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Schwieriger Brückenschlag. Streit um Kompetenzen und Geld lähmen das deutsch-türkische Uniprojekt in Istanbul.

© REUTERS

Deutsch-türkisches Uniprojekt: Kopflos am Bosporus

Auch fünf Jahre nach der Gründungsvereinbarung kommt die deutsch-türkische Universität in Istanbul nicht voran. Zwei Gründungsrektoren sind schon zurückgetreten, jetzt wird ein neuer türkischer Unileiter gesucht, der dem Projekt endlich zum Erfolg verhilft.

Der Bundesaußenminister war begeistert. Zusammen mit seinem türkischen Amtskollegen hatte er gerade den Vertrag für ein ehrgeiziges Projekt unterschrieben, das die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf eine neue Ebene ausdehnen sollte. „Ich freue mich, dass die deutsch-türkische Universität bald Wirklichkeit wird“, sagte Frank-Walter Steinmeier. Das war im Mai des Jahres 2008. Doch aus dem „bald“ ist nichts geworden, die Universität hat auch fast fünf Jahre nach der feierlichen Unterzeichnung in Berlin den Lehrbetrieb noch nicht aufgenommen. Nach vielen Verzögerungen und Rückschlägen hoffen die Befürworter jetzt auf einen Neustart in den kommenden Wochen.

Die Bedeutung der Universität, die im Istanbuler Stadtteil Beykoz am Bosporus im asiatischen Teil der Metropole entstehen soll, liegt zum einen in der Symbolwirkung: Sie gilt als Aushängeschild guter deutsch-türkischer Beziehungen. Darüber hinaus soll die Universität aber auch handfeste Resultate produzieren, die vor allem für die Wirtschaft in beiden Ländern wichtig sein könnten. Wenn der Vollbetrieb in Istanbul erst einmal läuft, sollen dort bis zu 5000 Studenten zu qualifizierten Fachkräften ausgebildet werden, die sowohl in Deutschland als auch in der Türkei gebraucht werden. Modern ausgebildete Hochschulabsolventen mit Fremdsprachenkenntnissen sind gefragt – nicht zuletzt von den rund 5000 deutschen Unternehmen, die sich mittlerweile in der Türkei angesiedelt haben.

Luftnummer. Präsident Gül (2.v.l) mit Ehefrau, Bundesbildungsministerin Schavan (3.v.l.), Amtskollegin Egtim und Bundespräsident Wulff mit Frau bei der symbolischen Grundsteinlegung 2010.
Luftnummer. Präsident Gül (2.v.l) mit Ehefrau, Bundesbildungsministerin Schavan (3.v.l.), Amtskollegin Egtim und Bundespräsident Wulff mit Frau bei der symbolischen Grundsteinlegung 2010.

© dapd

Für die Hochschule haben Deutsche und Türken eine Arbeitsteilung vereinbart. Die Türkei stellt das Gelände in Beykoz, den Rektor und die Verwaltung, während die deutsche Seite Dozenten schickt und sich mit 40 Millionen Euro aus dem Bildungsetat an der Hochschule beteiligt, an der vorwiegend in deutscher Sprache unterrichtet werden soll.

Sechs deutsche Universitäten – darunter die TU Berlin, die Freie Universität und die Uni Potsdam – sollen in Istanbul die vorgesehenen Fakultäten für Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften, Jura, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften sowie ein separates Sprachzentrum aufbauen. Als staatliche Hochschule wird die Universität in Beykoz für die Studenten kostenlos sein. „Die traditionell enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei im akademischen Bereich erhält damit eine neue Dimension“, erklärte das Bundesbildungsministerium nach der Vertragsunterzeichnung vor fast fünf Jahren. Doch die neue Dimension steht bisher nur auf dem Papier.

Nach der Gründungsvereinbarung dauerte es erst einmal mehr als zwei Jahre bis zur Ernennung eines Rektors. Schon vor der Auswahl gab es den ersten Krach: Izzet Özgenc, der von der türkischen Hochschulbehörde als geeignetster Kandidat ausgewählt und der Staatspräsident Abdullah Gül zur Ernennung vorgeschlagen wurde, trat noch vor einer Entscheidung des Staatsoberhauptes als Kandidat und auch als Mitglied der Hochschulbehörde zurück. Regierungskritische Medien meldeten damals, Özgenc habe mit dem Schritt gegen eine Einmischung der deutschen Seite in den Auswahlprozess protestieren wollen.

Auch an anderer Stelle hakte es. Die Verabschiedung des Gründungsgesetzes für die Universität in Beykoz verzögerte sich, weil die nationalistische Opposition in Ankara argwöhnte, die Türkei werde am Ende von den Deutschen auf den Kosten für das Projekt sitzen gelassen.

Sollten die Verantwortlichen gehofft haben, mit der Ernennung des Gründungsrektor Ziya Sanal im Oktober 2010 seien die wichtigsten Hürden überwunden, wurden sie bald darauf enttäuscht. Sanal, der in Bochum Bauwissenschaft studierte und lange in Deutschland arbeitete, sollte das Projekt energisch vorantreiben – doch das Gegenteil geschah. Die Vorbereitungen traten weiter auf der Stelle, Deutsche und Türken weisen sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu.

Gegenseitige Vorwürfe - die Schuldfrage lässt sich nicht klären

Die Schuld sehen die Partner jeweils beim anderen: Die deutsche Seite beobachtet bei den türkischen Uni-Verantwortlichen die Tendenz, vereinbarte gemeinsame Gremien zu ignorieren und die Uni so zu führen, als wäre sie eine herkömmliche türkische Hochschule. Die Türken werfen den Deutschen vor, zugesagte Gelder zurückzuhalten.

Mit offiziellen Stellungnahmen zu den Schwierigkeiten des Projektes halten sich beide Seiten zurück, weil man den jeweiligen Partner nicht verärgern will. Immerhin stehen Regierung, Hochschulbehörde und Präsidialamt in Ankara weiter hinter dem Vorhaben, ist zu hören. Auf dem Unigelände in Beykoz, einer früheren Baumschule, stehen bislang nur vier provisorische Gebäude. Die Verwaltung spricht von einem „Mini-Campus“. Doch studiert wird dort noch lange nicht, bislang ist man über die Vergabe einiger weniger Stipendien nicht hinausgekommen. Ganze vier Studierende hat die deutsch-türkische Hochschule bisher an die Technische Universität Dortmund zu dem englischsprachigen Studiengang „Master of Science in Manufacturing Technology“ geschickt. In Beykoz selbst wurde bisher kein Student unterrichtet. Auch ein geplantes Studentenwohnheim lässt auf sich warten.

Nach zwei Jahren im Amt trat nun auch Sanal Ende vergangenen Jahres zurück. Laut türkischen Presseberichten sah er sich durch ausbleibende Gelder in seiner Arbeit behindert. Allerdings sind die Zahlungen an konkrete Voraussetzungen gebunden, die nach deutscher Auffassung nicht erfüllt sind.

Nun wartet alles gespannt darauf, dass Staatspräsident Gül einen neuen Rektor auswählt. Anschließend soll dann endlich mit Volldampf an dem Projekt gearbeitet werden, heißt es auf beiden Seiten. Das Interesse an der deutsch-türkischen Universität sei nach wie vor hoch, versichern Regierungsvertreter immer wieder. Wirtschaftsunternehmen haben bereits Pläne für Praktika und andere Vorhaben in der Schublade, mit denen die Studenten gefördert werden sollen. Einige deutsche Hochschulen haben gemeinsam mit türkischen Partner-Unis Modelle für künftige Studiengänge ausgearbeitet.

Im Februar kommt Merkel, ein neuer Rektor ist nicht in Sicht

Auf ihrer Internetseite verspricht die Uni in Beykoz unterdessen, dass im Wintersemester 2013/14 zumindest in einigen Bereichen der Lehrbetrieb aufgenommen wird. Ob dieser Termin gehalten werden kann, ist aber nicht sicher. Potenziellen Studenten wird auf der Website geraten, nach den „entsprechenden Bekanntmachungen“ Ausschau zu halten.

Emin Köktas, stellvertretender Rektor in Beykoz und Dekan der Kultur- und Sozialwssenschaftlichen Fakultät der geplanten Uni, erwartet die Neubesetzung des Rektor-Postens in den kommenden Wochen. „Manchmal dauert so etwas einen Monat, manchmal etwas weniger lang, manchmal etwas länger“, sagte Köktas dem Tagesspiegel. Den Starttermin im kommenden Wintersemester hält er trotz aller Probleme für realistisch. Zu den Gründen für die vielen Verzögerungen wollte er sich nicht äußern.

Fehlende Studenten bedeuten nach den Worten des Vize-Rektors aber nicht, dass in Beykoz nichts getan wird. Etwa 20 akademische Mitarbeiter und 40 Mitglieder der Verwaltung bereiteten die Infrastruktur der Uni für den Start des Lehrbetriebes vor. „Wir sind in der Aufbauphase“, sagte Köktas.

Nur dauert dies nun schon fünf Jahre. Bei einem Türkeibesuch will Kanzlerin Angela Merkel im Februar mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan erneut das Istanbuler Universitätsprojekt besprechen. Bei dem Treffen soll es auch schon um das Nachfolgeprojekt einer türkischen Uni in Deutschland gehen. Ob die Kanzlerin und der Premier dann Fortschritte in der Rektorenfrage und bei anderen Problemen vorfinden werden, ist aber noch nicht abzusehen.

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