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Ilse Aigner will Käfige für Legehennen und Brandzeichen für Pferde verbieten. Foto: AFP

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ZUR PERSON: „Tieren darf kein unnötiges Leid zugefügt werden“

Bundesagrarministerin Ilse Aigner über Massentierhaltung, sichere Lebensmittel, Agrarprämien und die Spekulation mit Rohstoffen

BERLIN

Seit 1998 ist Ilse

Aigner als direkt gewählte CSU-Abgeordnete des Wahlkreises Starnberg bei München Mitglied des Bundestags, seit 2008 Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Gerade hatte die 47-Jährige ihren ersten großen Skandal. In der

Dioxin-Krise hatte sie zunächst zögerlich

reagiert, war dann aber in die Offensive gegangen. Die ersten Maßnahmen sind vom Kabinett beschlossen, die Ministerin ist

wieder fest im Amt.

BAYERN

Dass sie aus Oberbayern kommt, kann man hören. Aigner ist pragmatisch und bodenständig. Nach der Realschule lernte sie Fernsehtechnikerin, später entwickelte sie bei Eurocopter Software für Hubschrauber.

Frau Aigner, kastrierte Ferkel, Puten, die wegen ihrer Riesenbrüste nicht mehr stehen können – viele Verbraucher wollen das nicht mehr. Wächst sich die Dioxin-Krise zu einer Krise für die konventionelle Landwirtschaft aus?

Immer mehr Menschen interessieren sich dafür, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden. Diesen Trend beobachte ich seit geraumer Zeit. Ich bin für eine realistische Betrachtung: Man sollte die Landwirtschaft nicht romantisieren. Die Verhältnisse sind nicht mehr so wie vor 50 Jahren. Wir haben jetzt viel mehr Technik auf den Höfen. Damit können Böden umweltschonend bearbeitet oder Düngung und Pflanzenschutz genau nach Bedarf angewendet werden. In der Werbung wird aber oft ein anderes Bild erzeugt: Da rührt die Bäuerin auf der Alm persönlich die Sahne, um Butter zu machen. Eine Illusion, die zu Enttäuschungen führen muss.

Riesige Hühnerfabriken, Monokulturen auf den Feldern – das sind einige der Schattenseiten der industriellen Landwirtschaft. Wie wollen Sie das ändern?

Vieles davon, was öffentlich angeprangert wird, ist verboten. Ein Beispiel: Man darf Hühnern nicht die Schnäbel kürzen, es sei denn, es liegt eine Ausnahmegenehmigung vor. Deshalb sage ich: Wichtig ist, dass die bestehenden Gesetze konsequent umgesetzt werden.

Das reicht?

Nein. Es gibt weiteren Handlungsbedarf, etwa bei den Legehennen. Auch ein Urteil des Verfassungsgerichts verpflichtet uns zu handeln. Ich will rechtlich festlegen, dass künftig keine neuen Käfige angeschafft werden dürfen. Die Tiere sollen in Boden- oder Freilandhaltung leben.

Für bereits gekaufte Käfige gilt das aber nicht?

Wie bei allen Neuregelungen wird es auch hier Übergangsfristen geben. Wir wollen zudem die Brandzeichen für Pferde verbieten und die betäubungslose Kastration von Ferkeln. Dafür habe ich viel Zustimmung erhalten, aber von Seiten der Wirtschaft auch Kritik. Ich setze hier auf einen sachlichen Dialog – mit Vertretern der Landwirtschaft, mit Tierschützern, Umwelt- und Verbraucherverbänden.

Der Bauernverband ist schon auf die Barrikaden gegangen. Müssen Sie wirklich so viel diskutieren oder müssten Sie als Ministerin nicht klar sagen, wo die Grenze ist?

Moment! Ich habe klar gesagt, dass ich entschlossen handeln werde – etwa bei den Legehennen, den Pferden, der Kaninchenmast. Die Grenze ist klar: Tieren darf kein unnötiges Leid zugefügt werden. Die Nutztierhaltung gehört zu den Themen, über die wir sprechen müssen.

Der jüngste Futtermittelskandal hat gezeigt, was passiert, wenn es nur darum geht, billig zu produzieren. Mehr Tierschutz würde die Kosten in die Höhe treiben. Auf Verständnis werden Sie bei den Großmästern nicht stoßen. Ist das Gespräch nicht reine Zeitverschwendung?

Nein. Es gehört zu meinem Verständnis von Politik, mit allen Betroffenen zu sprechen. Und eines muss klar sein: Lebensmittel müssen sicher sein, egal, wo man sie kauft und wie viel sie kosten. Es gibt Menschen, die müssen jeden Cent umdrehen. Auch die haben ein Recht auf einwandfreies Essen. Aber nicht alle müssen sparen. Viele Verbraucher sind in der Lage, andere Prioritäten zu setzen. Die Zahl derjenigen, die bereit sind, mehr Geld für Produkte aus der Region, für eine gute Haltung der Tiere oder Bioware auszugeben, wächst.

Biobauern halten ihre Tiere besser und gehen sorgsamer mit den Böden um. Warum erhöhen Sie nicht einfach die Fördermittel für den Ökolandbau?

Bleiben wir bei den Tatsachen: Wir haben den Förderrahmen für Biobauern – die Umstellungs- und die Beibehaltungsprämien – 2009 um bis zu 24 Prozent erhöht. Das ist Geld, das unmittelbar bei den Bauern ankommt. Insgesamt stellen Bund, Länder und EU jedes Jahr rund 150 Millionen Euro zur Verfügung. Und es gibt das Bundesprogramm Ökologischer Landbau, das Forschung und Marketing unterstützt. Dieses Programm wäre eigentlich längst ausgelaufen, wir haben es nun verlängert und ausgeweitet – für bäuerliche Regionalprodukte, mehr Nachhaltigkeit und Tierschutz. Im Gegenzug können sich Bio-Betriebe am Innovationsprogramm beteiligen.

Sie fördern den Ökolandbau, zugleich unterstützen Sie den Bau von Hühnerfabriken mit Investitionszuschüssen. Wie passt das zusammen?

Wir leben in einem föderalen Staat. Der Bund stellt den Instrumentenkasten zur Verfügung, die Länder allein setzen die Prioritäten. Wir bieten auch Investitionsmittel für besonders tiergerechte Haltungsformen an. Diese Förderung wird leider nur spärlich genutzt. Ich würde mir wünschen, dass die Länder hier andere Schwerpunkte setzen.

In Brüssel wird über eine Reform der europäischen Agrarförderung diskutiert. Was wird diese bringen?

Die Umstellung wird für viele Mitgliedsstaaten gewaltig sein. Ich bin mit EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos einig, dass künftig nur noch jene Bauern mit direkten Zahlungen unterstützt werden, die Flächen bewirtschaften. Außerdem wird die Förderung von der Produktion getrennt. Wir setzen das in Deutschland bereits um. Viele andere EU-Staaten haben diesen schwierigen Schritt noch vor sich.

Was heißt das genau?

Wir hatten früher eine Förderung, die den belohnt hat, der viel produzierte. In Zukunft soll es Direktzahlungen unabhängig von der Produktion geben. Diese Direktzahlungen werden durch Prämien für zusätzliche Umweltmaßnahmen ergänzt. In Deutschland werden zwischen 2010 und 2013 rund 500 Millionen Euro zugunsten von Grünland umgeschichtet, und wir wollen künftig noch zusätzliche ökologische Elemente einbauen. Ich stelle mir dafür ein Baukasten-System vor, einen Katalog von Maßnahmen. Jeder Landwirt soll sich daraus ein paar Agrar-Umweltmaßnahmen auswählen. Nur dann erhält er die volle Förderung. Auf diese Weise wird die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger. Die neue europäische Agrarpolitik muss von Landwirten und Verbrauchern akzeptiert werden und für die Umwelt tatsächlich mehr Nutzen stiften. Sie muss aber auch umsetzbar und möglichst unbürokratisch sein. Das ist mein Ziel.

Wie viele der 300 000 deutschen Bauern werden das nicht überleben?

Solche Untergangsszenarien sind unangebracht. Die Landwirtschaft in Deutschland hat Zukunft. Sie produziert Tag für Tag unsere Mittel zum Leben und wird immer wichtiger auch für die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen. Gleichwohl erleben wir seit Jahren einen Strukturwandel, bei dem jährlich etwa drei Prozent der Betriebe aufgeben. Der Erhalt einer flächendeckenden Landwirtschaft in Deutschland ist und bleibt ein wichtiges Ziel meiner Politik.

Immer mehr Mais oder Raps landen nicht auf dem Teller oder im Trog, sondern in Autotanks oder in Biogasanlagen, die aus den Pflanzen Strom machen. Was heißt das für die Landwirtschaft?

Biomasse hat an den erneuerbaren Energien einen Anteil von 70 Prozent. Das ist gut, weil Biomasse anders als Wind oder Sonne nicht vom Wetter abhängig ist und gut gespeichert werden kann. Allerdings gibt es regional Probleme, weil Viehhalter Mühe haben, Flächen für ihre Tiere zu pachten. Der Trend zu steigenden Pachtpreisen wird durch den steigenden Flächenbedarf für die Biogasproduktion verstärkt. Deshalb wird die Förderung für neue Biogasanlagen ab 2012 angepasst. Wir wollen kleinere, regionale Anlagen. Wir wollen die Wertschöpfung bei den bäuerlichen Betrieben und nicht nur bei den Energieversorgern. Und wir wollen, dass mehr Reststoffe in die Biogasanlagen wandern – also weniger Mais, stattdessen mehr Grünschnitt und Gülle. Auch Zuckerrüben oder Kartoffeln, die für Lebensmittel nicht geeignet sind, können zu Strom oder Wärme verarbeitet werden.

Die Rohstoffpreise steigen – auch weil Pflanzen immer häufiger als Energieträger eingesetzt werden. Kann die Politik das stoppen?

Ich begrüße es, dass Frankreich das Thema auf die Agenda der G20, der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, gesetzt hat. Weltweit steigt die Nachfrage nach Nahrung und Energie. Zugleich nehmen die Flächen, die bebaut werden können, ab. Das heißt, die Rohstoffpreise werden weiter steigen. Dabei dürfen wir nicht zulassen, dass Spekulanten die Preise zu sehr in die Höhe treiben. Wir müssen an den Märkten für Transparenz sorgen und für den Notfall Regulierungsmechanismen wie Preis- und Positionslimits einbauen. Klar ist aber auch: Wir brauchen die Finanzanleger, weil die Bauern über die Warenterminbörsen ihre Erträge absichern und dazu ein bestimmtes Volumen an Kapital nötig ist.

Das Interview führte Heike Jahberg

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