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Flauschig, aber für die Brutbetriebe wertlos: Männliche Küken werden nach der Geburt getötet.

© dpa

Tierschutz kontra Kommerz: Setzt ein NRW-Gericht dem Kükentöten ein Ende?

Pro Jahr werden 50 Millionen männliche Eintagsküken nach dem Schlüpfen vergast und geschreddert. NRW hat das verboten. Brütereien wehren sich dagegen. Heute entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster.

Die einen nennen es Massenmord, für die anderen ist es eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Fakt ist: Jedes Jahr werden in Deutschland 50 Millionen Eintagsküken getötet, weil sie das falsche Geschlecht haben. Sie werden an ihrem ersten Lebenstag vergast und geschreddert, weil sie für die Hennenbrütereien wertlos sind.

Männliche Tiere legen nun mal keine Eier. Und auch als Masthähnchen sind die schlanken Tiere nicht geeignet. Deshalb müssen sie sterben, kaum dass sie geschlüpft sind. Ob das rechtens ist, entscheidet an diesem Freitag das Oberverwaltungsgericht Münster.

Um was geht es in Münster?

Es könne nicht sein, dass jedes Jahr Millionen Eintagsküken getötet werden, „nur um die Gewinnspanne bei den Unternehmen zu erhöhen“, sagt Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsminister Johannes Remmel. 2013 verbot der Grüne daher mit einem Erlass das Schreddern der Küken in NRW und berief sich dabei auf das Tierschutzgesetz.

Das bestimmt in Paragraf eins, dass man einen vernünftigen Grund braucht, um ein Tier zu töten. Gegen den Erlass klagten elf Brütereien und beriefen sich dabei auf ihre Berufsfreiheit. Das Verwaltungsgericht Minden gab ihnen Recht: Das Bundes-Tierschutzgesetz sei keine ausreichende Grundlage für einen solchen Erlass.

Für ein Kükentötungsverbot müsse die gesetzliche Grundlage verändert werden. Remmel ging in Berufung, über die nun das Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt. Große Chancen werden dem Minister aber auch in dieser Instanz nicht eingeräumt. Möglicherweise geht die Sache sogar noch vor das Bundesverfassungsgericht. Der Rechtsweg dient Remmel aber trotzdem wohl eher als Bühne für seinen Kampf um ein gesetzliches Verbot.

Warum gibt es kein Gesetz?

Auch Hessen hat die Kükentötung verboten. Im vergangenen Jahr hatten die Agrarminister der Länder an Bundesagrarminister Christian Schmidt appelliert, ein Bundesgesetz gegen die Tötung auf den Weg zu bringen. Doch der CSU-Politiker will kein Verbot, obwohl auch er ein entschiedener Gegner des massenhaften Kükentötens ist. „Es ist sowohl aus Tierschutz-Gründen als auch aus ethischer Sicht unerträglich, dass jedes Jahr Millionen männlicher Küken getötet werden, nur weil sie das falsche Geschlecht haben“, sagte Schmidt dem Tagesspiegel.

Ein Verbot würde seiner Ansicht nach aber nur dazu führen, die Brütereien ins Ausland zu verlagern. „Dort haben wir keinen Einfluss auf Fragen des Tierwohls, der Haltung und des Tötens männlicher Eintagsküken“, gibt Schmidt zu bedenken. Die Geflügelwirtschaft sieht das genauso. „Ein Verbot würde das Problem nicht lösen“, sagt Christiane von Alemann, Sprecherin des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG).

Dann würden die Küken aus dem Ausland, etwa aus den Niederlanden, importiert, und dort sei das Massentöten weiter erlaubt.

Was plant die Regierung?

Mit mehr als zwei Millionen Euro fördert die Regierung seit 2008 Forschungsprojekte, mit denen schon im Ei das Geschlecht der Küken bestimmt werden kann. Bis Ende 2016 soll ein Prototyp von der Uni Leipzig entwickelt sein, danach soll das Gerät in Serie gehen und in allen Brütereien eingesetzt werden.

„Das Ziel ist, 2017 eine praxisreife Methode auf dem Markt zu haben“, berichtet eine Sprecherin des Agrarministeriums. Sobald das Gerät serienreif ist, muss es in den Brütereien eingesetzt werden, sagt das Ministerium. Einen vernünftigen Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes gäbe es dann für die Kükentötung nicht mehr, sie wäre damit ab 2017 verboten.

Wie soll die Untersuchung genau gehen?

Eine Forschungsgruppe der Universität Leipzig und von Forschern aus Dresden haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie schon nach wenigen Tagen erkennen können, ob Hennen oder Hähnchen im Ei heranwachsen. Das Ei wird mit einem Laser geöffnet. Mit einem  Spektrometer lassen sich Unterschiede im Blut der männlichen und weiblichen Küken sichtbar machen.

Sitzt ein männliches Küken im Ei, wird es entsorgt. In diesem Entwicklungsstadium empfinden die heranwachsenden Tiere noch keinen Schmerz. Ist es eine kleine Henne, wird das abgeschnittene Eifragment wieder angeklebt und das Küken ausgebrütet.

Die Alternative: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vor dem Spektroskop in der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Damit soll das Geschlecht der Tiere im Ei bestimmt werden.
Die Alternative: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vor dem Spektroskop in der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Damit soll das Geschlecht der Tiere im Ei bestimmt werden.

© picture alliance / dpa

Was spricht dagegen?

Rund 30 Brütereien zählt der ZDG derzeit in Deutschland, davon drei bis vier große und viele kleine. Nach Schätzungen des Agrarministeriums in Düsseldorf wird das neue Gerät zur Geschlechtsbestimmung zwischen 80.000 und 90.000 Euro kosten. Kleinere Brütereien könnten sich das nicht leisten, der Ansatz Schmidts würde daher nur den großen Anbietern nutzen. Deshalb setzt Remmel weiter auf ein gesetzliches Verbot.

Eine Alternative wäre ein Zweinutzungshuhn zu züchten. Die Hennen würden Eier legen, die Hähnchen würden gemästet. Derzeit fördert das Landwirtschaftsministerium einen Test mit einer solchen Zweinutzungsrasse auf einem Versuchsgut in Niedersachsen. Es wäre ein weniger arbeitsteiliges Produktionssystem, die Hennen würden weniger Eier legen, und auch die Masthähnchen wären keine Turbohähnchen. Aber womöglich wäre das Zweinutzungshuhn dennoch wirtschaftlich. Genau das soll bei dem Versuch ermittelt werden.

Gab es weitere Gerichtsverfahren?

Ja. Die Staatsanwaltschaft Münster hatte auf eine Anzeige der Tierschutzorganisation Peta hin eine Brüterei wegen Tierquälerei vor Gericht bringen wollen. Doch das Verwaltungsgericht Münster nahm die Klage nicht an. Vergangene Woche entschied auch das Oberverwaltungsgericht in Hamm, die Klage abzuweisen. Die Praxis werde seit Jahrzehnten von den Behörden geduldet. Es gebe sogar eine Schlachtverordnung dafür. Wenn die Praxis gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert werde, müsse das Gesetz geändert werden, argumentierten die Richter.

Wie steht es um Masthühnchen?

Seit das Bundesverfassungsgericht 1999 entschieden hat, dass ein DIN A4-Blatt nicht genug Platz für eine Legehenne in einer Käfigbatterie bietet und diese Haltungsform ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ist, hat sich die Lage zumindest für die Hennen verbessert. Im vergangenen Monat hat Agrarminister Schmidt eine Verordnung in Kraft gesetzt, nach der die im Anschluss an die alte Käfighaltung eingeführte neue Haltung in so genannten ausgestalteten Käfigen verboten wird. Die Betriebe, die noch so produzieren, haben allerdings eine lange Übergangszeit bis 2025, um die Käfighaltung für Hennen in Deutschland endgültig zu beenden.

Doch Masthähnchen oder Masthühnchen haben noch weniger Platz als Hennen in Batteriekäfigen. Sie werden in dunklen Ställen gehalten und wachsen so schnell heran, dass sie kurz vor der Schlachtung manchmal nicht einmal mehr eine Tränke erreichen können in der drangvollen Enge. In solchen Ställen werden regelmäßig Antibiotika eingesetzt, weil die Tiere leicht krank werden, und dann womöglich alle anderen anstecken.

Es ist zwar verboten, vorsorglich alle Tiere mit Antibiotika zu behandeln, aber die Grenzen zwischen der Behandlung kranker Tiere und der vorsorglichen Behandlung eines ganzen Stalls sind fließend. Problematisch ist das, weil damit die Bildung von Resistenzen gegen Antibiotika weiter gefördert wird – mit dem Risiko, dass sie auch bei der Behandlung von Menschen immer öfter wirkungslos werden. Nach 40 Tagen werden die Masthühnchen geschlachtet. Die natürliche Lebenserwartung eines Huhns liegt zwischen acht und 12 Jahren. So alt wird auch keine Legehenne. Sie ist nach rund 20 Monaten am Ende.

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