zum Hauptinhalt
Susanne Schmidt mit ihren Eltern: Altkanzler Helmut Schmidt und die 2010 verstorbene Loki Schmidt.

© picture-alliance/ dpa

Ökonomin Susanne Schmidt: „Die Banken müssen schrumpfen“

Die Ökonomin Susanne Schmidt sieht in der aktuellen Schuldenkrise die Fortsetzung der Bankenkrise von 2008/2009. Mit dem Tagesspiegel spricht die Tochter von Altbundeskanzler Helmut Schmidt über unbelehrbare Banker, das Wagnis der EZB und die Renditejagd der Anleger.

Frau Schmidt, liegt das Gröbste der europäischen Schuldenkrise hinter uns?

Mir scheint, in den vergangenen Wochen hat sich die Lage tatsächlich ein wenig beruhigt.

Vor einem Jahr sagten sie im Tagesspiegel- Interview: „Was bisher passiert ist, ist Pitzelkram.“ Heute sind Sie optimistischer?

Ich will nichts beschreien und klopfe auf Holz. Aber die Finanzmärkte haben honoriert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt hat, Anleihen der Schuldenländer kaufen zu wollen. Mir scheint auch, dass die Bundesregierung ihre harsche Haltung gegenüber Griechenland abgelegt hat und deutlich konzilianter geworden ist. Und es hat sich herumgesprochen, dass man die verschuldeten Länder nicht kaputtsparen darf, sondern auch für Wachstum sorgen muss. Das alles lässt mich hoffen, dass sich etwas bewegt.

Die Bundesregierung will offenkundig verhindern, dass Griechenland im Wahljahr 2013 aus dem Euro fällt.

Die Regierung macht – wie alle Regierungen – einen Spagat zwischen Europapolitik und Wahlkampf. Das ist keine leichte Übung. Versäumt wird dabei leider, den Menschen verständlich zu erklären, was und warum man etwas in Europa tut. In diese Lücke sind die Populisten gesprungen – übrigens auch in den Medien.

Vielleicht wusste die Politik selbst nicht immer, was sie tat und warum.

Möglich ist das, man hat die Komplexität der Situation möglicherweise unterschätzt. Mit dem Fiskalpakt und dem ESM hat man nun aber geeignete Instrumente in der Hand. Es fehlen noch die Wachstumsimpulse. All das muss ja auch politisch durchgesetzt werden.

Die EZB hat es da leichter, sie muss keine politischen Mehrheiten gewinnen.

Das Vorgehen der Notenbank ist ein Notnagel. Keine ihrer unorthodoxen Maßnahmen kann einen wirklich glücklich machen. Aber gibt es Alternativen? Sie musste diesen Weg gehen, um die Märkte zu beruhigen. Dennoch sollten diese Maßnahmen temporär bleiben. Die Gefahr besteht, dass sich die Politik zurücklehnt und sagt: Die EZB wird es schon richten.

Sollte man den Griechen mehr Zeit für die Sanierung geben?

Ja, das wäre sicher sinnvoll. Das Land kaputtzusparen, hilft weder Griechenland selbst, noch hilft es den Kreditgebern, noch senkt es die Schuldenquote. Strecken wir die Rettungsfazilitäten und vermindern wir vorübergehend die Zinszahlungen, dann hat das Land eine Chance, seinen Haushalt aus eigener Kraft ins Lot zu bringen – und wieder in Bildung, Infrastruktur, IT zu investieren. Die EU sollte zusätzlich ihre noch nicht ausgezahlten Gemeinschaftsfördertöpfe umwidmen und zur Verfügung stellen. Es sollte jetzt ein Zeichen gesetzt werden. Zum Beispiel beim Thema Jugendarbeitslosigkeit. Da würde nicht nur der Kopf, sondern auch das Gefühl angesprochen. Das wäre ein Signal. Sonst gerät der soziale Zusammenhalt in Gefahr.

Wäre ein zweiter Schuldenschnitt sinnvoll – diesmal mit Beteiligung öffentlicher Gläubiger?

Nein, das halte ich nicht für den richtigen Schritt. Damit würde man die eben geschaffenen Rettungsschirme gleich wieder abschreiben. Und es würde den Druck nehmen. Es wäre auch das falsche Signal, weil es jene bestätigen würde, die immer schon gesagt haben: Unser Geld ist hops, das hätten wir gar nicht erst auszahlen sollen.

Bundesfinanzminister Schäuble hat vorgeschlagen, ein „EU-Sparkommissar“ solle nationale Haushalte zurückweisen können, die sich nicht an vereinbarte Regeln halten. Ein guter Vorschlag?

Die Krise zeigt, dass es ein demokratisches Defizit in Europa gibt. Dass nun einige Länder im Kern der Euro-Zone Souveränitätsrechte abgeben wollen, um den Wirtschafts- und Währungsraum enger zu verzahnen, ist richtig. Aber die Bevölkerung ist in vielen Ländern genau in die andere Richtung unterwegs. Die Stimmung kippt. Viele haben resigniert. Sie sagen: Ich verstehe das alles nicht mehr – die wollen am Ende nur an meinen Geldbeutel. Umso nötiger wäre es, dass die Politik besser erklärt, was sie tut. Das kann ja wohl so schwierig nicht sein, die Bürger mitzunehmen. Und wenn Frau Merkel oder Herr Hollande keine Zeit dazu haben, weil sie regieren und retten müssen, dann muss eben die zweite Garde antreten.

Bekommt die Politik diese Chance noch einmal – oder hat sie im Wettbewerb mit „den Märkten“ verloren?

Es ist nicht einzusehen, warum sich die Politik nicht mehr durchsetzen sollte. Aber sie muss Mut, sie muss Rückgrat haben und Stehvermögen. Das wird ihr nicht unbedingt immer Wählerstimmen bringen.

Die Umfragewerte für Frau Merkel sind stabil, den Deutschen geht es wirtschaftlich vergleichsweise gut…

Stimmt. In Deutschland fehlt das Bewusstsein, wie haarig die ökonomische Situation für viele Menschen in den Krisenländern ist. Aber Deutschland ist nicht die Insel der Seligen. Wenn man in Europa keinen Wachstumskurs einschlägt, sondern in eine Abwärtsspirale des Sparens gerät, dann werden die Absatzmärkte außerhalb Europas den Einbruch nicht mehr kompensieren können.

Glauben Sie auch, wie Arbeitgeberpräsident Hundt, dass wir es mit den Folgen eines „krassen Staatsversagens“ zu tun haben?

Nein. Die Situation, in der wir uns befinden, ist die direkte Folge der Finanz- und Bankenkrise von 2008/2009. Das heißt nicht, dass die Regierenden keine erhebliche Mitschuld tragen. Aber allein den Staat für die Krise dingfest machen zu wollen, ist zu einfach.

Die Banken machen weiter wie vor der Krise.

Inwiefern erleben wir Teil II der Finanzkrise?

Im Selbstverständnis der Banken und an ihren Geschäftsmodellen hat sich nichts verändert seit dem offiziellen Ausbruch der Finanzkrise 2007. Man hat hier und da nachgebessert, man hat ein paar Investmentbanker entlassen und den Geschäften etwas mehr Eigenkapital unterlegt. Aber die generelle Haltung der Banker ist: Wir erleben gerade eine konjunkturelle und finanzmarktmäßige Durststrecke – und danach machen wir weiter wie vorher.

Eine europäische Bankenaufsicht ist in Arbeit, strengere Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften soll es geben, die Vergütungssysteme werden umgestellt…

Warten wir es erst einmal ab. Die Bankenlobby wird noch vieles, was die Regulierer planen, verwässern und verhindern. Schon jetzt werden in Großbritannien und im Euro-Raum Vorhaben in die Zukunft verschoben, mit Rücksicht auf die konjunkturelle Lage, drohende Kreditklemmen und die ach so armen Banken. Dabei brauchen wir dringend eine europäische Bankenaufsicht, die – anders als die nationalen Aufsichten – mutig genug ist, Banken auch abzuwickeln.

Was halten Sie von Peer Steinbrücks Vorschlag, große Institute wie die Deutsche Bank in Investment- und Geschäftsbanken aufzuspalten?

Ich halte das für richtig. Die Superbanken sind immer noch viel zu groß. Gingen sie pleite, ginge das ganze System den Bach runter. Dieses Risiko müssen wir in Zukunft minimieren. Die Aufspaltung ist aber nur ein Teil des Weges. Die Banken müssen auch sonst schrumpfen. Das wuchernde Geschäft mit Derivaten muss steuerlich so unattraktiv gemacht werden, dass es automatisch kleiner wird. Und es muss mehr Eigenkapital eingesetzt werden – das macht die Institute robuster und vermindert das Risiko, dass der Steuerzahler wieder einspringen muss.

War es ein Fehler, dass die EZB die Banken mit gigantischen Liquiditätshilfen und extrem günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten am Leben erhalten hat?

Wenn die EZB nicht eingesprungen wäre, hätten wir im Spätherbst 2011 einen riesigen Bankencrash erlebt. Es war fünf vor zwölf. Diese Gefahr besteht so heute nicht mehr. Aber es ist leider richtig, dass auch Banken am Leben erhalten wurden, die man hätte dichtmachen müssen.

Das dicke Ende kommt also noch?

Das dicke Ende kann immer kommen. Die EZB hat damals richtig gehandelt, aber ihre Maßnahmen bergen Gefahren. Wenn in zwei, drei Jahren die billigen EZB-Kredite zurückgezahlt werden müssen, wird das Gejammer groß sein. Sollte sich die Lage weiter entspannen, wird das billige EZB-Geld auch wieder stärker in risikoreiche Anlagen fließen.

Zum Beispiel in Immobilien.

Die starke Nachfrage nach Immobilien in Deutschland ist eher mit der Angst der Deutschen vor Inflation zu erklären. Immobilienfonds sind auf diesen Trend aufgesprungen und verstärken ihn. In Deutschland ist das noch nicht gefährlich. Aber die USA, Spanien oder Großbritannien zeigen, was passiert, wenn Blasen entstehen und die Leute sich Wohnungen und Häuser kaufen, weil sie hoffen, sie in zwei Jahren schon wieder mit Gewinn verkaufen zu können. Das geht schief.

Ist die Jagd nach Rendite, die Kleinanleger packt, ein Teil des Problems?

Die wesentliche Verantwortung trifft andere Gruppen und Akteure. Aber die privaten Haushalte müssen sich durchaus auch an die eigene Nase fassen. Wir erinnern uns an den Zertifikate-Boom vor Ausbruch der Finanzkrise, die Jagd nach Zinsschnäppchen. Das geht heute ja schon wieder los. Schlachtlämmer sind die kleinen Sparer und Anleger sicherlich nicht allesamt. So bitter es ist: Wir werden es noch eine Weile mit negativen Realzinsen zu tun haben. Wer mehr haben will, muss ein größeres Risiko eingehen und darf sich hinterher aber auch nicht beschweren, wenn das Geld weg ist.

Hat die Regulierung Bankberater ausreichend in die Schranken verwiesen?

Die Compliance-Abteilungen der Banken sind größer geworden und die Kunden bekommen nun nach dem Beratungsgespräch drei Mal dickere Protokolle als früher ausgehändigt. Die wenigsten Kleinanleger lesen das alles. Insofern hat sich wenig verändert, es ist nur vieles bürokratischer geworden.

Der „Kulturwandel“, von dem zum Beispiel die neuen Chefs der Deutschen Bank sprechen – nur ein PR-Gag?

Man muss das abwarten. Bisher kaufe ich es den Banken nicht ab. Das Investmentbanking ist bei den Großen immer noch der Herr im Haus. Hier werden Produkte erfunden, die andere Abteilungen verkaufen müssen. Verkauf statt Dienstleistung – diese Philosophie prägt die meisten Banken. Das hat sich nicht geändert. Das Kreditgeschäft bei der Deutschen Bank macht vielleicht ein Fünftel der Bilanzsumme aus. Das kann man leicht ausbauen und sich dann für riesige Wachstumsraten in dieser Sparte feiern lassen. Das Investmentbanking hat aber immer noch das weitaus größte Gewicht.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

BANKERIN

Susanne Schmidt (65) hat mehr als 30 Jahre lang in der Londoner City gearbeitet, davon zwei Jahrzehnte in leitender Funktion für internationale Geldhäuser. Ihre Karriere begann die promovierte Volkswirtin bei der Deutschen Bank. Schmidt ist die Tochter des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt und der 2010 verstorbenen Hannelore („Loki“) Schmidt. Sie ist verheiratet und lebt in der Grafschaft Kent.

AUTORIN 

Susanne Schmidt war zuletzt Moderatorin des Börsensenders Bloomberg-TV. Soeben hat sie ihr Buch „Das Gesetz der Krise – Wie die Banken die Politik regieren“ veröffentlicht. Für den Titel „Markt ohne Moral“ erhielt sie 2010 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false