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Wogende Barriere. Seegraswiesen sind nicht nur Lebensraum für viele Tiere, sie schützen auch die Küsten vor Erosion. Foto: laif

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Wissen: Bedrohte Oasen unter Wasser

Seegraswiesen nehmen viel Kohlendioxid auf. Doch der Bestand geht zurück

Formentera während der Urlaubszeit. Manu San Felix, Meeresbiologe, beobachtet die Mannschaft einer Yacht, die mitten im Naturschutzgebiet ankert, obwohl das dort verboten ist. Der Forscher taucht unter die Yacht. Auf dem Meeresgrund wächst hier die größte Seegraswiese der Welt. Die Unesco setzte sie 1999 auf ihre Weltnaturerbe-Liste. San Felix hat eine Unterwasserkamera dabei und filmt, wie der Anker der Yacht auf dem Grund entlangschleift, sich immer wieder im Gras verfängt, es ausreißt und so zerstört. Einen Hektar an einem einzigen Tag, hält der Biologe fest.

Diese Episode zeigt, wie gefährdet Seegraswiesen sind. Die Pflanzenteppiche, die in allen Meeren in Küstennähe wachsen, gehen weltweit jährlich um drei Prozent zurück. Rund um die Balearen schädigen besonders ankernde Schiffe Posidonia oceanica, wie das Seegras des Mittelmeers heißt. Da die Pflanzen nur sehr langsam wachsen, sind die Schäden irreversibel. Auf Druck der Meeresschutzorganisation Oceana und anderen bestraft die Regierung der Balearischen Inseln die Beschädigung des Unterwassergewächses nun mit bis zu 450 000 Euro.

Trotzdem lässt sich der Rückgang des Seegrases wohl nicht aufhalten, denn die noch größere Gefahr für die empfindlichen Pflanzen ist die Erderwärmung. Im warmen Wasser sterben sie. Carlos Duarte vom Mittelmeerinstitut der Balearen in Esporles schätzt, dass es bereits in fünfzig Jahren mit dem Meeresgewächs vorbei sein könnte.

Das ist umso tragischer, als dass Seegras eine wichtige Rolle für das Klima spielt. Ein Hektar Seegras kann bis zu fünfmal soviel Kohlendioxid (CO2) in Sauerstoff umwandeln als ein Hektar amazonischer Regenwald, hat Duarte ausgerechnet. Indem die Pflanzen das CO2 aus dem Wasser holen, sinkt dessen Kohlendioxidgehalt. Um diese „Lücke“ zu füllen, wird der Atmosphäre CO2 entzogen, der Gehalt des Treibhausgases in der Luft nimmt ab.

Über ihre Blätter binden die Wasserpflanzen weltweit rund 100 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Jahr. Das sind zwar nur fünf Prozent des Kohlenstoffes, den die Meere insgesamt aufnehmen. Doch das CO2, das insbesondere vom Seegras des Mittelmeeres gespeichert wird, wird im dem Meeresboden fest eingeschlossen und so dem Kohlenstoffkreislauf entzogen. Das geschieht, indem alte Pflanzenteile von Sediment überdeckt werden. Mancherorts sind diese Kohlenstoffdepots bis zu zehn Meter dick.

Seegras hat noch weitere wichtige Funktionen. Es ist Lebensraum für viele Fische und Schnecken. Darüber hinaus schützt es die Küsten vor Erosion und trägt dazu bei, dass Strände nicht abgetragen werden, erläutert Duarte: „In den Unterwasserwiesen wachsen viele Organismen mit einem Kalkgehäuse. Die Kalkpartikel gelangen an den Strand und sichern damit einen regelmäßigen Nachschub an Sand.“ Außerdem nehmen die Pflanzen viele Nährstoffe auf, die über die Flüsse und die Atmosphäre ins Meer gelangen. Seegras bindet diese Nährstoffe, schützt so das Meer vor Überdüngung und hält das Wasser sauber.

Der Reinigungseffekt ist beträchtlich. Rund 17 000 Euro müsste man in ein Klärwerk investieren, um die Filterwirkung von nur einem Hektar Seegrasbewuchs zu erreichen, sagt Thorsten Reusch vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-Geomar) in Kiel. In der Nord- und Ostsee sind die Bestände der Zostera oceanica, wie die Seegrasart dort heißt, in den vergangenen Jahrzehnten bereits zwischen 60 bis 80 Prozent zurückgegangen, berichtet Reusch und bezieht sich dabei auf dänische Studien. Die Wasserpflanze gedeiht nur, wenn sie das Sonnenlicht erreicht und Photosynthese möglich ist. Doch als Folge der Überdüngung ist das Wasser trüber geworden, und die maximale Sichttiefe beträgt nur noch sechseinhalb Meter. Vor ein paar Jahrzehnten waren es noch bis zu 13 Meter.

Ein Doktorand am IFM-Geomar ermittelt gerade, wieviele Hektar Seegras in den hiesigen Meeren überhaupt noch stehen. Darüber hinaus sind die Wissenschaftler an Studien zur Genomanalyse von Seegras beteiligt. So wollen sie herausfinden, warum Zostera oceanica bereits bei Wassertemperaturen ab 25 Grad Celsius regelrecht überreagiert und die Pflanze stirbt. Außerdem suchen die Forscher nach Genotypen, die sich an die Klimaerwärmung angepasst haben. Bisher ohne Erfolg.

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