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Wirtschaft: John Runnings

Geb. 1918

Von David Ensikat

Er sah die Mauer im Fernsehen und buchte den FlugnachBerlin Als John F. Kennedy zum zweiten Mal Berlin besuchte, fand er, dass das genügt. Ab sofort war er Berliner. Immerhin nahm er Anteil am Schicksal der Mauerstadt. John Runnings tat das auch, wenn auch nicht vom Balkon des Schöneberger Rathauses aus. John Runnings bekundete seine Anteilnahme mit einem großen Hammer in der Hand direkt auf der runden Mauerkrone.

23 Jahre, nachdem John F. Kennedy Berliner wurde, sah John Runnings zu Hause an der Westküste der Vereinigten Staaten eine Fernsehsendung über die merkwürdige Mauer im fernen Europa. Er sei „wie elektrisiert“ gewesen von den Bildern, sagte er später. Das kann gut sein, denn der Rentner hatte ein spezielles Hobby: Er war ein passionierter Freigeist mit der Lust am illegalen Grenzübertritt. Eine so ausdrückliche Grenze wie jene, die er da im Fernsehen sah, hatte John Runnings noch nie durchbrochen. Er buchte gleich den Flug nach Europa.

Ganz wichtig an John Runnings Hobby war der welthistorische Auftrag. Der Berliner Presse diktierte er: „Ich werde die Mauer in ein Mittel für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit verwandeln.“ Seinen ersten Wandlungsversuch nannte er „International Pee-in“. Möglichst viele Menschen aus der ganzen Welt sollten an die Mauer pinkeln, um so die Fundamente zu erweichen. Die Öffentlichkeit hielt sich zurück, John Runnings pinkelte allein. Und wurde von DDR-Grenzsoldaten ein paar Meter vom Schutzwall weg in den Westsektor abgeschoben. Die Mauer blieb vorerst stehen.

Die Mission war zu groß, als dass der Missionar sich von diesem kleinen Rückschlag hätte beeindrucken lassen. Also griff John Runnings zum Hammer, stieg auf die Leiter, balancierte in 3,60 Metern Höhe auf der Mauer und hämmerte hier und da ein wenig auf sie ein. Das gab sehr schöne Bilder: Ein kleiner, alter Mann mit weißem Bart allein im Kampf gegen Totalitarismus und Weltentrennung. Grenzsoldaten holten ihn herunter, verhörten ihn, wussten mit ihm nichts weiter anzufangen und schickten ihn zurück nach West-Berlin. Hier musste John Runnings feststellen, dass die Mauer immer noch kein Mittel für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit war. Da blieb nichts anderes übrig, als noch einmal hinaufzusteigen, sich festnehmen und abschieben zu lassen. So ging das in diesem Jahr sechs Mal. Nach seinem siebten Wandlungsversuch sperrte ihn die DDR drei Monate lang ein, verurteilte ihn danach zu 18 Monaten Haft auf Bewährung und ließ ihn heimfliegen.

18 Monate lang bewährte sich John Runnings in Amerika – und kehrte im Sommer 1989 wieder in die Mauerstadt zurück. Er war eben ein Berliner.

Zumal ein lernfähiger. Er wusste, dass das mit dem Hammer zwecklos war. Da ihn nun beim Bau eines Rammbocks die offiziellen Stellen West-Berlins nicht unterstützten, wandte John Runnings sich an Rainer Hildebrandt. Der Chef des Museums am Checkpoint Charlie war ein ausgezeichneter Ansprechpartner für Grenzverletzer jeglicher Herkunft, vor allem für jene, von denen er sich ein ausstellbares Belegstück ihrer Grenzverletzung erhoffte. Runnings montierte eine vier Meter lange Holzbohle auf ein rotes Auto, Rainer Hildebrandt lieferte das Material. Die West-Berliner Polizei beschlagnahmte das Utensil, Rainer Hildebrandt holte es auf der Wache ab, versicherte, es John Runnings niemals wieder zu geben und stellte es in sein Museum.

Nachdem die Mauer von ganz alleine aufgegangen war und die Leute hin und her durften, dachte sich John Runnings einen letzten Trick aus: Er verbrannte seinen Pass und lief so lange über die Grenze, immer hin und her, bis ihn die Grenzbeamten endlich festnahmen. Diesmal verhörten sie ihn nicht sondern brachten ihn zum Medizinischen Dienst.

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