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Tasche leer. Viele Schuldner werden sich eine schnellere Entschuldung gar nicht leisten können, weil die Tilgungsraten zu hoch sind.

© dpa

Privatinsolvenz: Die Schuldfrage stellt sich neu

Zehntausende Verbraucher melden jedes Jahr Insolvenz an. Ab Dienstag gilt eine neue Rechtslage: Die Entschuldung geht schneller.

Lisa Hoffstedt hatte einen Traum: Ein eigenes Theater, mit dem sie jungen Darstellern den Weg von der Schauspielschule auf die Bühne erleichtern wollte. Sie gründete ein kleines Unternehmen in Berlin. „Ich wusste, dass es hier nicht leicht werden würde, es gibt ja schon so viele Theater. Vielleicht bin ich einfach zu naiv da herangegangen“, sagt Hoffstedt resigniert. Ihr Name lautet in Wirklichkeit anders, aber noch sitzt ihr die Insolvenz zu sehr in den Knochen – daher will sie lieber anonym bleiben.

Scheitern fällt schwer. Wer gibt schon gerne zu, nicht mit Geld umgehen zu können? Kein Geld für das neue Smartphone zu haben? Abends nicht in die Kneipe mitgehen zu können, weil die paar Euro für Bier oder Wein zu viel sind? Rund 6,6 Millionen Deutsche sind laut Schuldenatlas des Inkasso-Dienstleisters Creditreform überschuldet. Sie können ihre Rechnungen nicht regelmäßig begleichen. Viele trauen sich nicht mehr an den Briefkasten oder werfen die Post darin gleich weg, ohne sie anzuschauen. Zu groß ist die Angst vor der nächsten Mahnung, vor den eigenen Schulden, vor dem eigenen Versagen.

Hoffstedts Theaterprojekt ging schief. Die Kosten für Energie und Miete waren zu hoch und die Einnahmen zu niedrig, obwohl Hoffstedt teilweise auf Lohn und ihre Mimen auf Gage verzichteten. Sie schlief immer schlechter, arbeitete immer mehr, rang lange mit sich. Nach zwei Jahren wurde ihr eines Nachts klar: „Ich bin pleite.“ Für ihr kleines Theater-Unternehmen haftete sie persönlich, sie meldete Insolvenz an.

Die Pfändungsgrenze liegt bei 1045 Euro

Hoffstedt ist eine von vielen. Rund 91.000 Deutsche sind vergangenes Jahr in die Privatinsolvenz gegangen. Im Schnitt stehen die Betroffenen mit rund 35.000 Euro in der Kreide, steht im „Überschuldungsreport“ des IFF, des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen.

Bislang mussten Schuldner sechs Jahre lang ihr gesamtes Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze zahlen, um die Schulden zu tilgen. Für eine Person ohne Unterhaltsberechtigte sind das derzeit 1045 Euro vom Nettoeinkommen. Den Rest des Geldes verteilt ein Treuhänder oder Insolvenzverwalter an die Gläubiger. Das Besondere: Nach sechs Jahren „Wohlverhaltens“, also Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter, der das wirtschaftliche Leben seiner Klienten kontrolliert, winkt der große Schnitt, die „Restschuldenbefreiung“. Dann können Schuldner neu beginnen, oder besser gesagt, fast neu beginnen, denn ein Schufa-Eintrag bleibt noch drei Jahre danach bestehen.

Schuldenfreiheit winkt künftig schon nach drei Jahren

Nun sollen Schuldner noch schneller in ein Leben ohne Schulden starten können. An diesem Dienstag tritt eine Reform der Privatinsolvenzen in Kraft, die eine Schuldenfreiheit schon nach drei Jahren möglich macht und für alle Verfahren gilt, die ab dem 1. Juli eröffnet werden. Die Voraussetzungen für den früheren Schuldenerlass nach 36 Monaten sind aber hoch: Bis dahin müssen nicht nur 35 Prozent der Schulden getilgt sein, sondern auch die Verfahrenskosten. Zudem bekommen auch die Insolvenzverwalter, die den Schuldner betreuen, mehr Geld. Bisher waren es 15 Prozent der Insolvenzmasse, jetzt sind es 40 Prozent – bis zu einer Obergrenze von 25 000 Euro Honorar.

Wer nach drei Jahren seine Restschulden erlassen bekommen möchte, muss sich also ordentlich strecken. Bei Durchschnittsschulden von 35.000 Euro muss man 12.250 Euro tilgen (35 Prozent), 4900 Euro entfallen auf den Insolvenzverwalter, 1000 Euro Gerichtskosten kommen noch hinzu: Damit summiert sich die Rückzahlung auf über 18.000 Euro. Macht also rund 500 Euro im Monat.

Viele Schuldner sind Hartz-IV-Empfänger

„Das werden sich die wenigsten leisten können“, sagt Torsten Martini. Er arbeitet seit 15 Jahren als Insolvenzverwalter bei einer Berliner Kanzlei. Viele der Schuldner seien Hartz-IV-Empfänger, lebten von der Hand in den Mund. Die meisten Pleiten, die Martini betreut, sind Verbraucherinsolvenzen. „Es geht oft um Konsumschulden.“ Die laufen auf, wenn Menschen einen Lebensstil pflegen, den sie sich eigentlich nicht leisten können.

Immerhin soll es bei der neuen Regelung auch möglich sein, bereits nach fünf Jahren die restlichen Schulden erlassen zu bekommen, um wieder ein normales Leben führen zu können – wenn zumindest die Verfahrenskosten bezahlt werden können. Zur sofortigen Erteilung der Restschuldbefreiung kommt es weiterhin, sobald die Verfahrenskosten und die Forderung sämtlicher anmeldender Gläubiger zu 100 Prozent gedeckt sind.

Mit jedem Statussymbol kommt eine weitere Rate hinzu

Martini hat festgestellt: Schuldenmachen ist heute leichter als früher. „Nullprozentfinanzierungen“ locken viele Verbraucher in die Falle. Dabei stottert man einen Kauf in Raten ab, ohne Zinsen der Banken. Allerdings gibt es oft versteckte Zusatzkosten wie Versicherungen oder Bearbeitungsgebühren, so dass die „Null“ häufig nur Masche ist.

Mit jedem neuen Statussymbol und Gerät kommt noch eine weitere monatliche Rate dazu. Der eine Kredit wird mit dem anderen abgegolten. Und dann wird es gefährlich, denn wer so mit geliehenem Geld jongliert, verliert schnell den Überblick und läuft Gefahr, in die Schuldenfalle zu tappen. Dann drohen Schufa-Eintrag, Inkasso-Büros, Eidesstattliche Versicherungen – oder eben die Verbraucherinsolvenz. „Die leihen sich hier mal ein bisschen was von Freunden, stopfen dort wieder ein Loch“, erklärt Martini. Dabei sei es wichtig, sich so früh wie möglich mit den Schulden auseinanderzusetzen.

Monatelange Wartezeiten bei der Schuldnerberatung

Natürlich ist nicht jede Verbraucherinsolvenz auf den schludrigen Umgang mit Geld zurückzuführen. Bei den meisten Menschen ist es eine unglückselige Mischung aus knapper Kalkulation und Pech. Denn es kann schnell gehen: Plötzliche Arbeitslosigkeit, eine Scheidung oder Krankheit – und mit einem Mal können die Raten für das Auto oder das Haus nicht mehr bedient werden, türmen sich immer höhere Schulden auf. Eine Überschuldung droht, wenn die Ausgaben regelmäßig die Einnahmen übersteigen, man keinen Überblick über sein Budget hat, kein finanzielles Polster vorhanden ist, und die Miete mehr als ein Drittel des Nettoeinkommens auffrisst. Auch wer ständig sein Konto überzieht, ist gefährdet.

Hilfe bieten Fachanwälte und staatlich anerkannte Schuldenberatungsstellen. Tipp: Bemühen Sie sich frühzeitig um einen Termin bei der Schuldnerberatung, es gibt nämlich monatelange Wartezeiten.

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