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Hand drauf. Diese Zeichnungen in der El-Castillo-Höhle sind mindestens 40 800 Jahre alt.

© Pedro Saura/Science

Anthropologie: Steinalte Bilder

Die berühmten Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien sind älter als gedacht. Das wirft die Frage auf: Wurden sie wirklich von modernen Menschen geschaffen – oder doch von Neandertalern?

Die Höhlenmalereien im Südwesten Frankreichs und Nordwesten Spaniens sind weltberühmt. Sie gelten als die ältesten Kunstwerke der Menschheit, geschaffen vom modernen Menschen Homo sapiens. An dieser Aussage rütteln jetzt Alistair Pike von der Universität Bristol und Kollegen. Wie sie im Fachblatt „Science“ schreiben (Band 336, Seite 1409), sind die Kunstwerke in der El-Castillo-Höhle in der spanischen Region Kantabrien mindestens 40 800 Jahre alt – mehr, als man bisher angenommen hatte. Damit jedoch kommen als Höhlenmaler auch Neandertaler infrage, die damals ebenfalls in dieser Region lebten.

Zwischen dem französischen Zentralmassiv und dem Nordwesten Spaniens kennen Frühmenschenforscher weit über 100 Felsen mit steinzeitlicher Kunst. Einige von ihnen wie die Altamira-Höhle in Kantabrien tragen den Titel eines Weltkulturerbes und wurden längst akribisch genau untersucht. Altersbestimmungen sind jedoch Mangelware. Die bekannte „Radiokohlenstoffdatierung“ zum Beispiel funktioniert nur dann gut, wenn die Steinzeitkünstler Kohlenstoff in Form von verkohltem Holz als schwarze Farbe für ihre Malerei verwendet haben. Häufig nahmen sie aber Eisenoxide als rote und Manganverbindungen als schwarze Farbe. Von den wenigen vorhandenen Kohlezeichnungen wiederum können die Forscher normalerweise nur sehr kleine Proben nehmen, um das Kunstwerk nicht zu zerstören. Das wiederum macht die Messungen relativ ungenau.

Das älteste halbwegs zuverlässige Ergebnis mit dieser Methode veröffentlichten amerikanische und europäische Forscher 2012 für den Felsüberhang Abri Castagnet in der Provinz Dordogne im Südwesten Frankreichs mit rund 37 000 Jahren. Spuren von Neandertalern sind aus dieser Zeit für diese Region nicht bekannt. Also deutet alles auf den modernen Menschen Homo sapiens als Steinzeitkünstler hin.

Die meisten Höhlen und Felsüberhänge mit steinzeitlichen Malereien finden sich in Karsthöhlen. Sie entstehen, weil Wasser Kalkstein teilweise löst. So bilden sich zunächst Spalten, die später zu großen Höhlen werden können. Tropft das überall vorhandene kalkhaltige Wasser von der Höhlendecke, kristallisiert der Kalk häufig wieder als Kalzit aus und bildet kleine Tropfsteine. Genau diesen Prozess nutzen die Forscher um Pike für ihre Altersbestimmung. Denn über manchen Steinzeitmalereien hat sich im Lauf der Zeit auf diese Weise eine dünne Kalkschicht gebildet, die höchstens so alt sein kann wie die Zeichnung darunter.

In dieser Kalkschicht sind oft kleine Mengen radioaktiven Urans eingelagert, weil die Verbindungen dieses Elements sich ebenfalls gut in Wasser lösen. Mit der Zeit zerfallen die Uranatome zu Thoriumatomen. Dieses Metall jedoch löst sich nicht in Wasser. Die Tropfsteine enthalten also zu Beginn keinerlei Thorium. Alle Thoriumatome, die heute im Kalk gefunden werden, sind also im Lauf der Zeit durch den Zerfall des Urans entstanden.

Physiker wissen sehr genau, wie viele Uranatome in einer bestimmten Zeit zerfallen. Indem Wissenschaftler nun die Menge der Uran- und Thoriumatome in der Kalkschicht bestimmen, die sich über einer Höhlenzeichnung gebildet hat, können sie berechnen, wie alt diese Schicht ist.

Die erste Altersbestimmung mit der „Uran-Thorium-Methode“ ist bereits ein halbes Jahrhundert alt. Damals mussten die Forscher noch mindestens 100 Gramm Kalk für ihre Analysen einsetzen, erläutert John Hellstrom von der Universität Melbourne („Science“, Band 336, Seite 1387). Auch Klimaforscher arbeiten gern mit der Methode, um das Alter von abgelagerten Kalkschichten zu bestimmen, in denen sie mit weiteren Messmethoden auch Temperatur und Niederschlag der jeweiligen Zeit rekonstruieren. Mit der Zeit haben sie die Uran-Thorium-Datierung so weit verbessert, dass sie heute bereits mit einem hundertstel Gramm Kalk funktioniert. Solche Mengen sind klein genug, um die wertvollen Höhlenmalereien zu analysieren, ohne sie dabei zu zerstören. Genau das taten Pike und Kollegen jetzt.

Von den 50 untersuchten Höhlenzeichnungen im Nordwesten Spaniens entpuppte sich eine in der El-Castillo-Höhle in Kantabrien als mindestens 40 800 Jahre alt. Die Spuren der Neandertaler jedoch verlieren sich im Süden Europas erst nach dieser Zeit, sie kommen als Künstler also durchaus infrage. „Anderseits konnten wir im vergangenen Jahr zeigen, dass der moderne Mensch Homo sapiens bereits vor 43 000 bis 45 000 Jahren im Süden Italiens lebte“, ergänzt Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main. Parallel dazu fanden britische Wissenschaftler eindeutige Homo-sapiens-Spuren in England, die 41 000 bis 44 000 Jahre alt sind. „Der Weg vom heutigen Italien ins heutige Spanien dürfte daher für Homo sapiens ebenfalls kein Problem gewesen sein“, sagt Kullmer. Damit wäre der moderne Mensch trotz der neuen Befunde weiterhin auf der Liste der möglichen Urheber für die ältesten Höhlenmalereien – neben dem Neandertaler.

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