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Wirtschaft: Aurelio Malfa

Geb. 1942

Er lernte Buchhalter, kam nach Deutschland und arbeitete als Italiener. Wie macht er das nur?“, seufzten die Jungs des sizilianischen Dorfes, wenn ihr Kumpel Aurelio an ihnen vorbeischlenderte, drei Mädchen an jeder Seite. Wenn er Mädchenpause machte, dann durften die Freunde sein Gitarrenspiel bewundern und im Keller seiner Eltern ein Glas Wein trinken, Aurelio hatte dort ein Mini-Bistro eröffnet.

Doch auch die italienischen Mammas möchten, dass ihre Söhne was Solides anfangen. Und weil Aurelio Malfa seine Mutter liebte, wie nur italienische Söhne ihre Mütter lieben, machte er eine Lehre als Buchhalter. Dann aber kam der Tag, an dem er seinen Onkel Armando in Deutschland besuchte. Und er erkannte, dass er hier mit seiner Lebenslust Geld verdienen konnte: Aurelio Malfa wurde Berufsitaliener.

Er begann in einem italienischen Restaurant im Europa-Center als Musiker und Entertainer, genauer: als Kurdoktor für frierende deutsche Seelen. Entdeckte er an einem der Tische eine vernachlässigte Schöne, so zog er eine Rose hervor und biss ihr mit einer kurzen, geübten Kieferbewegung den Stil ab. Während das Mädchen seinen schönen Mund betrachtete und überlegte, ob er sich nicht an den Dornen verletzt habe, legte er die Blüte vor sie hin und widmete sich wieder seiner Gitarre. Und in den Herzen der Mädchen erwachte mitten im Berliner Novemberwetter ein sizilianischer Sommer.

„Was für ein Kitsch“, murmelte der eine oder andere verdrossene deutsche Gatte. „Gute Unterhaltung!“, riefen vom Nachbartisch die Gebrüder Wölfer über ihre Pizza hinweg und engagierten Aurelio für die Komödie am Kurfürstendamm. Rolle: Italiener. Auch die Fernsehserien hatten Italiener-Rollen zu besetzen: Aurelio kochte tonnenweise Spaghetti, spielte unermüdlich mit Kindern und Tieren, liebte Legionen von Frauen.

Doch was er im Scheinwerferlicht tat, war nur ein müder Abglanz des echten Aurelios, beteuern Armando und Aurelios – „ja, was war ich denn? Schreiben Sie, ich war Aurelios beste Freundin.“

Als diese beste aller Freundinnen Geburtstag hatte, führte er sie in seine Wohnung. „Mach meine Schranktür auf!“ Sie öffnete, und inmitten der T-Shirts tropfte still und leuchtend eine Kerze. „Öffne alles.“ Sie zog sämtliche Schubladen auf, öffnete alle Schränke, noch aus der letzten Sockenschublade flackerte ihr Kerzenschein entgegen.

Er wohnte im zweiten Stock, vorneraus Blick auf den Ku’damm, hintenraus zwar nicht das Mittelmeer, dafür aber ein Garagendach, dem ein blühender Kirschbaum entspross. Hier betrachtete er in lauen Sommernächten die blassen Sterne über Berlin, spielte Gitarre, klopfte mit seinen Cowboystiefeln den Takt und sang auf Französisch: Sag mir, warum seit so vielen Tagen und Nächten ich dich liebe…

Aurelio Malfas Herz war nie lange für eine einzige Frau reserviert. „Das wäre Platzverschwendung gewesen“, sagen Armando und die Freundin. Und weil ihm sein Wohnzimmer zu still war, eröffnete Aurelio Malfa ein Restaurant, das sich zwar nicht rechnete, aber viel Gelegenheit für den alten Rosentrick bot.

Hat ihn denn das Italiener-Klischee niemals genervt? Doch. Etwa, wenn er einer alten Frau die Treppe hochhelfen wollte und diese in ihm einen Mafioso vermutete. Über solche Begegnungen konnte er sich noch Tage später ärgern.

Es kam jener Wintertag, an dem die beste Freundin sich an die Worte einer Berufsrumänin erinnerte. Vor sechs Jahren hatte die einem Kaffeesatz die Prophezeiung entnommen, dass Aurelio eines Tages einfach umfallen würde.

Er lag in seinem Restaurant ohnmächtig auf dem Boden, ein schwerer Asthma- Anfall. Drei Monate lag Aurelio im Koma, Armando, die beste Freundin und die Mamma bewachten ihn Tag und Nacht. Nun war er still, und sie waren es, die sangen, redeten und ihn ermunterten, die sich das Weinen und Klagen verboten. Jetzt ist er wieder in Sizilien. Die Gitarre hängt in der Familiengruft griffbereit neben seinem Sarg.

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