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Im August vergangenen Jahres sind die Regeln gegen Telefonabzocke verschärft worden.

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Telefonabzocke: Bei Anruf Betrug

Telefonabzocke nimmt trotz schärferer Gesetze zu. Das Verbraucherministerium fordert den Einsatz von Schwerpunktstaatsanwaltschaften.

Berlin - Was für ein Angebot: „Sie können alles gewinnen, was Sie im Werbefernsehen sehen“, verspricht die Anruferin. Nur eine klitzekleine Voraussetzung sei vorher noch nötig. Man brauche eine spezielle Fernbedienung, und um die zu bekommen, müsse man sich vorher bei ihrer Firma anmelden. Das koste einmalig 59 Euro.

Eigentlich sollte es solche Anrufe nicht mehr geben. Im August vergangenen Jahres sind die Regeln gegen Telefonabzocke verschärft worden. Seitdem müssen Firmen, die Kunden ohne Erlaubnis anrufen, mit Bußgeldern von bis zu 50.000 Euro rechnen. Bis zu 10.000 Euro werden fällig, wenn die Anrufer ihre Telefonnummer unterdrücken und damit eine Identifikation verhindern.

Doch trotz der verschärften Regelungen fühlen sich die Bürger nach wie vor massiv belästigt. Von August vergangenen Jahres bis April gingen bei der zuständigen Bundesnetzagentur 57 000 schriftliche Beschwerden von Menschen ein, die gegen ihren Willen von Firmen angerufen und belästigt worden sind. Und der Trend hält an: „Wir bekommen noch immer viele Beschwerden“, berichtet Sprecher René Henn.

Auch die Verbraucherzentralen kennen das Problem. Im März riefen sie die Verbraucher dazu auf, ihnen ihre Beschwerden über ungewollte Telefonanrufe mitzuteilen. Über 40 000 Menschen haben davon Gebrauch gemacht, berichtet der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Allein zehn Prozent der Beschwerden stammen aus Berlin. Würde man die Daten auf das Jahr hochrechnen, käme man in der Hauptstadt auf über 16 000 Beschwerden, gibt die Verbraucherzentrale Berlin zu bedenken, das wäre verglichen mit dem Vorjahr eine Steigerung um fast 80 Prozent. Besonders häufig seien Klagen über Gewinnspiele und Lotterien.

„Die Datenlage zeigt eindeutig, dass die gesetzlichen Neuregelungen nicht das erforderliche Ergebnis gebracht haben“, kritisiert VZBV-Chef Gerd Billen. Für den obersten deutschen Verbraucherschützer ist die Abzocke am Telefon „die Plage des 21. Jahrhunderts“. Vor allem bei der Gewinnspielwerbung müssten die kriminellen Geschäftsmodelle konsequent bekämpft werden, fordert Billen.

Tatsächlich verbergen sich hinter der Telefonabzocke aber rechtlich unterschiedliche Tatbestände: der Rufnummernmissbrauch und die unerlaubte Telefonwerbung. Beim Rufnummernmissbrauch werden Bürger – meist von Computern oder mittels Bandansage – angerufen, wobei ihnen weisgemacht wird, bei einem Gewinnspiel gewonnen zu haben. Um den Gewinn einzufordern, soll der vermeintliche Glückspilz eine 0900er-Nummer zurückrufen, Kosten pro Minute: bis zu drei Euro. Die Bundesnetzagentur, die von solchen Missbräuchen erfährt, ordnet eine Abschaltung der Nummern an und verbietet den Anbietern, den betroffenen Kunden eine Rechnung zu schicken und die Telefongebühren für den Rückruf einzutreiben. In welchen Fällen sie das bereits getan hat, kann man im Internet nachlesen (www.bundesnetzagentur.de). Das Problem: „Wenn die Bundesnetzagentur eine Nummer kappt, besorgt sich der Anrufer eine neue“, warnt VZBV-Sprecher Christian Fronczak.

Auch der Kampf gegen unerlaubte Telefonwerbung ist in der Praxis kompliziert. „Wir müssen erst einmal den konkreten Sachverhalt ermitteln“, sagt René Henn von der Bundesnetzagentur. Da es beim Telefonat erfahrungsgemäß keine weiteren Beteiligten gibt, sei es wichtig, dass die Verbraucher möglichst auch als Zeugen zur Verfügung stehen und vorher viele Details notieren – wer hat angerufen, von wo, wann klingelte es und was hat der Anrufer gesagt? Dann muss die Agentur unter anderem klären, ob nicht doch eine Einwilligung des Kunden vorliegt. „Das ist sehr schwierig“, gibt Henn zu bedenken. „Die vielfach von den jeweiligen betroffenen Unternehmen vorgelegten Einwilligungserklärungen müssen rechtlich geprüft werden.“

Elf Mal hat die Behörde bisher Bußgelder gegen unerlaubte Telefonwerber verhängt – und zwar sowohl gegen die Callcenter als auch gegen die Firmen, für die diese Dienstleister arbeiten –, die Strafzahlungen summieren sich auf 694 000 Euro. Doch in acht Fällen wehren sich die Firmen jetzt vor Gericht, nur eine hat das Bußgeld akzeptiert. Dennoch macht die Behörde weiter Druck. „Gegenwärtig laufen Ermittlungen in einem hohen zweistelligen Bereich“, berichtet Henn, „wir werden bald neue Bußgelder verhängen.“ Henn hofft darauf, dass das Amtsgericht Bonn die bisherigen Bußgeldbescheide bestätigt. „Das würde uns die weitere Arbeit erleichtern.“

Verbraucherschützer fordern weitere Schritte. Sie verlangen, dass telefonisch geschlossene Verträge nur dann wirksam sein sollen, wenn der Verbraucher sie hinterher schriftlich bestätigt. „Die paradoxe Situation, dass Anrufe verboten, die in der Folge abgeschlossenen Verträge aber gültig sind, muss ein für alle Mal beendet werden“, meint VZBV-Chef Billen. Außerdem solle das Bußgeld für unerlaubte Anrufe auf bis zu 250 000 Euro heraufgesetzt werden.

Julia Klöckner, Staatssekretärin im Bundesverbraucherschutzministerium, fordert die Länder auf, Callcentern die Gewerbeerlaubnis zu entziehen, wenn sie wiederholt gegen das Gesetz gegen unerlaubte Telefonwerbung verstoßen. Zudem sollten Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet werden, die sich gezielt mit Betrügereien am Telefon befassen. In zwei Jahren soll das Gesetz überprüft werden, kündigte Klöckner an. Bis dahin können die Firmen noch viele Geschäfte machen. Heike Jahberg

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