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Versteckspiel. Leishmaniosen (grün) sind Parasiten, die sich in den Fresszellen (rot) des Immunsystems vermehren.

© P. Walden, Charité

Berliner Forscher entwickeln Impfstoff gegen Leishmaniose: Mit Genen impfen

Billiger und schneller zu produzieren und selbst ohne Kühlung in den Tropen haltbar: Gene sollen neue Impfstoffe möglich machen.

Es könnte den Stoff für eine Fortsetzung des Hollywood-Streifens „Alien“ liefern: Über die Stiche winziger Sandfliegen gelangen fiese Parasiten, hundertstel Millimeter kleine Einzeller, unter die Haut des Helden. Ahnungslose Immunzellen schlucken die Eindringlinge, um sie zu zerstören, aber werden stattdessen gekapert. Die Erreger vermehren sich im Inneren der Abwehrzellen, bis sie platzen und neue Parasiten freisetzen, die die inneren Organe befallen. Schließlich stirbt der Held. Das Happy End bleibt aus, denn das vermeintliche „Alien“-Drehbuch ist irdischen Ursprungs und nennt sich Leishmaniose. Jedes Jahr erkranken zwei Millionen Menschen, drei Prozent sterben, und betroffen sind nicht nur die fernen Tropen, sondern auch Länder im Mittelmeerraum. Sogar in Deutschland gab es schon vereinzelte Infektionen, weil die Sandfliege aufgrund der Klimaerwärmung gen Norden zieht. Gegen die gängigen Medikamente sind die Parasiten mittlerweile resistent. Einen Impfstoff gibt es nicht. Doch Berliner Forscher haben jetzt erfolgreich ein neues Impfkonzept getestet, das sie kürzlich im Fachblatt „Science Translational Medicine“ vorstellten: Sie impfen mit Genen. Eine Technik, die auch Impfstoffe gegen Malaria, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten ermöglichen könnte.

Nur gegen 27 Krankheiten gibt es Impfstoffe

Das Impfen gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der Medizin. Allein die Pocken hatten im 20. Jahrhundert 375 Millionen Menschenleben gekostet, bevor die Weltgesundheitsorganisation WHO nach einer weltweiten Impfkampagne den Erreger 1980 für ausgerottet erklären konnte. Aber so erfolgreich das Impfen ist, 200 Jahre Forschung haben bislang nur Impfstoffe gegen 27 Infektionskrankheiten hervorgebracht, klagt Peter Walden, Immunologe am Berliner Uniklinikum Charité. Seine Erklärung: „Die meisten Impfstoffe werden darauf ausgelegt, die Produktion von Antikörpern gegen einen Erreger auszulösen.“ Diese Moleküle schickt die Körperabwehr los, um Viren abzufangen oder bakterielle Giftstoffe auszuschalten. „Bei Leishmaniose und anderen Infektionskrankheiten helfen Antikörper allein aber nicht, weil die Erreger in den Zellen leben und den Antikörpern entgehen“, sagt Walden. Im Fall der Leishmaniose werden die Fresszellen der Körperabwehr befallen, die den Erreger eigentlich zerstören sollen. Um sich dagegen zu wehren, rufen befallene Zellen spezielle Abwehrzellen des Immunsystems zu Hilfe, indem sie Bruchstücke der Erreger auf ihrer Zelloberfläche präsentieren – eine Art Signalflagge, woran das Immunsystem erkennt, dass eine Zelle von einem Parasiten befallen ist und getötet werden muss. „Nur wenige Impfstoffe schaffen es, diese zelluläre Reaktion des Immunsystems zu aktivieren und nicht nur die Antikörperreaktion“, sagt Walden.

Ein Grund sei, dass Impfstoffe heute in Tierversuchen entwickelt werden, dann aber beim Menschen nicht wirken. Dabei nehmen sich Forscher meist ein Bruchstück des Erregers, ein sogenanntes Antigen, testen, ob es in der Maus funktioniert und machen dann beim Menschen weiter. Oft erfolglos.

Walden und sein internationales Expertenteam gingen deshalb einen anderen Weg – dicht am Menschen. „Wir fragten uns: Welche Teile des Leishmaniose-Erregers haben bei Menschen, die eine Infektion überstanden haben, den natürlichen Immunschutz ausgelöst?“ Um das herauszufinden, sammelten die Forscher Blutproben von ehemaligen Patienten aus Tunesien und Indien. Dann testeten sie, auf welche Teile der Parasiten die Immunzellen reagierten. Dabei testeten sie nur Erregerteile, die bei den vielen verschiedenen Leishmaniose-Typen nicht variieren. Gleichzeitig musste Waldens Team aber auch die menschliche Variation bei der Erkennung dieser Erreger-Bruchstücke berücksichtigen. Am Ende kristallisierten sich schließlich fünf Teile des Erregers heraus, fünf Proteine, die eine starke Immunreaktion im Blut von ehemaligen Leishmaniose-Patienten auslösten. „Logisches Impfstoff-Design“ nennt Waldens Team diese Strategie.

Verbreitung der Leishmaniose-Erreger im Ländermaßstab.
Verbreitung der Leishmaniose-Erreger im Ländermaßstab.

© WHO/TSP

Um aus den fünf Proteinstücken jedoch einen spritzbaren Impfstoff machen zu können, müssten diese Moleküle in großer Menge produziert und in die Zellen gebracht werden. „Das wäre extrem aufwendig“, sagt Walden. Stattdessen entschlossen sich die Forscher, nur den Bauplan für die fünf Proteine, also deren Gensequenz in Form von DNS, zu spritzen. Auf diese Weise produziert die Zelle den Impfstoff selbst.

Die Erbgutmoleküle, sogenannte Genfähren, stammen von der Berliner Biotech-Firma Mologen, die unter anderem DNS-Impfstoffe gegen Leishmaniose bei Hunden, aber auch gegen Krebs und Hepatitis entwickelt. „Grundsätzlich kann man so einen Impfstoff auch mit anderen Genfähren machen“, sagt Christiane Juhls. Die Forschungsleiterin für das Leishmaniose-Projekt bei Mologen organisierte das Leishmaniose-Konsortium „Leishdnavax“, das zwischen 2008 und 2012 mit drei Millionen Euro von der Europäischen Union gefördert wurde. „Im Gegensatz zu anderen Genfähren ist unser Erbgutvektor aber so klein, dass er in höherer Konzentration verabreicht werden kann und damit einen stärkeren Effekt auslöst.“ Außerdem lasse sich die Genfähre, genannt „Midge“ (für Minimalistische immunologisch definierte Gen-Expression), jederzeit anpassen, ergänzt Walden. „Wir können die Gene der Erregerproteine so verändern, dass sie in bestimmten Regionen noch besser gegen die dortigen Leishmaniose-Varianten schützen.“

Gen-Impfstoff schützt Mäuse vor Parasiten-Infektion

Doch so weit ist es noch nicht. Bislang hat der Impfstoff nur Mäuse vor Leishmaniose schützen können. Ob er beim Menschen funktioniert, muss sich erst noch zeigen. Weil der Impfstoff aber mithilfe des Patienten-Blutes entwickelt wurde, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er wirkt. Prinzipiell sei die Strategie von Waldens Team ein probates Mittel, um einen Impfstoff gegen einen so variablen Krankheitserreger wie Leishmaniose zu entwickeln, sagt der Immunbiologe Ingmar Hoerr. Dessen Tübinger Biotech-Firma CureVac entwickelt ähnliche Impfstoffe, jedoch auf Basis des DNS-Schwestermoleküls RNS, der Abschrift der Gene. „Ob das Design von Mologen erfolgreich sein kann, können nur klinische Studien zeigen.“ Für neuartige Impfstoffe seien die regulatorischen Hürden hoch. Bei einem DNS-Impfstoff müsse außerdem das Risiko ausgeschlossen werden, dass sich Impfstoff-Gene ins Patienten-Erbgut verirren.

„Wir suchen jetzt nach einer Finanzierung für die erste klinische Studie“, sagt Walden. Derzeit führe man mit indischen Pharmafirmen und der Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates Gespräche. Gegenüber einem Gates-geförderten Projekt, das seit Jahren erfolglos einen Impfstoff auf Proteinbasis gegen Leishmaniose testet, hätte das Gen-Impfen auch wirtschaftliche Vorteile: „Da wir nur den Bauplan für den Impfstoff injizieren, müssen wir weniger Substanz verabreichen“, sagt Juhls. Außerdem sei DNS günstiger und schneller zu produzieren als Proteine, länger haltbar und müsse auch nicht extra gekühlt werden. Entscheidende Details, denn der Leishmaniose-Impfstoff muss in tropischen Ländern eingesetzt werden, die oft keine teuren Impfstoffe bezahlen können, und wo es in den Dörfern häufig weder Kühlschränke noch Strom gibt. Für Hollywood-Verhältnisse wahrlich außerirdisch anmutende Bedingungen, um den Killer aus dem Mikrokosmos zu bekämpfen.

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