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Anziehungspunkt. Die Zahl der Hauptstadt-Touristen steigt seit Jahren. Auch der Potsdamer Platz ist bei Touristen sehr beliebt.

© dapd

Städtetourismus: Berliner Monopoly

Hoteliers und Investoren setzen auf einen anhaltenden Boom im Städtetourismus – das ist nicht ohne Risiko.

Etwa zwei Millionen Gäste aus dem In- und Ausland verbringen die Osterfeiertage in Berlin. Wer nicht bei Freunden oder Bekannten unterkommt, hat die Auswahl zwischen 508 Hotels. Kommt er in einem Jahr wieder, wird er sich bereits zwischen mindestens 535 Häusern entscheiden können. Vom dritten Ableger der günstigen B&B-Kette am Tiergarten bis zum luxuriösen Waldorf-Astoria am Breitscheidplatz werden immer mehr Hotels in der Hauptstadt hochgezogen. In den kommenden drei bis vier Jahren rechnet der Berliner Hotel- und Gaststättenverband Dehoga mit mindestens 20 000 zusätzlichen Betten.

Immer neue Jubelnachrichten über steigende Besucherzahlen locken Hoteliers und Investoren an. Der Städtetourismus entwickelt sich so gut wie kein anderes Tourismussegment in Deutschland. Die Zahl der Übernachtungen stieg 2011 bundesweit um 4,7 Prozent. An der Spitze steht Berlin: Knapp 9,9 Millionen Gäste beherbergten die Hotels und Pensionen der Hauptstadt im vergangenen Jahr, gut doppelt so viele wie noch 1999. Rund 11,7 Milliarden Euro gaben sie laut Schätzungen der Investitionsbank Berlin in der Stadt aus. Die Zahl der Übernachtungen kletterte 2011 um 7,5 Prozent auf 22,4 Millionen. Bei Visit Berlin rechnet man auch in Zukunft mit Wachstumsraten zwischen drei und sechs Prozent. Noch vor dem Jahr 2020 würde Berlin dann die 30-Millionen-Marke knacken.

Diese Zahlen scheinen den Bettenbauern Recht zu geben. Doch auf einen anhaltenden Boom des Städtetourismus zu setzen, ist nicht ohne Risiko. Die Branche ist abhängig von vielen Faktoren, auf die sie keinen Einfluss hat. „Tourismus mag heute als robuste Branche erscheinen, bleibt aber volatil“, sagt der Stadtplaner Johannes Novy von der TU Berlin. „Steigende Mobilitätspreise, globale Krisen oder ein Nachlassen des gegenwärtigen Berlin-Hypes können die Besucherzahlen beeinflussen.“

Tatsächlich bestimmen Ereignisse wie die Eurokrise das Reiseverhalten. In wirtschaftlich schweren Zeiten sparen viele Leute zuerst am Urlaub. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger ging die Zahl der Übernachtungen in den europäischen Hauptstädten im Krisenjahr 2009 um 3,5 Prozent zurück. Auch in Berlin machte sich im vergangenen Jahr die Eurokrise bemerkbar: Laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg kamen aus Griechenland 18 Prozent, aus Portugal zwölf Prozent weniger Gäste als 2010. „Für die positive Entwicklung einer Destination ist der Gäste-Mix entscheidend“, sagt der Roland-Berger-Tourismusexperte Vladimir Preveden. Der Anteil internationaler Gäste sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor, da er zeige, wie breit eine Stadt auf dem globalen Markt aufgestellt sei.

Nur 41 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland.

Genau hier aber hat Berlin noch Nachholbedarf, nur 41 Prozent der Besucher kommen momentan aus dem Ausland, von außerhalb Europas sind es sogar nur zehn Prozent. Bei Visit Berlin ist man sich des Problems bewusst: „Wir müssen versuchen, den Anteil ausländischer Besucher zu erhöhen“, sagt Geschäftsführer Burkhard Kieker. In Indien und Südamerika ist er zurzeit unterwegs, um dort die reisefreudigen Mittelschichten für die deutsche Hauptstadt zu gewinnen.

Neben der Zahlungsfreudigkeit potenzieller Gäste beeinflusst auch die Entwicklung der Flug- und Fahrtkosten den Städtetourismus. Der Boom der Billigflieger ist ein wesentlicher Grund, warum der Kurztrip quer durch Europa immer beliebter wurde. Doch die Zeiten der Ein-Euro-Schnäppchen sind vorbei. Durch die 2011 eingeführte Luftverkehrsabgabe muss jeder Passagier, der in Deutschland startet, zwischen 7,50 und 42 Euro drauflegen.

Der größte Preistreiber ist jedoch der steigende Ölpreis. Die Lufthansa erhöhte mit dieser Begründung Ende Februar den Treibstoffzuschlag. Die Flugpreise für Flüge innerhalb Europas waren diesen März laut Statistischem Bundesamt 43,5 Prozent teurer als noch 2005. Der Branchenverband IATA rechnet für 2012 mit einem durchschnittlichen Preisanstieg bei Flugtickets um zwei Prozent. „Der Anstieg der Ölpreise in den letzten zwei Jahren wirkt sich jetzt schon dämpfend auf das Wachstum aus“, sagt Kieker.

Ein dritter Risikofaktor für den Städtetourismus ist die Besuchermüdigkeit der Bewohner. „Wenn die Bevölkerung den Besuchern gegenüber nicht positiv eingestellt ist, nützt auf Dauer auch die beste Werbung nichts“, sagt Preveden von Roland Berger. Ein Problem, das Berlin nur zu gut kennt. Zunehmend regt sich Widerstand gegen die „Touristifizierung“ der Stadt. Auf Bürgerversammlungen und mit Stickeraktionen wehren sich Anwohner gegen die empfundene Überflutung. „Der Tourismus ist durch die Decke gegangen in den letzten Jahren“, sagt Stadtplaner Novy, „damit stellen sich Verträglichkeitsprobleme.“

Immer öfter kommt es zu Konflikten mit den Anwohnern.

Lärm, Müll, mit Reisebussen verstopfte Straßen: Selbst im offiziellen Tourismuskonzept der Stadt werden die „Überlastungserscheinungen“ als Entwicklungshemmnis aufgelistet. „In den touristischen Kernzonen kommt es in Spitzenzeiten teilweise zu Konflikten mit der Wohnbevölkerung, die die Aufenthalts- und Lebensqualität beeinträchtigen“, heißt es. Das Fatale: Gerade der besondere raue, unfertige Charakter Berlins, der so viele Besucher anzieht, droht dadurch verloren zu gehen. „Es gibt die berechtigte Sorge, dass die viel gerühmten Freiräume und Kreativszenen durch die zunehmende touristische Erschließung und Überforderung einzelner Stadträume abhandenkommen“, sagt Novy.

Eurokrise, steigender Ölpreis, tourismusmüde Bevölkerung – der Boom im Städtetourismus steht auf wackeligen Füßen. Das Problem ist, dass die Berliner Hotels durch die unaufhörlichen Neubauten auf ein ungebrochenes Wachstum angewiesen sind. Schon jetzt gibt es zu viele Betten in der Stadt. „Bei der jetzigen Übernachtungssituation ist der Sättigungsgrad an Hotels überschritten“, sagt Dehoga-Berlin-Chef Thomas Lengfelder. Die Auslastung liegt nur bei rund 50 Prozent, bei den Hotels im Zentrum sind es immerhin 70 Prozent. Der Verband geht davon aus, dass die Zahl der Übernachtungen bis 2015 auf 27 Millionen wachsen muss, damit das bestehende Angebot befriedigt werden kann. Sollte die Zahl durch einen der genannten Risikofaktoren nicht wie erwartet wachsen, droht der Branche eine Pleitewelle.

Schon jetzt belegt Berlin laut der Roland-Berger-Studie beim Ertrag mit 60 Euro pro Nacht und Zimmer nur den drittletzten Platz unter den europäischen Hauptstädten. Die extreme Konkurrenzsituation auf dem Hotelmarkt drückt die Preise, viele Mittelständler müssen um ihre Existenz kämpfen. „Die sehr niedrigen Zimmerpreise treiben viele Berliner Hotels an den Rand der Insolvenz“, sagt Berater Preveden.

Ein Ende des Hotelbooms ist trotzdem nicht in Sicht. „Solange es Grundstücke zu vertretbaren Preisen gibt, wird hier investiert werden; das kann man nicht aufhalten“, sagt Kieker von Visit Berlin. „Berlin ist eine Wette auf die Zukunft.“

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