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Zukunft des Euro: „Die Schuldenbremse ist pervers“

Der Euro, Devisenmärkte, Pleite-Staaten, Bankenkrise – wer blickt da noch durch? Peter Bofinger kann das alles erklären und zeigt Wege aus dem Schlamassel.

Peter Bofinger, 58, zählt als einer der „Fünf Wirtschaftsweisen“ zu den profiliertesten deutschen Ökonomen und ist Professor an der Universität Würzburg. Sein aktuelles Buch heißt „Zurück zur D-Mark?“.

Herr Bofinger, wie lange geben Sie dem Euro noch?

Den Euro werden wir auch in 20 Jahren noch haben. Doch es wird ein Tanz am Abgrund.

Sie haben selbst vergangenes Jahr gewarnt, ein „Weiter so“ führe „ins Desaster“.

Wenn die Problemländer weiter mitten in der Rezession die Staatsausgaben kürzen, wird das ihren Niedergang und die Arbeitslosigkeit so verschärfen, dass die Regierungen weitere Sparprogramme nicht mehr durchsetzen können – und dann wird es zum Schwur kommen.

Das heißt?

Entweder sie scheiden freiwillig aus dem Euro aus, weil sie lieber eine neue, eigene Währung 20 Prozent abwerten, als noch einmal 20 Prozent Lohnsenkung durchzusetzen. Das würde ihre Wettbewerbsfähigkeit auf einen Schlag drastisch verbessern und zudem die Nachfrage in den Ländern auf inländische Produkte umlenken. Oder man muss sie – wenn es beim bisherigen Kurs bleibt – rauswerfen, indem man sie insolvent gehen lässt, weil die Europäische Zentralbank (EZB) gesagt hat, wir stützen die Krisenländer mit dem Kauf ihrer Staatsanleihen nur gegen weitere Sparauflagen.

Warum wäre das so schlimm?

Ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Währungsunion würde enorme Verunsicherung stiften. Denken Sie nur an die vielen tausend grenzüberschreitenden Verträge. Der spanische Staat könnte ja beschließen, überall, wo vorher ein Euro stand, sind das jetzt zehn Peseten. Aber die Deutschen wollen für ihre Waren wie vereinbart Euro! Wie soll das gehen? Im Bankensystem wäre es noch schlimmer, weil die spanischen Banken eine Menge Verbindlichkeiten in Euro haben. Was passiert damit? Es gibt dafür keinen Plan.

Ihre Prognose: Vollbremsung für die Wirtschaft?

Sicher, und den größten Schaden hätte Deutschland. Allein unsere Banken haben gegenüber dem Euroraum etwa 900 Milliarden Euro an Forderungen, und die Deutschen insgesamt haben ein noch viel größeres Vermögen im Euro-Ausland. Wenn ein Land wie Spanien austritt, wäre das ein Tabubruch. Sofort würde spekuliert, dass Italien der Nächste sein könnte. Das würde eine nicht kontrollierbare Kettenreaktion auslösen.

Warum kann man nicht einfach sagen: Hey, Leute, das mit dem Euro war ein Experiment. Leider ist es fehlgeschlagen. Gehen wir also geordnet zurück auf Lira, Mark und Drachme …

Könnte man theoretisch, doch damit würde man die europäischen Staaten wieder voll den Finanzmärkten ausliefern. Mit Mark, Lira, Franc oder Pesete wäre die ganze Devisenspekulation, die wir mit der Euro-Gründung ausgeschaltet haben, sofort wieder da.

Die Deutschen haben früher ganz gut damit gelebt.

Aber es gab große Spannungen. Frankreich hat massiv unter den spekulativen Attacken auf den Franc gelitten. Die Franzosen und auch die anderen heutigen Euro-Länder mussten einen höheren Zins zahlen als die Deutschen, weil ihre Währungen immer unter Abwertungsverdacht gegenüber der D-Mark standen. Für dieses Risiko forderten die Kapitalgeber höhere Zinsen, das hat Europas Wirtschaft erheblich gebremst.

Wie lief das ab?

Etwa, als nach der deutschen Einheit die Preise hierzulande stiegen und die Bundesbank die Zinsen drastisch hochsetzte, da mussten die anderen folgen, obwohl sie damit bei sich die Konjunktur abwürgten. So hatten die Spekulanten leichtes Spiel, auf Abwertung zu wetten. Diesen Geist würde man wieder aus der Flasche lassen. Ganz Europa wieder wehrlos den Devisenmärkten auszusetzen, das wäre nun wirklich die falsche Konsequenz.

Hat die "Alternative für Deutschland" recht?

Die Gründer der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), darunter auch Professoren für Volkswirtschaft wie Sie, versprechen, mit der Auflösung des Euroverbundes werde alles wieder gut. Sind die dümmer als Sie?

Zugegeben, niemand weiß, was genau passieren würde. So einen Fall hat es nie gegeben. Also kann man sich nicht auf empirisch ermittelte Werte stützen. Bekannt ist jedoch, dass es extreme Ausschläge geben kann, wenn ein fester Wechselkurs aufgegeben wird, wie ihn der Euro zwischen den Mitgliedsländern schafft. Als während der Asienkrise dort die Dollarbindung der Währungen zerbrach, sind diese regelrecht implodiert! Die indonesische Rupie wurde auf ein Viertel eingedampft.

Die AfD gehört ja zum konservativen Lager, doch nun fordert auch Oskar Lafontaine die Rückkehr zur D-Mark.

Das sollten sich die Linken gut überlegen. Schließlich würde damit die Deutsche Bundesbank zu alter Herrlichkeit aufsteigen und wie früher ganz Europa ihre Zinspolitik diktieren. Was daran links war, müsste Herr Lafontaine noch mal erklären.

Die Kanzlerin und ihr Finanzminister versprechen ja seit 2010, den Euro zu „retten“. Das geht vielen zu weit, weil sie fürchten, die deutschen Steuerzahler müssten für die Schulden der anderen zahlen. Haben Merkel und Schäuble nicht im besten europäischen Sinn gehandelt?

Ohne die Rettungsprogramme gäbe es den Euro heute nicht mehr, das stimmt. Sie haben den Krisenstaaten Kredite zu bezahlbaren Konditionen verschafft, die sie am Markt nicht mehr bekamen. Doch die Auflagen zur Kürzung von Staatsausgaben, Löhnen und Renten waren überzogen und haben die Krise dort noch schlimmer gemacht. Das hat den Euroverbund nur deshalb nicht gesprengt, weil EZB-Chef Draghi im vergangenen Juli so markant versprach, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen und den Euro zu retten, „whatever it takes“.

Wenn ein Staat überschuldet ist und keinen Kredit mehr bekommt, dann muss er eben sparen ...

… aber nicht so, dass in der Folge die Steuereinnahmen schneller sinken, als der Staat sparen kann, weil die Wirtschaft kollabiert.

Wie soll es sonst gehen?

Da setzen die USA den Standard. Nach der Finanzkrise war die Lage dort ganz ähnlich wie in der Eurozone. Beide hatten eine geplatzte Immobilienblase und Bankenkrise, in beiden ging die Arbeitslosigkeit auf zehn Prozent hoch. Doch die Amerikaner haben seitdem gut doppelt so viel Staatsdefizit hingenommen wie wir im Euroraum. Im Ergebnis liegt die Arbeitslosigkeit in den USA wieder unter acht, im Euroraum über zwölf Prozent.

Dafür haben die USA einen Riesenschuldenberg.

Ja und? Bei uns heißt es immer, man könne Schulden nicht mit Schulden bekämpfen. Das ist falsch. Das Problem ist die exzessive private Geldersparnis, die der Wirtschaft Nachfrage entzieht und alles bremst. Die Amerikaner bekämpfen das richtigerweise mit einer höheren Staatsverschuldung. Wenn der private Sektor seine Ausgaben normalisiert, kann der Staat das Defizit zurückfahren.

Amerika macht es besser?

Ganz klar, und wir profitieren davon. Die USA sind das einzige große Land, wo unsere Exporte richtig gut laufen. Wir müssten den Amerikanern jeden Tag eine Kerze anzünden dafür, dass sie die Politik machen, die unsere Regierung für falsch hält.

Selbst wenn sie wollten, könnten die Krisenländer der Eurozone dem US-Vorbild gar nicht folgen. Sie bekommen ja jetzt schon keine zusätzlichen Kredite mehr, oder wenn, dann nur zu sehr hohen Zinsen.

Ja, wir müssten endlich den Mut haben, den Konstruktionsfehler des Euro zu beseitigen, nämlich dass alle 17 Länder eine rein nationale Fiskalpolitik machen. Man hätte längst sagen müssen: Wenn ihr den Euro wollt, dann müssen wir die Integration so organisieren, dass das System stabil wird.

Sie wissen, wie das laufen könnte?

Wir brauchen die gemeinschaftliche Haftung. Gemeinsam sind die Euro-Staaten genauso stark wie die USA. Darum haben wir als Sachverständigenrat Ende 2011 einen Schuldentilgungspakt vorgeschlagen, mit dem alle Schulden über 60 Prozent der jeweiligen nationalen Wirtschaftsleistung in einen Fonds übertragen würden, für den gemeinschaftlich gehaftet wird. Damit würden wir das Insolvenzrisiko für einzelne Staaten aus der Welt schaffen, das bisher alles durcheinanderbringt.

Eine gemeinsame Haftung ändert ja an der Höhe der Schulden nichts!

Aber es senkt die Zinsen für die Krisenländer. Wenn Italien drei Prozent Zinsen zahlen muss, ist das kein Problem, nur sechs oder sieben Prozent würden die Staatskasse überfordern. Es gibt keine objektiven Grenzen für Staatsverschuldung.

Wenn alle gemeinsam haften, dann könnten die Krisenländer auf das Risiko anderer Schulden machen.

Darum müssen wir, wenn wir den Euro halten wollen, tatsächlich eine europäische Entscheidungskompetenz einführen. Es braucht einen Finanzminister für alle Euro-Staaten. Dann kann man einem Land wie Italien sagen, wir akzeptieren euer Budget nicht. Entweder ihr macht ein neues oder wir entscheiden, dass bei euch die Mehrwertsteuer um drei Punkte erhöht wird.

Das wäre eine Art europäischer Zentralregierung. Die müsste vom EU-Parlament gewählt und kontrolliert werden, wie Sie gemeinsam mit dem Philosophen Jürgen Habermas vorgeschlagen haben. Dafür müssten aber der EU-Vertrag geändert und in allen Euro-Staaten Volksabstimmungen durchgeführt werden – mit höchst ungewissem Ausgang.

Mag sein, doch was ist die Alternative? Da bleibt nur das Zurück zu den alten Währungen. Wir müssen jetzt mit diesem Rumeiern aufhören. Der Euroraum ist schon im zweiten Jahr der Rezession, und jetzt drückt sie mit Macht rein nach Deutschland.

Zuletzt hat sogar der Internationale Währungsfonds festgestellt, dass die Sparpolitik nicht funktioniert, sondern die Verschuldungsquote noch steigert. Warum halten die Euro-Gewaltigen trotzdem an dem Kurs fest?

Das kann man nur mit dem neurotischen Verhältnis der Deutschen zur Staatsverschuldung erklären. Begründet wird das immer mit der Erfahrung der Hyperinflation von 1923 und der Währungsreform 1948. Den schlimmsten Schaden hat aber die Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning in den 30ern angerichtet. Verrückterweise folgt die aktuelle Politik diesem Geist.

Wirtschaftswissenschaft scheint eben vielen unzuverlässig. Was haben Sie Ihrer Tochter gesagt, wenn sie fragte: Papa, was machst du eigentlich im Büro?

Ich habe ihr erklärt, Volkswirte seien so was wie Ärzte für die Volkswirtschaft. Die ist auch ein System wie der menschliche Körper, der im Normalfall sich selbst steuert. Nur wenn einzelne Organe krank werden, muss man eine Therapie machen.

Warum die Gemeinde der Ökonomen so gespalten ist

Doch die Wirtschaftsärzte kommen oft zu völlig gegensätzlichen Antworten. Die einen sagen, raus aus dem Euro, die anderen wollen dabei bleiben. Sie sagen, fünf Prozent Lohnerhöhung in Deutschland seien jetzt das Richtige, andere Ökonomen sagen, das koste Millionen von Jobs.

Ärzte haben es da insofern leichter, weil sie viel mehr Studien darüber machen können, wie welche Therapie wirkt. Wir haben im Fall der Währungsunion nur einen einzigen Patienten, da gibt’s zwangsläufig unterschiedliche Einschätzungen.

Ist die Gemeinde der Ökonomen darum so gespalten wie die Kirchen?

Da gibt es tatsächlich Glaubensrichtungen. Für die einen ist der Markt das Gute und der Staat das Böse, und wie bei den Katholiken ist das Böse immer präsent und muss bekämpft werden ...

... die sogenannten Neoklassiker ....

… und für die andere Schule ist der Markt das Böse und der Staat das Gute. Ich mag diese Schwarz-Weiß-Sicht nicht.

Vor 2008 wurde Ihre Fraktion, die den Lehren des Ökonomen John Maynard Keynes folgt, nur noch belächelt. Dann demonstrierte die Finanzkrise, dass der entfesselte Markt zu Katastrophen führt. Für Ihre Reputation muss das bombig gewesen sein.

Bei meiner Berufung in den Rat 2004 nannte mich ein Journalist den „allerletzten Keynesianer“, das war als Schimpfwort gemeint. Nach Ausbruch der Krise haben alle Regierungen von den USA bis nach China auf staatliche Konjunkturprogramme gesetzt und so eine Depression wie in den 30ern verhindert. Plötzlich fanden dann auch alle Ökonomen den keynesianischen Ansatz richtig. Verrückt ist nur: Jetzt ist das alles wieder vergessen, und es werden die völlig falschen Konsequenzen gezogen.

Die Regeln für die Finanzmärkte zu verschärfen ist doch wohl richtig.

Sicher, aber zum Beispiel die Schuldenbremse ist eine völlig perverse Reaktion. Da schreibt jetzt die Verfassung vor, dass der Staat keine neuen Schulden mehr machen darf, auch wenn er damit dringend benötigte Investitionen finanziert. Die Akteure an den Finanzmärkten haben nun wirklich demonstriert, dass sie das viele ihnen anvertraute Geld nicht sinnvoll anlegen können. Also wäre es nur vernünftig, dass der Staat die Sparvermögen der Bürger einsetzt, um etwa die Energienetze auszubauen oder die überlasteten Universitäten zu modernisieren. Aber nein, diesen Weg verbauen wir jetzt in ganz Europa per Verfassungsrecht.

Das zeigt, wie schwach Ihre Fraktion ist. Im Rat der fünf Wirtschaftsweisen sind Sie ja auch nur, weil die Gewerkschaften das Vorschlagsrecht für eines der Mitglieder haben. Die anderen vier zählen eher zu den Marktgläubigen. Sind Sie nur ein Feigenblatt?

Nein, wir arbeiten da sehr kollegial zusammen. In wichtigen Punkten finden wir auch gemeinsame Standpunkte, das zeigt ja der Vorschlag zum Schuldentilgungspakt.

Sie wären ja fast mal Bundesbankpräsident geworden und würden dann heute im Rat der EZB sitzen. 2004 hat Gerhard Schröder Sie für den Posten vorgeschlagen …

… aber sein Finanzminister Hans Eichel hat das verhindert.

Was hatte Eichel gegen Sie?

Der Punkt war wohl, dass der heutige EZB-Direktor Jörg Asmussen, der bei Eichel einflussreicher Abteilungsleiter für Finanzmarktpolitik war, seinen Ausbilder Axel Weber durchsetzen wollte.

Da hat sich ein Abteilungsleiter gegen den Kanzler durchgesetzt?

Ich saß schon mit Schröder beim Rotwein abends im Kanzlerbüro, als Eichel mit Rücktritt drohte, und Schröder sagte, dann geht’s eben nicht.

Haben Sie später mal mit Eichel gesprochen?

Ach je, es hat keinen Sinn mit dem Schicksal zu hadern. Ich hatte ja einen interessanten Job. Der andere Posten wäre sicher spannender gewesen, dafür bin ich jetzt entspannter. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob Herr Eichel nun mein Feind war oder vielleicht mein größter Wohltäter.

— Am 16.5. diskutiert Peter Bofinger mit Sahra Wagenknecht über die Zukunft des Euro: um 19.30 Uhr in der HWR, Badensche Str. 51–52, Haus B.

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