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Italienische Reisen. Caroline von Humboldt nach einem Gemälde von Friedrich Wilhelm von Schadow (Ausschnitt). Foto: Ullstein

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Caroline von Humboldt: Die schillernde Gattin des Universitätsgründers

Caroline von Humboldt, die Frau Wilhelm von Humboldts, war Intellektuelle, Mäzenin – und in Liebesdingen äußerst modern. Dennoch ist sie eine schwierige Identifikationsfigur: War sie auch Antisemitin?

Auch das kam vor im bewegten Leben der Caroline von Humboldt: „Sie ließ ihren Mann allein in Rom mit zwei kleinen Töchtern“, erzählt ihre Biographin Dagmar von Gersdorff, „und fuhr für ein Jahr zu ihrem Liebhaber nach Paris! Stellen Sie sich mal vor!“ In der Stimme von Dagmar von Gersdorff schwingt noch immer Staunen mit, wenn sie davon berichtet: Caroline von Humboldt (1766-1829), die Gattin Wilhelm von Humboldts, war eben eine in vieler Hinsicht ungewöhnliche Frau. Und so hat von Gersdorff ihrer kürzlich erschienenen, spannenden Biographie den Leitsatz vorangestellt: „Was für andere galt, galt nicht für sie.“

Ganz sicher traf das auf ihre Ehe zu. Caroline von Dacheröden begegnete Wilhelm von Humboldt im Jahre 1788; sie sollte fast vierzig Jahre lang, bis zu ihrem Tod 1829, mit dem preußischen Bildungsreformer, Sprachwissenschaftler und Gesandten verheiratet sein. Aus der Verbindung gingen acht Kinder hervor, von denen drei starben. Die Ehe war geprägt von tiefer Zuneigung, lebhaftem geistigen Austausch und großer Freiheit: Beide Partner akzeptierten klaglos die Affären des jeweils anderen. Schon zu Beginn der Ehe hatte Wilhelm ihr versprochen: „Sollte einer von uns nicht mehr in dem anderen, sondern in einem Dritten das finden, worin er seine ganze Seele versenken möchte; nun so werden wir beide genug wünschen einander glücklich zu sehen, und genug Ehrfurcht für ein so schönes, großes, wohltätiges Gefühl, als das der Liebe ist, besitzen.“ Für beide gehörten Freiheit und Liebe untrennbar zusammen – und Caroline berichtete ihrem Mann sogar in ihren Briefen ausführlich von ihren jeweiligen Flammen.

Das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität versuchte kürzlich, der schillernden Gattin des Universitätsgründers auf die Spur zu kommen. Im Colloquium „Caroline von Humboldt – Intellektuelle, Salonière, Mäzenin“ diskutierten von Gersdorff und viele Experten über diese Frau, die ihre Zeit in tausenden Briefen kritisch reflektierte, die die Kunst liebte und Künstler förderte, die eng mit Goethe und Schiller befreundet war und ihrem Ehemann eine ebenbürtige Gesprächspartnerin. Wie viel emanzipatorisches Potenzial steckt in ihrem Leben und ihren Schriften?

War sie in Liebesdingen äußerst modern, so konnte sie doch in anderer Hinsicht nicht aus ihrer Zeit heraus. Es war damals nicht üblich, dass Frauen unter ihrem eigenen Namen Texte veröffentlichten. Das wurde, so die Germanistin und Expertin für intellektuelle Netzwerke, Anne Baillot, nur dann akzeptiert, wenn die jeweilige Frau aus Geldnot schrieb oder ihre Familie auf diese Weise ernähren musste. Die in komfortablen Verhältnissen lebende Frau von Humboldt konnte nur auf die damals übliche Weise intellektuell aktiv werden: als Salonière, als Briefeschreiberin, als Gesprächspartnerin. Wo auch immer sie lebte, wurde ihr Haus zum Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle, wie Hanna Lotte Lund (Kleist-Museum, Frankfurt/Oder) berichtete. Ihre Gabe, Menschen zusammenzubringen, ihre Wärme und Herzlichkeit waren berühmt.

Und ihre Schreibkunst erschloss sich jedem, der einen Brief von ihr erhielt. Von einer Spanienreise schickte Caroline einige Beschreibungen von Raffael-Gemälden an den guten Freund Goethe. Der fand sie so bemerkenswert, dass er sie in der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung publizierte, allerdings ohne Nennung ihres Namens. Die Texte stammten, so war zu lesen, „von einer Person“.

Diese Texte sind die einzigen von ihr, die veröffentlicht wurden. Kann man sie, die über vier Jahrzehnte mit ihrem Mann und zahlreichen anderen brieflich korrespondierte, als deutsche Autorin bezeichnen? Der Germanist Cord-Friedrich Berghahn (TU Braunschweig) meint ja: Im Medium Brief sei um 1800 eine „ganz neue Art Autorschaft“ entstanden. Er plädiert dafür, ihre Texte als „Werk“ und Caroline von Humboldt als „Autorin“ zu betrachten: „Sie besitzen individuellen literarischen Rang.“ Viele der Briefe sind heute verloren, Carolines Korrespondenz mit Wilhelm jedoch wurde von ihrer Enkeltochter Anna von Sydow ab 1906 auf rund 3000 Seiten herausgegeben.

Kunst war die große Leidenschaft Caroline von Humboldts. Ihr Leben lang förderte sie die Kunst, wie Ute Tintemann (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) zeigte. Ab 1802 lebten die Humboldts in Rom, denn Wilhelm war zum Preußischen Ministerresidenten am päpstlichen Hof ernannt worden. Nahe ihrem Haus an der Spanischen Treppe lebten auch einige deutsche Künstler. Sie förderte sie auf ganz unterschiedliche Weise: Sie lud sie zu sich nach Hause ein und gab Essen und Tees für die Künstler, sie kaufte ihre Werke oder gab Familienbildnisse bei ihnen in Auftrag, einige ließ sie bei sich wohnen und als Zeichenlehrer für die Töchter ein Zubrot verdienen. Im Jahr 1808 gaben die Humboldts pro Monat doppelt so viel für „Kunstsachen“ aus als für Miete und Erziehung der Kinder. Caroline genoss die Nähe zu den Künstlern: „Hier lebe ich entfernt von allen langweiligen Gesellschaftsverhältnissen“, schrieb sie 1818 an ihre Freundin Rahel Varnhagen. „Am Abend kommen die Künstler zu mir, mit Thorwaldsen, Rauch, den beiden Schadow, Wach und mehreren anderen wohne ich in einem Hause.“

Die Humboldt-Universität ehrt die Gattin ihres Gründers auch mit dem „Caroline-von-Humboldt-Preis“ für exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen, der im 2010 zum ersten Mal vergeben wurde, an Anne Baillot. Schon bei der Verleihung und jetzt wieder auf dem Colloquium wurde deutlich: Eine ganz einfache Identifikationsgestalt ist Caroline von Humboldt nicht. Barbara Hahn, Expertin für die Geschichte weiblicher Intellektualität (Vanderbilt University/Humboldt-Universität), die soeben eine Biographie Rahel Levins veröffentlicht hat, sprach über die Beziehung der beiden Frauen miteinander: zuerst sehr eng und vertraut, dann von plötzlicher Distanz geprägt.

Caroline entzog Rahel gar das vertrauliche „Du“ und sprach sie mit „Sie“ an, was die andere sehr kränkte. Ein Ausdruck der Distanzierung gegenüber Juden? Während Wilhelm von Humboldt die rechtliche Gleichstellung der Juden vorantrieb, hat sich Caroline, die in ihren späten Lebensjahren immer mehr Sympathien für den Patriotismus äußerte, in Briefen despektierlich über Juden geäußert: Sie bedienten sich ihrer Bürgerrechte nur zum Schachern und Handeln, das Vermögen dieser Stadt sei in ihrer Hand. Die Juden seien „ein Flecken der Menschheit“. Äußerungen Caroline von Humboldts, die Barbara Hahn als „ziemlich ungeheuerlich“ und „modernen Antisemitismus“ qualifizierte: „Das sollte man nicht verharmlosen.“

In der Debatte waren auch andere Stimmen zu hören: Dagmar von Gersdorff gab zu bedenken, dass die Beziehung zu Rahel auch aus ganz anderen Gründen abgekühlt sei. Caroline von Humboldt habe bis ans Ende ihres Lebens enge Beziehungen zu Juden gehabt, ihre Äußerungen in jenem Brief seien „unter Niveau“, aber sollten nicht überbewertet werden. Oder, wie HU-Vizepräsident Michael Kämper-van den Boogaart zu Beginn des Colloquiums sagte: „Ihre Schwächen teilte sie mit ihrem Milieu, der Schöngeistigkeit.“ Jedenfalls bietet Caroline von Humboldts Leben und Denken viel Stoff zum Diskutieren – zum Beispiel im neuen Caroline-von-Humboldt-Forum, einem Blog, der Erkenntnisse und Tagungsberichte über sie versammelt.

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