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Die Pille feiert Geburtstag.

© Thilo Rückeis

Verhütung: Kleine Revolution : 50 Jahre Antibabypille

Hundert Millionen Frauen nehmen weltweit die Pille. Und in vielen Ländern Afrikas und Asiens gibt es ein großes Nachfragepotenzial.

Sie ist winzig klein und hat doch so viel verändert: Die Antibabypille, die im Sommer 1960 in den USA auf den Markt kam, hat für Millionen von Frauen eine neue Freiheit geschaffen. Durch das Hormonpräparat war Verhütung plötzlich deutlich sicherer, die Familienplanung einfacher, die Vereinbarung von Kindern und Beruf besser möglich. Was damals noch neu war, und auch bei etlichen Medizinern und Vertretern der Kirche die Gemüter erhitzte, ist heute für viele Frauen zur Normalität geworden: Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nehmen in Deutschland 55 Prozent der 20- bis 44-Jährigen die Pille, bei den 20- bis 29-Jährigen sind es sogar 72 Prozent. Weltweit hat das Medikament, das unter so blumigen Namen wie Bella, Yasmin oder Aida vertrieben wird, mehr als 100 Millionen Nutzerinnen.

Mehr als 20 Unternehmen in Deutschland – darunter große Konzerne wie Bayer und die deutsche Pfizer sowie Hersteller von Nachahmermedikamenten wie die Novartis-Tochter Hexal – vertreiben heute rund 100 verschiedene Pillen. Dazu kommen Parallelimporteure, die die Originalpräparate im Ausland kaufen und hier unter ihrem Firmennamen günstiger vertreiben.

Der Markt mit hormonellen Verhütungsmitteln ist lukrativ: Der Leverkusener Pharmakonzern Bayer kaufte sich mit der Übernahme der Berliner Schering AG im Jahre 2006 in das Geschäft mit den Antibabypillen ein. Heute hat das Unternehmen 20 Pillen im Portfolio, sie sind ein wichtiger Umsatztreiber. Allein mit der Produktfamilie um Yaz, Yasminelle und Yasmin wies der Konzern in der Bilanz 2009 einen weltweiten Umsatz von 1,28 Milliarden Euro aus.

Im gesamten Bereich der Frauenmedizin, von dem die Pille einen Großteil ausmacht, erwirtschaftete Bayer 2009 weltweit rund 2,9 Milliarden Euro Umsatz. Das Pharmaunternehmen Grünenthal, das nach eigenen Angaben acht Präparate herstellt, machte 2009 mit seinen Antibabypillen einen Bruttoumsatz von 51 Millionen Euro.

Und es gibt noch viel Potenzial. Denn obwohl in den Industrienationen die Pille verbreitet ist, wird sie in vielen Entwicklungsländern kaum genutzt. Weltweit nehmen nach Daten der Vereinten Nationen unter Frauen zwischen 15 und 49 Jahren, die in einer Beziehung oder Ehe leben, nur knapp neun Prozent die Pille, in Afrika sind es acht, in Asien knapp sieben Prozent. Auch in Europa liegt die Zahl der Nutzerinnen mit 20 Prozent noch niedrig. Einzig in Westeuropa, darunter Frankreich, Deutschland, Belgien und die Niederlande, verhüten fast die Hälfte der Frauen mit der Pille.

In vielen Fällen liegt das an der mangelnden Verfügbarkeit: „Für viele Menschen in Afrika gibt es kaum einen Zugang zur Pille, und wenn, ist sie oftmals zu teuer“, sagt Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart. Auch in islamischen Ländern gebe es viel Potenzial, denn die Religion lasse eigentlich die Nutzung der Antibabypille zu.

Bayer will mit seiner Pille Yaz nun auch den japanischen Markt erschließen. „Bisher gibt es in Japan aus kulturellen Gründen eine geringe Akzeptanz der Pille“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Ende Juli hatte die dortige Arzneibehörde das Verhütungspräparat zugelassen – aber zunächst nur für die Behandlung krampfartiger Regelschmerzen. Wie groß das Potenzial ist, erklärt Bayer in einer Mitteilung: „In Japan leben etwa 27 Millionen Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter. Etwa ein Drittel davon leiden unter behandlungsbedürftigen Regelschmerzen.“

Für Bayer häufen sich trotz der seit Jahrzehnten andauernden Erfolgsgeschichte der Pille derzeit die schlechten Nachrichten. Denn das Drospirenon-Präparat Yasmin – die meistverkaufte Pille der Welt – geriet in den vergangenen Monaten vermehrt in die Schlagzeilen. Zeitungen berichteten über schwerste Nebenwirkungen bis hin zum Tod. So schockte etwa der Fall einer jungen Schweizerin, die wenige Wochen die Pille Yasmin einnahm und nun aufgrund einer Lungenembolie behindert ist.

Das Risiko, eine Thrombose zu bekommen, wird durch alle Antibabypillen erhöht. Nach zwei von Bayer finanzierten Studien wurde Yasmin das gleiche Risiko attestiert wie Pillen mit dem seit Jahrzehnten verwendeten Gestagen Levonorgestrel. 2009 wiesen dann zwei unabhängige Studien für Yasmin ein höheres Risiko aus als bisher vermutet. Bayer verwies auf Mängel in den Studien, musste aber trotzdem in Deutschland, der Schweiz und in den USA die Beipackzettel anpassen. Dennoch liege das Thromboserisiko mit Yasmin unter dem Risiko, das etwa bei einer schwangeren Frau bestehe, erklärt der Pharmakonzern. Zudem hänge vieles von persönlichen Risikofaktoren wie Übergewicht oder erblicher Vorbelastung ab. In Deutschland liegen nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zwölf Berichte über Todesfälle vor, bei denen die Frauen Yasmin oder Pillen mit der gleichen Wirkstoffkombination genommen hatten, weltweit sollen es bisher 190 Todesfälle sein.

Bayer verweist darauf, dass die Fälle nur Verdachtsmeldungen seien, bei denen erst geprüft werden müsse, ob tatsächlich ein Zusammenhang mit der Einnahme von Yasmin bestehe. „Die Ärzte, die einen Spontanbericht an uns senden, tun das, wenn sie einen Kausalzusammenhang zwischen Medikament und Nebenwirkung für möglich halten“, erklärt Ulrich Hagemann vom BfArM. Dennoch sei der Eindruck, dass Yasmin besonders gefährlich sei, auch durch die Berichterstattung in den Medien hervorgerufen. „Eigentlich ist das Thromboserisiko etwas niedriger, nicht größer als bei Pillen der dritten Generation“, sagt Hagemann dazu.

2700 Klagen wegen Nebenwirkungen und Todesfällen, die möglicherweise im Zusammenhang mit der Einnahme der Yaz und Yasmin stehen könnten, sind in den USA nun anhängig. Ob Bayer die Klägerinnen entschädigen muss, werden die Gerichte klären.

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