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Die Hartz-Gesetze waren Teil der rot-grünen Agenda 2010.

© dpa

Update

Regierung plant Hartz IV-Reform: Wer schwänzt, geht leer aus

Weniger Bürokratie soll die Betreuung für Langzeitarbeitslose verbessern. Diese Überlegung der Bundesregierung könnte aber auch zu härteren Sanktionen führen. Linke halten Reform für teilweise verfassungswidrig.

Langzeitarbeitslosen könnten künftig schärfere Sanktionen drohen. Experten von Bund und Ländern diskutieren darüber, den Empfängern von Arbeitslosengeld II die Zuwendungen komplett zu streichen, wenn sie wiederholt Termine beim Jobcenter nicht wahrnehmen. Bislang wird das Arbeitslosengeld II – auch Hartz IV genannt – in solchen Fällen zwar gekürzt, aber nicht komplett gestrichen.

Ob der Plan umgesetzt wird, ist aber noch offen, hieß es am Mittwoch bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). In anderen Punkten scheinen sich Bund und Länder dagegen aber bereits einig zu sein. Dazu zählen sowohl Erleichterungen als auch Verschärfungen: So sollen Empfänger nach Informationen von „Bild“ einerseits künftig in der Regel nur noch alle zwölf Monate und nicht mehr wie heute alle sechs Monate einen Antrag auf Hartz IV stellen müssen, Vorschüsse sollen erleichtert werden und zu viel gezahlte Beträge sollen bei Summen von bis zu 50 Euro nicht mehr vom Jobcenter zurückgefordert werden.

Auf der anderen Seite sollen Empfänger von Arbeitslosengeld II, die zwar nicht in eine größere, aber dennoch teurere Wohnung ziehen, vom Jobcenter weiterhin nur die alte, niedrigere Miete überwiesen bekommen. Seit dem vergangenen Jahr berät die gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern über eine erneute Hartz-Reform. Beteiligt sind auch die BA und die Kommunen. Die Experten sollen ihre Arbeit in diesem Jahr abschließen, hieß es beim Bundesarbeitsministerium auf Anfrage. Nach Informationen der „Bild“ soll die Reform bereits im nächsten Jahr in Kraft treten.

700.000 Mal Sanktionen wegen geschwänzter Termine

BA-Vorstand Heinrich Alt verteidigte die Reformen. „Wir neigen in Deutschland dazu, jedem Einzelfall gerecht werden zu wollen“, sagte Alt der „Bild“-Zeitung. Das mache Hartz IV viel zu bürokratisch. Ziel müsse es sein, das Leistungsrecht zu vereinfachen, um mehr Zeit dafür zu haben, die Menschen in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen. „Wenn wir es einfacher machen wollen, wird es sicher auch wieder etwas ungerechter werden“, gab Alt zu. „Aber wenn wir nicht bereit sind zu etwas mehr Ungleichheit, wird das System so komplex bleiben.“

Ob die Vorschläge, auf die sich die Experten in der Arbeitsgruppe bereits geeinigt haben, umgesetzt werden, will die Bundesregierung derzeit aber noch nicht sagen. „Zur Zeit gibt es noch keine Festlegungen“, sagte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel. Die Rechtsvereinfachung habe das Ziel, „weniger Bürokratie und mehr Zeit für die Betreuung der Hilfsbedürftigen zu schaffen.“.

Vor allem die Bundesagentur für Arbeit drängt in diesem Zusammenhang auf schärfere Sanktionen für Langzeitarbeitslose, die wiederholt Termine beim Jobcenter unentschuldigt platzen lassen. Bislang werden die Leistungen in diesen Fällen um maximal 30 Prozent gekürzt, künftig sollen sie nach dem Willen der BA auch ganz gestrichen werden können – allerdings erst nach mehrmaligen „Einladungen“ und rund zehn Wochen, die zwischen dem ersten und letzten versäumten Termin verstreichen. Mehr als 700 000 Mal hat die Arbeitsagentur im vergangenen Jahr wegen geschwänzter Termine Sanktionen verhängt, von den insgesamt eine Million Sanktionen machen versäumte Termine den größten Teil aus.

Linke: Sanktionen ganz abschaffen

Bislang ist noch unklar, ob sich die BA damit durchsetzt. Der Widerstand ist groß. „Menschenfern“ nannte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, die Reformpläne. „Wenn künftig die Miete auf einem bestimmten Niveau gedeckelt oder bei Terminversäumnissen die Zahlungen komplett gestrichen werden, ist das eine unzumutbare Verschärfung“, kritisierte Schneider am Mittwoch.

Die Linke-Fraktion im Bundestag sprach sich dafür aus, Hartz-IV-Sanktionen komplett abzuschaffen. Linken-Chefin Katja Kipping sagte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Das Recht auf Existenzsicherung ist Verfassungsrecht. Es wäre nicht das erste Hartz-Gesetz, das Karlsruhe kassiert." Kipping hält die "Giftliste" für "in Teilen verfassungswidrig". Die Grünen begrüßten zwar die geplante Entbürokratisierung von Hartz IV; dies dürfe aber nicht zu Verschärfungen durch die Hintertür führen.

Chancen auf neuen Job sind gestiegen

Allerdings scheinen sich die Chancen von Langzeitarbeitslosen, wieder einen Job zu finden, in den vergangenen Jahren in Deutschland verbessert zu haben. Das geht aus einer am Mittwoch vorgestellten neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Danach ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der deutschen Gesamtbevölkerung von 3,8 Prozent im Jahr 2008 auf 2,6 Prozent im Jahr 2012 gesunken.

Das zur BA gehörende Institut hatte die Situation von Langzeitarbeitslosen in Dänemark, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Spanien verglichen. Während Deutschland 2008 noch den schlechtesten Wert unter diesen Ländern aufwies, waren 2012 nur die Niederlande besser.

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