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Wissen: Auf eingefahrenem Gleis

Wie die Auftragsforschung die Geschichtsschreibung beeinflusst.

Die „Auftragsforschung“ wird der Geschichtswissenschaft zum Problem. Anfangs waren es einige wenige Großunternehmen, die von einer kritischen Öffentlichkeit gedrängt wurden, ihrer Tätigkeit während der NS-Zeit nachzugehen. Ausgewiesene Zeithistoriker wurden mit der Auswertung der Firmenakten beauftragt. Den Anfang machte die Volkswagen AG, aus dem Projekt des „KdF-Wagens“ hervorgegangen, die den Bochumer Historiker Hans Mommsen verpflichtete. Der legte 1996 das 1055-Seiten-Buch „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“ vor, das Modell für folgende Firmendarstellungen. Jüngst machte die Geschichte der geheimnisumwitterten Familie Quandt Furore, die der Bonner Neuzeithistoriker Joachim Scholtyseck in seinem Buch „Der Aufstieg der Quandts“ darstellt.

Seit nun auch Behörden ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten lassen und das Buch „Das Amt“ zum auflagenstärksten Werk dieser Gattung wurde, ist das Thema virulent – und vielfältig diskutiert worden. Was also konnte das Expertengespräch beitragen, das das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam am Donnerstag in der neuen Berliner Zentrale der Leibniz-Gemeinschaft veranstaltete? Es war ausgerechnet Hans Mommsen, der Senior der Runde, der sich skeptisch zeigte: Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Geschichtswissenschaft würden reduziert. Die Ergebnisse der Auftragsstudien wiederholten sich.

Mommsen hat die Erforschung der NS-Zeit im Auge. Darauf nämlich richtet sich, wie Johannes Baehr betonte, der zuvor in der Runde festgestellte „Auftragsboom“. Baehr, Mitverfasser der maßgeblichen Darstellung des Flick-Konzerns von 2008, betreibt nach eigenen Worten „seit 12, 13 Jahren nur Auftragsforschung“ und sieht darin keinen „Gegensatz zur regulären Universitätsforschung“. Hingegen verwies Martin Sabrow, als Direktor des Potsdamer Zentrums zugleich Moderator, auf einen markanten Unterschied der Auftragsforschung zum regulären Betrieb, nämlich auf „die Identität von Auftragsvergabe und Quellenbesitz“.

Der Leiter des Ressorts Zeitgeschichte beim „Spiegel“ seit 1997, Klaus Wiegrefe, gab ein Beispiel für die gelungene Vermarktung von Forschungsaufträgen: Im Fall der Quandt-Geschichte seien „Rezensionen und entschuldigende Interviews“ – nämlich der Nachkommen – in derselben Zeitung gedruckt worden, dadurch rücke „das Thema der NS-Zeit nach hinten“.

Die Drittmitteleinwerbung nimmt immer mehr Zeit in Anspruch; das Podium war sich in der Klage über zu geringe Mittel für die Universitäten einig. Klaus-Dietmar Henke, der als Professor in Dresden die Geschichte der Dresdner Bank erforscht hat und mittlerweile mit der des Bundesnachrichtendienstes befasst ist, plädierte einerseits für die „Selbststeuerung der Wissenschaft“, sieht andererseits aber Auftragsforschung nicht als Bedrohung, schon gar nicht der wissenschaftlichen Standards. „Wer da schwach wird, wird von der Zunft erwischt“, so Henke, „und verliert seinen Marktwert.“

Hatte man Thomas S. Kuhns bahnbrechendes Buch über die „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ von immerhin bereits 1962 im Kopf, konnte man nur staunen. Denn das Problem ist nicht die gelegentlich versuchte Einflussnahme von Auftraggebern, die doch immer ans Tageslicht kommt, sondern der Gang der Wissenschaft, der durch die Absorbierung von Forscherkapazität durch gleichartige Fragestellungen auf eingefahrenem Gleis gehalten wird – eben innerhalb des akzeptierten Paradigmas. „Durch Auftragsvergabe“, so aus dem Publikum heraus der Göttinger Emeritus Bernd Weisbrod – Forscher zur „Schwerindustrie in der Weimarer Republik“ –, werde „eine bestimmte Art der Geschichtsschreibung privilegiert“. Genau das ist jedoch der Fall, wie die dichte Folge solcher Firmendarstellungen in den vergangenen Jahren zeigt, denen sich die Behördengeschichten in zunehmender Zahl hinzugesellen. Deren Akten seien jedoch oft „seit Jahrzehnten frei“, wusste Henke: „Und trotzdem wurde nicht geforscht.“ Bernhard Schulz

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