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Sozialstaat: Klagen gegen Hartz-IV häufen sich

Die Einsprüche gegen Hartz-IV-Bescheide nehmen zu. Die Wut der Massen äußert sich nicht mehr auf der Straße, sondern im Gerichtssaal. Das Bundessozialgericht kritisiert die Regierung.

Als die rot-grüne Bundesregierung vor vier Jahren die umstrittene Hartz-IV-Regelung einführte, gingen Millionen wütender Menschen auf die Straße, um gegen die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu protestieren. Die Wut ist bis heute geblieben, nur zieht es die Massen nicht mehr auf die Straße, sondern vor den Richter: Allein im vergangenen Jahr sind rund 175.000 neue Klagen und Eilanträge beim Bundessozialgericht (BSG) in Kassel eingegangen. Das war nicht nur ein Zuwachs von 28 Prozent gegenüber 2007, sondern auch ein Rekordhoch. „Der bisherige Trend hat sich nicht nur weiter fortgesetzt, sondern noch weiter verstärkt“, sagte Gerichtssprecher Thomas Voelzke.

BSG-Präsident Peter Masuch nahm die neuen Zahlen zum Anlass, in einem ungewöhnlich deutlichen Appell eine Reform der Hartz-Reform einzufordern. Die Sozialgerichte stöhnten immer lauter unter der Arbeitslast, sagte er. Es sei deshalb Zeit, „dass der Gesetzgeber Bilanz zieht“ und die Erfahrungen der Verwaltungen und Gerichte mit der Reform berücksichtige, sagte Masuch. Und er benannte sogleich auch die Punkte, in denen besonderer Nachbesserungsbedarf bestehe: „Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen ebenso wie die Kostentragung für Unterkunft und Heizung scheinen mir noch klarstellungsbedürftig.“

Eigentlich herrscht Rechtsklarheit

Doch gesetzliche Klarheit bei den Leistungen ist nur das eine Feld, auf dem die Kasseler Richter dringenden Korrekturbedarf sehen. Klarheit fordern sie auch bei der Organisation. Zu Recht habe das Bundesverfassungsgericht gerügt, dass es bei den für die Auszahlung der Hartz-Leistungen zuständigen Arbeitsgemeinschaften aus Bundesagentur und Kommunen keine klaren Verantwortlichkeiten gebe.

Mit mehr als 100 Hartz-Entscheidungen habe das BSG eigentlich schon für Rechtsklarheit in vielen Bereichen gesorgt, sagte BSG-Vizepräsidentin Ruth Wetzel-Steinwedel. Früher bei der Arbeitslosenhilfe allerdings habe die allein zuständige Bundesagentur für Arbeit Entscheidungen unmittelbar und bundesweit umgesetzt. Doch nun, da jede Arbeitsagentur für sich entscheidet, sei das anders. „Es scheint, dass ein Teil unserer Entscheidungen gar nicht da ankommt, wo sie ankommen müssten“, monierte sie.

In vielen Fällen finde offenbar erstmals vor Gericht eine „umfassende Sachbearbeitung“ statt, berichtete Michael Kanert, Hartz-Richter am größten deutschen Sozialgericht in Berlin. Mit 85 Prozent werden ihm zufolge in der Hauptstadt die weitaus meisten Klagen ganz ohne Urteil erledigt – nach Informationsarbeit des Richters zur Gesetzeslage. (ysh/AFP)

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