbunden, vor allem jetzt auf den Philippinen. Für uns Versicherer war es dagegen ein normales Jahr. Das klingt jetzt zynisch, aber Sie fragten ja nach unseren Zahlen. Wir liegen bislang im Rahmen unserer Budgets, weil die ganz großen Naturkatastrophenschäden ausgeblieben sind, wir also weder für verheerende Hurrikans noch für Erdbeben zu zahlen hatten. Das kann aber 2014 schon wieder anders sein.

Gibt es Regionen, die Sie nicht versichern?

Wir gehen nur in Länder, die ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit gewährleisten. Und wir müssen natürlich auch den Preis und die Bedingungen vereinbaren können, die wir für die Versicherung brauchen.

Ob Erdbeben drohen oder Stürme, ist Ihnen eher egal?

Wir können fast jede Gefahr versichern oder rückversichern. Aber wenn ein Schaden quasi sicher eintritt, also wenn etwa ein Flussdelta jedes Jahr überschwemmt wird, dann macht Versicherung keinen Sinn – auch nicht für den Versicherungsnehmer, denn dann wäre die jährliche Prämie sogar höher als der Wert des Hauses. Man muss ja auch noch die Verwaltungskosten der Versicherung einbeziehen. In diesen Fällen mag eine Pflichtversicherung helfen, die auch derjenige abschließen muss, der nicht am Fluss, sondern auf dem Berg wohnt. Das ist eine politische Entscheidung, die übrigens oft zu geringeren Anstrengungen bei der Schadenprävention führt. In bestimmten Entwicklungs- und Schwellenländern kann eine solche Pflichtversicherung aber sinnvoll sein.

Und in Deutschland?

Eine Pflichtversicherung brauchen wir in Deutschland nicht. Über 30 Prozent der Gebäude sind bereits gegen Elementarschäden versichert. Aber die Politik muss dann auch konsequent handeln. Wenn jemand auf preiswertem Grund nahe am Fluss baut und keine Versicherung kauft, dann darf der Staat später, wenn die Flut kommt, auch nicht den Schaden tragen.

Müssen wir uns darauf einstellen, dass jetzt jeden Sommer tennisballgroße Hagelkörner vom Himmel fallen?

Ob es zukünftig mehr solcher Ereignisse geben wird, kann man bislang nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber die Intensität dieser Einzelereignisse nimmt absehbar zu. So fallen Starkregen und Überschwemmungen heftiger aus. Präventionsmaßnahmen und deren überregionale Koordination werden deshalb immer wichtiger. Das haben wir bei der letzten Flut gesehen. Wenn flussaufwärts Schutzmaßnahmen getroffen sind, dann trifft es den, der flussabwärts nichts getan hat, doppelt.

Wo gibt es für Sie sonst noch Grenzen? Würden Sie auch Großprojekte wie den Flughafen BER gegen Kostenexplosionen oder Bauverzögerungen versichern?

Es gibt hier ja schon einschlägige Versicherungen. Bei Planungsfehlern etwa würde etwa die Architektenhaftpflicht zahlen, für Lieferverzögerungen als Folge eines Brandes beispielsweise Versicherungen gegen Rückwirkungsschäden. Aber einem Unternehmer das Risiko seiner eigenen Planungen abnehmen, das geht nicht.

Aber bei öffentlichen Großprojekten liegen die Probleme doch anders.

Es gibt Kautionsversicherungen, die dann zugunsten des Auftraggebers einspringen, wenn eine Baufirma ihre Verpflichtungen nicht erfüllen kann. Renommierten Bauunternehmen bieten wir auch Versicherungslösungen für Vertragsstrafen an, die bei bestimmten Bauverzögerungen fällig werden können. Aber einen Flughafenbau dahingehend zu versichern, dass er zu einem bestimmten Termin fertig wird, das machen wir nicht. Das komplette unternehmerische Risiko können und wollen wir nicht übernehmen, das ist nicht versicherbar.

Wie sich Fracking und Ökoimage vertragen

Scheuen Sie Risiken?

Im Gegenteil. Wo immer möglich, schieben wir die Grenzen der Versicherbarkeit hinaus. Nehmen Sie zum Beispiel die Performance von Solarpanels oder den Erfolg von Geothermiebohrungen – also dass das Wasser, nach dem man bohrt, eine bestimmte Temperatur erreicht. Überall dort, wo wir unser Risikowissen anwenden können, bieten wir Deckungen. Besonders gern dort, wo unsere Lösungen einen Beitrag leisten können, die globale Erwärmung einzudämmen.

Würden Sie auch Fracking-Bohrungen versichern?

Ja, das machen wir in den USA schon seit Jahren.

Wie verträgt sich das mit Ihrem Öko-Image?

Wir versichern doch auch Ölbohrungen, warum dann nicht Fracking? In den USA wird das tausendfach gemacht. Es gibt zweifelsohne Risiken beim Fracking, aber man darf die Technologie nicht pauschal verteufeln. Ich bin mir sicher, dass wir in Deutschland das Fracking verantwortungsbewusst betreiben würden. Wir haben gute Ingenieure. Am Ende aber entscheidet der Gesetzgeber, welche Form der Energiegewinnung zugelassen wird. Das setzt voraus, dass sich die Politik ergebnisoffen damit befasst. Daran fehlt es derzeit in Deutschland.

Wie sehen Sie die Pläne von Union und SPD, die Energiewende zurückzufahren?

Ich glaube, dass die Energiewende in Deutschland gelingen kann, sie muss nur besser organisiert werden. Als Versicherer sind wir bereit, mehr als bislang in diesen Bereich zu investieren. Aber dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und vernünftige aufsichtsrechtliche Regelungen. Es ist unsinnig, wenn wir für europäische Staatsanleihen derzeit kein Risikokapital vorhalten müssen, und Investitionen in Energieprojekte behandelt werden wie Aktien und deshalb viel Risikokapital erfordern.

Staatsanleihen bringen so gut wie nichts. Und nun droht die EZB auch noch mit Negativ- also Strafzinsen, wenn man sein Geld anlegt.

Wir haben am kurzen Ende der Zinsen ja heute schon negative Realzinsen. Das ist für jeden Investor eine Herausforderung, für Sparer und Gläubiger ein Problem. So gesehen macht es keinen so großen Unterschied mehr, ob eine Bank bei der EZB, wenn sie dort Geld einlegt, keine Zinsen bekommt oder sogar ein bisschen bezahlen muss. Ich denke, bei diesem Schritt zählt vor allem der Symbolcharakter. So oder so ist klar, wer heute spart und nicht in sehr lang laufende Zinsprodukte geht, verliert. Das trifft alle und bedeutet, dass hochverschuldete Staaten ihre Probleme auch auf Kosten der Sparer lösen.

Aber die Niedrigzinspolitik löst doch keine Probleme, die EZB erkauft den Staaten nur Zeit.

Das Finanzsystem ist nach wie vor fragil. Deshalb ist es so wichtig, dass die Euro-Länder Reformen auch wirklich anpacken. Dank einschneidender Maßnahmen steigt in Irland, Spanien, Griechenland und Portugal die Wettbewerbsfähigkeit wieder, aber in Italien und Frankreich ist noch viel zu wenig passiert. Und das sind sehr wichtige Volkswirtschaften für die Euro-Zone. Wenn diese zwei Länder nicht glaubhaft Reformschritte auf- und umsetzen, dann wird das Vertrauen im Kapitalmarkt irgendwann, und dann sehr heftig, wegbrechen und diese beiden Länder bekommen ernste Probleme, ihre hohe Schuldenlast zu bedienen.

Glauben Sie, dass Versicherer durch die Niedrigzinsphase und die neuen Aufsichtsregeln in Gefahr sind?

Konkret ausschließen kann ich das für Munich Re einschließlich Ergo. In der Lebensversicherung hat Ergo bereits vor zwei Jahren die Konzeption einer ganz neuen Produktgeneration aufgenommen, die seit diesem Sommer erfolgreich verkauft wird. Damit reagieren wir bei den Produkten auf die Niedrigzinsphase. Aber auch bei der Kapitalanlage haben wir uns schon frühzeitig, das heißt seit 2005, mit dem Einkauf von Derivaten zur Absicherung des Wiederanlagezinses auf die Niedrigzinsen eingestellt. Was den Lebensversicherungsmarkt insgesamt anbelangt, so habe ich natürlich keinen Einblick in die Bücher der Wettbewerber. Sicher ist es richtig, dass eine anhaltende Niedrigzinsphase langfristig zu Problemen bei einzelnen Unternehmen führen kann. Aber es gibt eine ganze Reihe von Stellschrauben, an denen Aufsicht und Politik drehen können, um den Lebensversicherungsunternehmen mehr Handlungsspielraum zu geben, wobei die Interessen der Versichertengemeinschaft selbstverständlich im Fokus stehen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist das Thema adressiert, das begrüße ich sehr.

Anleger flüchten wegen der niedrigen Zinsen in Immobilien und Aktien. Droht eine neue Blase?

Ich glaube nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis unserer Aktie. Wir haben einen Börsenwert von knapp 29 Milliarden Euro und werden dieses Jahr wohl circa drei Milliarden Euro Gewinn erzielen, wenn nicht noch etwas ganz Unerwartetes passiert. Ein solches Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 10:1 ist gerade auch im Quervergleich, beispielsweise zu den USA, nicht übertrieben. Ich kann derzeit auch nicht sehen, dass der Dax insgesamt überwertet ist. Auch bei Immobilien sind die Preise in einigen Städten zwar spürbar gestiegen, aber der Immobilienmarkt ist in Deutschland nicht so volatil wie in anderen Ländern, etwa in England. Ich glaube deshalb nicht, dass der deutsche Immobilienmarkt irgendwann ins Bodenlose stürzt.

Sie wollen für eine Milliarde Euro eigene Aktien zurückkaufen – weil Ihnen nichts Besseres einfällt?

Wir haben ein Renditeniveau erreicht, das uns die Verwendungsmöglichkeiten für unser Kapital kritisch prüfen lässt. In riskante Kapitalanlagen zu investieren, ist unsere Sache nicht. Dazu braucht uns auch kein Aktionär, das kann er selber. Unser Fokus liegt auf dem Versicherungsgeschäft. Aber auch nach dem Aktienrückkauf bleibt uns jedenfalls genügend Handlungsspielraum zur Finanzierung von profitablem Wachstum. Unsere Aktionäre begrüßen im übrigen die Rückgabe von Kapital, das wir nicht benötigen. Auch unser Großaktionär Warren Buffett.

Haben Sie den vorher gefragt?

Nein und das muss ich auch nicht, denn ich weiß, wie Warren Buffett hierzu denkt.

Das Interview führte Heike Jahberg

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