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Inzwischen wurde auch im Grundwasser Radioaktivität nachgewiesen.

© dpa

Fukushima: Die tägliche Dosis (4)

Klein-Tschernobyl am Pazifik: Fukushima wird noch lange Radioaktivität freisetzen, meint Alexander S. Kekulé. Auch die derzeit halbwegs erfolgreiche Kühlung der Reaktoren hat einen hohen Preis.

Die Kühlung der havarierten Fukushima-Reaktoren 1 bis 3 wird noch eine ganze Weile dauern. Im günstigsten Szenario schaffen es die Techniker in den kommenden zwei bis vier Wochen, halbwegs stabile Kühlkreisläufe herzustellen. Dann könnte es noch einmal Wochen bis Monate dauern, bis das Kühlwasser stabil unter 100 °C bleibt, die Reaktoren also in der sicheren "Kaltabschaltung" sind.

Doch selbst dieses "best case"-Szenario hat es in sich. In mindestens einem der drei Reaktoren sind die Brennstäbe stark beschädigt, wodurch große Mengen Radioaktivität ins Kühlwasser gelangen. Höchstwahrscheinlich wäscht das Kühlwasser sogar in allen drei Reaktoren kontinuierlich Radioaktivität aus den Brennstäben. Möglicherweise wird auch im Abklingbecken des Block 4, als Folge der vorübergehenden Überhitzung der dort gelagerten Brennelemente vor einigen Tagen, das Kühlwasser radioaktiv kontaminiert.

Im Gegensatz zum Normalbetrieb der Reaktoren ist die derzeitige Notkühlung jedoch kein geschlossener Kreislauf. Obwohl pro Stunde rund 150 Liter Wasser in jeden Reaktor gepumpt werden (diese Tepco-Angabe schwankt und ist wohl nur eine grobe Schätzung), nimmt der Füllstand seit Tagen nicht zu. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Das System ist irgendwo undicht. Gleiches gilt für das Abklingbecken in Block 4, in das die Helfer mit einer gigantischen Betonpumpe (die übrigens "made in Germany" sein soll) jeden Tag rund 150 Tonnen Wasser nachfüllen müssen. Doch wohin verschwindet all das Kühlwasser?

Ein geringer Teil verdampft offensichtlich zu den "weißen Wolken", die Tepco täglich meldet und auch schon mal als Erfolg der Kühlmaßnahmen interpretierte. Der Rest versickert nach unten, zuerst in die Untergeschosse der Reaktorgebäude, dann in die Versorgungsschächte - und dann ins Meer. Da alle drei Reaktoren unter erheblichem Überdruck stehen, können auch durch kleine Lecks große Wassermengen austreten. Das derzeitige Problemkind ist Reaktor 1, in dem seit Tagen ein besonders starker Überdruck herrscht.

Hier verwirklicht sich übrigens, geradezu in perfekter Inszenierung, ein schon immer kritisiertes Risiko der Siedewasserreaktoren: Weil sie (aus Kostengründen) nur einen einzigen, riesigen Kühlwasserkreislauf haben, wird bei Versagen der Brennstäbe unweigerlich eine gigantische Menge Wasser radioaktiv verseucht.

Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Pfützen im Untergeschoss der Turbinengebäude massiv verstrahlt sind, z. B. satte 210 Millionen Becquerel pro Liter (Bq/l) Jod-131 und 1800 Millionen Bq/l Cäsium-137 in Block 1. Gleiches gilt für die Abwasserkanäle unter den Reaktoren, von denen heute die ersten Radioaktivitätsnachweise bekannt wurden. Das radioaktive Wasser hat sich sogar, wie schon seit einigen Tagen bekannt ist, in die unterirdischen Versorgungsschächte der Reaktorgebäude vorgearbeitet. In diesen U-förmigen Schächten, die Kabel und Rohre führen, sollte eigentlich gar kein Wasser sein. Der Versorgungsschacht von Block 1 ist fast vollgelaufen. Er mündet nur 70 Meter vom Meer entfernt.

Die (derzeit halbwegs erfolgreiche) Kühlung hat deshalb einen hohen Preis: Das Kühlwasser spült kontinuierlich große Mengen radioaktives Jod und Cäsium ins Meer - und über kurz oder lang auch ins Grundwasser. Durch Verdampfen und aufgewirbelten Staub werden die radioaktiven Isotope zusätzlich über die Luft verbreitet. Obwohl auf dem Luftweg wesentlich weniger Radioaktivität entweicht, hat sie große medizinische (und psychologische) Auswirkungen, weil sich ihr niemand entziehen kann. Nach der internationalen Atombehörde IAEO fordert seit heute auch die japanische Atomaufsicht von der Regierung, die Evakuierungszone um Fukushima zu vergrößern. - Ob das wirklich notwendig ist?

PS: Soeben meldet die Nachrichtenagentur Kyodo, dass bei Block 1 auch im Grundwasser Radioaktivität nachgewiesen worden sei. Dazu morgen mehr…

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