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Zum Tod von Berthold Beitz: Der Dickkopf von der Villa Hügel

Thyssen-Krupp-Chef Berthold Beitz galt schon zu seinen Lebzeiten als Legende. Er war einer der wichtigsten Manager der deutschen Nachkriegsgeschichte und bis zuletzt starker Mann des größten deutschen Stahlkonzerns.

Jürgen Claassen hatte alle Mühe, den Alten von seiner Idee abzubringen. Als Erich Honecker in den Monaten nach der Wende behandelt wurde wie ein Strauchdieb, hatte Berthold Beitz Mitleid und wollte seinem ehemaligen Jagdfreund Asyl geben. Vielleicht nicht gerade in der Essener Villa Hügel, aber irgendwo im Westen hätte Beitz sicher ein Gästehaus der Firma Krupp gefunden. Claassen, für Presse und Public Relations zuständig bei Krupp, brachte Beitz schließlich von der Idee ab, die so typisch war für den Mann mit dem ganz eigenen Kopf.

Berthold Beitz war eine Jahrhundertfigur, in einer Zeit ohne Moral hat er sich als moralisches Vorbild erwiesen. Ein Zeitzeuge hat ihn einen „Engel, der plötzlich in die Hölle kam“ genannt. Die Hölle, das war das von der Wehrmacht besetzte Ostgalizien ab 1941 für die dort lebenden Juden. Beitz versuchte, viele von ihnen zu retten. Noch 2007, als er mit seinem Biografen Joachim Käppner über seine Erlebnisse sprach, war dem nun greisen Mann die Erschütterung anzumerken: „Alle Beteiligten verhielten sich so, als sei es ganz normal, am helllichten Tag eine Jüdin zu erschießen, während ihr kleines Kind neben ihr stand.“ Er fand das nicht normal, deshalb tat er, was unter den damaligen Bedingungen als wahnsinnig gelten musste: sein Leben für andere Leben zu riskieren.

Eine gewisse Abenteuerlust gehörte bei Berthold Beitz gewissermaßen zur genetischen Grundausstattung. Er wurde 1913 in Vorpommern geboren, sein Vater war Soldat und arbeitete später im Finanzamt. Der Sohn absolviert eine Banklehre in Stralsund, träumt von einer Karriere in China oder Amerika und landet stattdessen bei der Erdölgesellschaft Shell in Hamburg.

Beitz beschäftigt zeitweilig mehr als 1200 Juden

Nach Boryslaw in der heutigen Ukraine kommt er 1941 als Manager der späteren „Karpathen Öl AG“, mit 27 Jahren ist er für 13 000 Arbeiter und kriegswichtigen Treibstoffnachwuchs verantwortlich. Der große, blonde und blauäugige Zivilist besitzt natürliche Autorität, auch gegenüber der SS tritt er selbstbewusst auf. Beitz beschäftigt zeitweilig mehr als 1200 Juden als echte oder angebliche Rüstungsarbeiter seiner Ölfirma. Er richtet ein Firmenlager ein für die jüdischen Mitarbeiter und ihre Angehörigen, mit seiner Ehefrau Else versteckt er jüdische Kinder in seiner Villa. Jahrzehnte später wird er in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zu einem der „Gerechten unter den Völkern“ ernannt.

Im Herbst 1952 machen sich Beitz und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der letzte Krupp, einen schönen Abend in einem Hamburger Hotel. Der smarte, damals 39-jährige Generaldirektor der Iduna Versicherung gefällt Krupp. Und der Stahlunternehmer macht Beitz ein Angebot, das der nicht ablehnen kann. Neben der Funktion, Beitz wird Generalbevollmächtigter, dürfte auch das Geld eine Rolle gespielt haben: Beitz bekommt ein Jahresgehalt von einer Million D-Mark. In der damaligen Zeit eine gewaltige Summe. Dass er das Geld wert war, stand für den jungen Mann außer Frage. Selbstbewusst, gut aussehend und beruflich erfolgreich – Zweifel an seinem Tun und Wirken haben Beitz selten belästigt. Bis ins hohe Alter hinein verkörperte er in seinen Maßanzügen Würde und Haltung. Wer im Konzern etwas wollte, musste bei Beitz in der Villa Hügel vorsprechen. Da fühlte er sich wohl

Ideologisch bedingte Berührungsängste kannte er nicht

Mit den konservativen Ruhrgebietsbaronen und auch dem Bundesverband der Industrie legte er sich in den 50er an, als er seine eigene Agenda verfolgte. Verbände, Vereine oder gar Parteien waren nichts für ihn, Beitz fühlte sich als Einzelgänger wohl. Auch im kalten Krieg hinter dem eisernen Vorhang. Gegen den Widerstand Konrad Adenauers knüpfte er geschäftliche und auch politische Kontakte nach Osteuropa, bis in in die Sowjetunion. Ideologisch bedingte Berührungsängste kannte er nicht. Das tat dem Konzern gut, der in den 50er und 60er Jahren rasant wuchs auch auf den Märkten im Ausland.

Seit 1967, seit dem Tod von Alfried Krupp, steuerte der Generalbevollmächtigte das weltberühmte Unternehmen allein. Als es schlecht stand in den 60er Jahren und sich die Banken abwendeten, musste der stolze Beitz beim Staat um eine Bürgschaft bitten. Hermann Josef Abs, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hatte die Lage dramatisch gesehen und Krupp hängen gelassen – später entschuldigte sich Abs dafür bei Beitz. Die staatliche Bürgschaft hatte Beitz übrigens nicht gebraucht.

In seinen letzten Lebensmonaten musste er erkennen, wie sein Lebenswerk wankt

Der Generalbevollmächtigte nahm seinen Job als Testamentsvollstrecker nicht nur ernst – er scheute auch vor Abenteuern nicht zurück: Um den Konzern zu sichern, Krupp brauchte mal wieder Geld, nahm Beitz Mitte der 70er Jahre den Iran als Aktionär auf. Der Schah investierte mehr als eine Milliarde in die Firma. Diverse Stahlkrisen folgten, und Beitz war immer dabei: Krupp übernahm den Dortmunder Rivalen Hoesch, der Beitz-Manager Gerhard Cromme schloss mit dem Segen des Alten das Werk in Duisburg-Rheinhausen. Das Ruhrgebiet kochte, Cromme und Beitz machten Zugeständnisse, und zogen die bittere Entscheidung doch durch. Um den Konzern im Ganzen zu stabilisieren. „Krupp, das ist mein Leben“, daran ließ Beitz bis zuletzt keinen Zweifel und zog schließlich auch noch die entscheidenden Strippen beim Zusammenschluss von Thyssen und Krupp. Ein Weltkonzern für Stahl und Stahlprodukte, das war Krupp gewesen. Und konnte doch am Ende nicht allein bestehen.

Als Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, die heute noch 25,3 Prozent an Thyssen-Krupp hält, hatte Beitz immer das letzte Wort. Und er legte Wert auf eine jährliche Ausschüttung an die Stiftung, damit die genügend Geld für gute Taten hatte. Vor wenigen Jahren erst wurde mit Stiftungsgeld das neue Museum Folkwang in Essen gebaut. Beitz förderte unter anderem Krankenhäuser und die Medizinforschung, die Ruhruni in Bochum und nicht zuletzt die Ernst-Ludwig-Arndt-Universität in seiner Heimatstadt Greifswald, die dem Mann aus dem Ruhrgebiet in den Jahren nach der Wende viel zu verdanken hatte.

Beitz legte immer größten Wert auf Sozialpartnerschaft

„Seine großen Verdienste für die Menschlichkeit haben auch die Unternehmenskultur und das Miteinander bei Thyssen-Krupp entscheidend geprägt“, heißt es am Mittwochnachmittag in einer Mitteilung des Konzerns. Tatsächlich legte Beitz immer größten Wert auf Sozialpartnerschaft, auf Einvernehmen mit den Mitarbeitern und Betriebsräten und Gewerkschaften. „Wenn der Alte ruft, dann kommen wir“, beschrieb ein Gewerkschafter den Status und die Rolle von Beitz. Der wies gerne auf ein Motto von Alfried Krupp hin: „Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein.“

„Deutschland hat einen Mann verloren, dem Gemeinschaft nicht nur ein Wort, sondern ein Wert war – einer der höchsten überhaupt“, würdigte Bundespräsident Joachim Gauck am Mittwoch das fast hundertjährige Leben und Wirken Beitz’. Von einer der „angesehensten und erfolgreichsten Unternehmerpersönlichkeiten“ sprach die Bundeskanzlerin, und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erinnerte an den Sportsmann, der anderthalb Jahrzehnte im Internationalen Olympischen Komitee saß. Der Klassenfeind schließlich, IG Metall–Chef Berthold Huber, hob drei Charakterzüge hervor: „Verantwortungsbereitschaft, Mut und Entschlossenheit.“ Das ist wohl so, wenngleich es dem Hochbetagten zuletzt daran gebrach. Sein Konzern geriet in eine Existenzkrise – aufgrund von Fehlern, die er selbst mit zu verantworten hat.

Fünf Milliarden Euro sollten zwei neue Stahlwerke kosten, die Thyssen-Krupp vor bald zehn Jahren in Brasilien und den USA zu planen begann. Es wurden mehr als zehn Milliarden. Beitz, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats, ließ ebenso wie sein Vertrauter, der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme, die Dinge laufen. Es entlarvte sich dann etwas, das auch auf Beitz zurückgeht und den Konzern in der Existenz bedrohte: Eine Unternehmenskultur der Anpassung und Kritikfeindlichkeit im Management hatte den mit Abstand größten deutschen Stahlkonzern in die Irre laufen lassen. Riesige Schulden, Korruption und Selbstbedienung von Managern – Beitz sah nicht mehr durch. Anfang des Jahres, als die Krise mal wieder auf einem Höhepunkt war, befand der alte Mann von der Villa Hügel aus, wo er sich noch immer jeden Morgen hinfahren ließ: „Cromme bleibt.“ Ein paar Wochen später war Cromme, der Beitz eigentlich an der Spitze der Krupp-Stiftung beerben sollte, weg. Die Probleme sind geblieben. Entscheidend für Beitz waren immer Unabhängigkeit und Einfluss der Stiftung. Über so viele Jahrezehnte hatte der großartige Stratege das bewahren können, und es ist eine Tragik, dass er in den letzten Lebensmonaten erkennen musste, wie sein Lebenswerk wankte. Jetzt braucht der Konzern zum Überleben mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kapitalerhöhung, an der sich die Stiftung aber nicht beteiligen kann. In der Folge rutscht der Anteil der Stiftung unter die Sperrminorität von 25 Prozent. Der Einfluss ist futsch, und die Stiftung ist nur noch ein ganz normaler Aktionär.

Das erlebt der große Alte nicht mehr. Eine Jahrhundertgestalt, dessen Konzern heute mal wieder in der Krise steht. Ein Mensch und Manager, der so ziemlich alles überstrahlt und überragt, was die deutsche Industrie im 20. Jahrhundert geprägt hat.

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