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Die Ungleichheit nimmt zu. Das Bild zeigt eine Straßenszene in Madrid. Ökonomen streiten über die Gegenmittel.

© Gerard Julien/AFP

Oxfam-Studie: 62 Superreiche besitzen so viel wie die ärmsten 3,6 Milliarden

Die Kluft zwischen Arm und Reich war noch nie so groß wie heute. Zu diesem Ergebnis kommen eine neue Oxfam-Studie und die OECD. Lässt sich das ändern?

Von Carla Neuhaus

Das Träumen gehört in Davos zum Programm. Wenn ab diesem Mittwoch wieder Politiker und Firmenchefs in der höchstgelegenen Stadt Europas zum Weltwirtschaftsforum zusammenkommen, sprechen sie über das große Ganze. Sie umkreisen die Frage, wie diese Welt eine bessere werden kann. Ohne Armut. Mit mehr Gerechtigkeit und Chancen für alle. Allerdings sind sie von der Erfüllung dieses Traums weiter entfernt denn je. Das zeigt eine Studie, die die Entwicklungsorganisation Oxfam an diesem Montag veröffentlicht.

Demnach ist die soziale Ungleichheit im vergangenen Jahr weltweit deutlich gewachsen: Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen laut Oxfam genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Vor einem Jahr verteilte sich dieses Vermögen immerhin noch auf 80 Menschen.

„Das derzeitige Wirtschaftssystem kommt vor allem den Reichen zugute und vertieft weltweit die Kluft zwischen Arm und Reich“, kritisiert die Organisation. Während die ärmere Bevölkerungshälfte in den letzten fünf Jahren eine Billion Dollar verloren hat, ist das Vermögen der 62 reichsten Menschen der Welt um eine halbe Billion Dollar gewachsen.

Doch driften die Einkommen und Vermögen der Armen und Reichen weiter auseinander, gefährde das die Gesellschaft, warnt Oxfam. „Menschen fühlen sich um die Früchte ihrer Arbeit betrogen, ausgegrenzt, nicht anerkannt“, heißt es in dem Papier. Die Folgen: Politikverdrossenheit, Spannungen und Gewalt. Und nicht nur das, auch die Wirtschaftskraft der Staaten leidet.

Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist die Wirtschaft in 19 Staaten zwischen 1990 und 2010 um 4,7 Prozentpunkte weniger gewachsen, als das bei unveränderter Ungleichheit der Fall gewesen wäre. OECD-Generalsekretär Angel Gurría spricht bereits von einem Wendepunkt: „Noch nie in der Geschichte der OECD war die Ungleichheit in unseren Ländern so hoch wie heute“, sagt er.

Über Lösungen wird erbittert gestritten

Dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht, ist zwar seit Langem bekannt – nur über Lösungsansätze wird erbittert gestritten. Den Trend umzukehren, sei nicht aussichtslos, aber es werde „sehr schwierig“, schreibt Oxfam-Chefin Winnie Byanyima (siehe Gastbeitrag unten). Ihre Organisation fordert die Eindämmung von Steueroasen und die stärkere Besteuerung hoher Einkommen.

Nach Schätzungen der Organisation halten Einzelpersonen weltweit noch immer 7,6 Billionen Dollar vor dem Fiskus versteckt. Neun von zehn Konzernen sollen Töchter in Steueroasen haben. „Wer soziale Ungleichheit und Armut bekämpfen will, muss Steuergerechtigkeit schaffen und Steueroasen trockenlegen“, fordert Oxfam.

Doch von diesem Rezept sind längst nicht alle Ökonomen überzeugt. Nur weil mehr Steuern eingetrieben werden, heißt das nicht automatisch auch, dass die Armen von den Mehreinnahmen profitieren. „Armut lässt sich nicht rein über die Einnahmenseite bekämpfen“, sagt Judith Niehues vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Wichtiger seien Investitionen in Bildung und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt.

In Bildung und Gesundheit investieren

Selbst der Kampf gegen Steueroasen – so wichtig er sei – könne den Armen möglicherweise nur bedingt helfen, heißt es beim IW. So haben die G-20-Staaten bereits viel unternommen, um die Steuerflucht einzudämmen. Allerdings ist schwer abzusehen, welche Länder dadurch am Ende mehr Steuern einnehmen werden, sagt IW-Forscher Tobias Hentze. So sei zum Beispiel nicht ausgemacht, dass Deutschland am Ende auf der Gewinnerseite stehe. „Es kann durchaus sein, dass hiesige Firmen künftig manches etwa in China oder Indien statt hierzulande versteuern müssen“, sagt er. Dann bliebe sogar weniger Geld in der deutschen Steuerkasse hängen – was dem Bund weniger Spielraum für soziale Unterstützung geben würde.

Bei Oxfam argumentiert man anders. Können Firmen und Privatpersonen der Besteuerung nicht mehr entgehen, nimmt die Staatengemeinschaft weltweit mehr ein. Dieses Geld können sie dann wiederum einsetzen, um Armut zu bekämpfen: zum Beispiel indem sie es in Bildungsprojekte investieren oder die Gesundheitsförderung ausbauen.

Vermögen sollte höher besteuert werden

Aus diesem Grund sollten der Entwicklungsorganisation zufolge auch hohe Einkommen und große Vermögen stärker besteuert werden. Beim IW hält man auch das allerdings für wenig zielführend. Es sei extrem schwer zu bestimmen, was dabei besteuert werden soll, sagt Hentze. Wie bewertet man zum Beispiel ein Aktienportfolio, wenn die Kurse stark schwanken? Wie schätzt man den Wert eines Kunstwerks richtig ein?

Außerdem lasse sich Privat- und Betriebsvermögen nur schwer voneinander trennen. Doch gelingt das nicht, leiden unter der Steuer die Unternehmen, was wiederum die Wirtschaft schwächt. Und davon hat am Ende niemand etwas. „Eine Vermögenssteuer führt zu Ausweichreaktionen“, sagte Hentze. Müssen Reiche mehr an den Staat abgeben, werden sie erst recht versuchen, ihr Geld in andere Werte zu investieren, die weniger stark besteuert werden.

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