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Eine Zeichnung zeigt zwei Männer, die inmitten von Skulpturen stehen.

© Privatsammlung; mit freundlicher Abdruckgenehmigung des Künstlers

Alexander von Humboldt als Sammler: „Ich will nie etwas besitzen“

Alexander von Humboldt war ein Sammler ohne Sammlung. Er wollte fremde Kulturen im Museum am Leben erhalten - stieß aber auf den Widerstand seiner Zeitgenossen.

Alexander von Humboldt, der sich für alles interessierte, interessierte sich nicht für Kakteen. Er interessierte sich auch nicht für die „Intendantur“ der Berliner Museen, wie er sie nannte: Den angesehenen Posten lehnte er mehrmals ab. Nicht, dass Museen und Sammlungen ihn kalt gelassen hätten. Im Gegenteil. Ihm widerstrebte aber zeitlebens die Vorstellung, als Kulturfunktionär zu fungieren, das ist bekannt und auch sympathisch. Ebenso bekannt ist sein Verzicht auf den Aufbau einer eigenen, privaten Sammlung: „Ich will nie etwas besitzen“, schrieb er 32-jährig aus Havanna an einen Berliner Freund, dem er im selben Atemzug versprach, ihm „alle, alle“ seine in Amerika gesammelten Pflanzen zu schenken. Trotz seinen vielen intensiven Freundschaften mit bildenden Künstlern hatte der Naturforscher auch keine nennenswerte Kunstsammlung. Kulturbesitz war Humboldts Sache nicht.

„Deutschland ist auf Alexander von Humboldt angewiesen, wenn es die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen will.“ Mit solch magischen Formeln begann vor etwa dreizehn Jahren die wundersame Karriere Alexander von Humboldts als positivem Helden der Bundesrepublik. Den Hype lancierte damals Hans Magnus Enzensberger in seiner Neuauflage des Kosmos. Das Codewort Humboldt schmückte fortan Initiativen und Projekte, die sich Freiheit, Offenheit und Weltgewandtheit auf die Fahne schrieben.

Humboldt - ein Held auch für unsere Zeit?

Humboldt wurde zu einer Art Jeanne d’Arc des wiedervereinigten Deutschlands, eine republikanische Identifikationsfigur, wie es die Heilige Jungfrau von Orléans zu Humboldts Lebzeiten in Frankreich etwa auch geworden war. Jede Zeit schafft sich die Helden, die sie braucht. Dass zwischen ihnen und ihren real existierenden Vorlagen die Ähnlichkeiten oft rein zufällig sind, tut nichts zur Sache. Auf das Pathos kommt es an.

Doch und deshalb ist die Freude immer wieder groß, wenn im direkten Kontakt mit historischen Quellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es schaffen, fern von hagiografischen Absichten die Singularität historischer Figuren nachzuzeichnen. Wie originell und innovativ war Alexander von Humboldts Sammlungsbegriff um 1800 denn wirklich? Wie sehr unterschied er sich von seinen Zeitgenossen? Was dachte der Held über Museen und Bibliotheken, was andere nicht auch dachten? Was trieb er darin, was andere nicht auch trieben?

Zu den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehören zweifelsohne die Folgen der (auch und besonders zu Humboldts Zeiten) erfolgten Translokation von Kulturgütern aus allen Kontinenten in die Hauptstädte der sogenannten westlichen Welt. Soll Humboldt nun auch helfen, diese Herausforderung zu bestehen?

Museen war zwar auch, aber nicht nur zum Protzen da

Zunächst eine kurze begriffsgeschichtliche Klärung: Sammeln, aus dem althochdeutschen samanon (8. Jh.), meint ursprünglich „zusammenbringen, vereinigen, anhäufen“, die davon abgeleitete Sammlung, so Pfeifers etymologisches Wörterbuch: „Anhäufung, Gesamtheit bzw. Ort gesammelter Gegenstände“. Den Höhepunkt seiner Konjunktur erreichte das Wort im deutschsprachigen Raum nicht zufällig um 1800, zu Humboldts Zeiten also, als im Zuge des revolutionären Aneignungs- und Zentralisierungswahns der Franzosen die gesamte Sammlungs- und wissenschaftliche Geografie Europas neu konfiguriert wurde. Inzwischen hatte der Begriff an Kontur gewonnen.

Im Wörterbuch der Brüder Grimm (auch sie waren Sammler und Giganten der Zeit) heißt es zu sammeln: „Zerstreutes auf einen Ort zusammenbringen, dann besonders in dem Sinne, dasz das Zusammengebrachte als Copia, Vorrath, Verbrauchsmasse dienen soll“. Wir merken: Für Humboldt und seine Zeitgenossen waren Sammeln und Nutzen unzertrennliche Kategorien. Museen waren zwar auch, aber nicht nur zum Protzen da.

Exotische Pflanzen wecken den Wunsch zu reisen

Fragt man Prominente, was für ihre Laufbahn die Initialzündung gab, so haben die meisten eine gute Geschichte parat. Alexander von Humboldt auch. Bei ihm war es als Achtzehnjähriger der interaktive und lustvolle Umgang mit der botanischen Sammlung eines gleichaltrigen Jungen. „Ich brachte ihm Pflanzen, die ich gefunden hatte, und er bestimmte sie mir. Ich begeisterte mich für die Botanik, besonders für die geschlechtslose Vermehrung von Pflanzen. Die Ansicht exotischer Pflanzen erfüllte meine Phantasie mit genussvollen Vorstellungen. Ich beschloss daraufhin, Europa zu verlassen.“

Die Sammlung als Aufforderung zum Reisen: Das ist mehr als die hübsche Geschichte eines medienbewussten Posers. Für Humboldt und viele Zeitgenossen waren Sammlungen Orte eines lebendigen, unvorhersehbaren, noch zu generierenden Wissens, Plattformen wissenschaftlicher und künstlerischer Kreativität. Dass Museen bald als „Friedhöfe“ (Paul Valéry) oder als „Kühlkammer weißer Wissgier“ (Carl Einstein) beschimpft werden sollten, zeichnete sich erst langsam ab. Schuld daran war, so sahen es Einstein und Valéry zumindest, ein Jahrhundert ungezügelter, bulimischer Sammlungs- und Erwerbungsdrang Europas in allen Regionen der Welt.

Über die Herkunft und die natürliche Umgebung der Objekte erzählen

Alexander von Humboldt war Zeuge und Akteur dieses epochalen Aneignungstrends. Er setzte sich für den Erwerb einzelner Objekte und ganzer Sammlungen durch staatliche Institutionen ein. Er bemühte sich dabei stets – meist erfolglos – Politikern und Kulturbeamten zu erklären, wie man entwurzelte Objekte in Museen und Sammlungen am Leben hält. Indem man sie nämlich erstens immer in unmittelbarer Nähe zu den Dokumenten (Zeichnungen, Notizbücher, Verzeichnisse) aufbewahrt, die etwas über ihre Provenienz und natürliche Umgebung erzählen. Indem man sie zweitens nicht unnötig voneinander trennt, zum Beispiel in Schausammlung und Depot.

Dementsprechend setzte sich Humboldt, nicht nur in Berlin, für Museumsformen ein, die statt zu trennen (zum Beispiel in europäischen und nicht-europäischen Sammlungen, oder in Kunst und Nicht-Kunst) verbindend argumentierten: In Paris empfahl er 1832 den Ankauf einer Sammlung mexikanischer Objekte durch den Louvre, mit dem Hinweis, diese würde so gut zur altägyptischen Sammlung im selben Museum passen.

Die Dialektik von Kulturbesitz und -eigentum war schon früh ein Thema

In Berlin war er maßgeblich an der Gründung des Neuen Museums beteiligt, das von 1850 an für etwa 30 Jahre zum Hotspot musealer Modernität in Europa wurde. Hier fanden Besucher täglich und unentgeltlich die Vor- und Frühgeschichte des Nordeuropäischen Raums, das Alte Ägypten, Amerika, die Südsee, Indien, Ostasien, in Form von Gipsabgüssen auch europäische Statuen von Antike bis zur Gegenwart sowie eine riesige, öffentlich zugängliche Sammlung von Handzeichnungen und grafischen Blättern unter einem Dach versammelt.

Zwei junge Mexikanerinnen, die 1866 das Museum auf ihrer Europatour besuchten, nannten es „zweifelsohne das Beste in Europa“. Auf die scherzhafte Frage eines Berliner Museumsbeamten, der 1886 von ihm wissen wollte, wie ihm denn „seine“ Kostbarkeiten „hier bei uns“ gefielen, antwortete ein junger Ägypter: „Ich freue mich darüber, dass sie sich hier in Ihrem Land befinden, auch wenn unser Anspruch auf ihre Bewahrung berechtigter ist.“ Wir merken: Schon damals begann die Dialektik von Kulturbesitz und -eigentum die Geister zu beschäftigen.

Sammlungen dort aufstellen, wo ein "reger Völkerverkehr" Anteil nimmt

Im Frühjahr 1851, Humboldt war 82 Jahre alt, empfahl er in einem Gutachten den Ankauf einer frisch nach Europa gebrachten Sammlung aus Borneo. Seine Empfehlung zirkulierte unter anderem in Paris, Dresden, Berlin und Wien. Darin war zu lesen: „Kleidungsstücke aus Baumwolle und Baumrinde, Waffen, 30 Schädel als Kriegstrophäen, Talismane, Schmucksachen, Körbe vom niedlichsten Flechtwerk, Fischergeräthe und zum Fang der Crocodille geeignet, musikalische Instrumente wurden gesammelt. Alle Freunde der Culturgeschichte der Menschheit müssen sehnlichst wünschen, dass eine unter so vielen Aufopferungen und klimatischen Gefahren angefertigte Sammlung vor der Zerstörung bewahrt, und als Besitz da aufgestellt werde, wo ein reger Völkerverkehr den Antheil an ethnographischen Studien belebt.“

Museen sind nicht nur Fenster zur Welt

Auch das ist Humboldt, der andere: der ungebügelte Humboldt. Ob er helfen kann, die empfindliche Frage nach dem Erbe der anderen in unseren Museen besser zu handhaben, als dies bis heute der Fall ist? Europa braucht im Grunde keine Helden, um das Sammeln von gestern und die Museen von heute von London über Paris, Dresden, Wien oder Berlin als herrliche, aber unbequeme Monumente unserer europäischen Geschichte zu sehen. Das bedeutet nicht, dass man sie abschaffen oder rückgängig machen müsste, wie man ein Schloss oder einen DDR-Palast rückgängig macht, wenn sie unbequem geworden sind. Das bedeutet vielmehr, Museen nicht nur als Fenster zur Welt, sondern auch als Spiegel unseres selbst anzusehen.

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. Ihr Artikel beruht auf einem Vortrag, den sie am Dienstag, 17.1.2017, bei der Abschlusskonferenz eines dreijährigen Forschungsprojekts der Universität Potsdam und der Staatsbibliothek zu Berlin über Alexander von Humboldts Amerikanische Reisetagebücher hielt - einen Artikel darüber finden Sie hier.

Bénédicte Savoy

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