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Blick in Computeranschlüsse in einem Rechenzentrum.

© dpa

Einstein-Zentrum für digitale Zukunft: Wie Berlin Hauptstadt der Digitalisierung wird

50 neue IT-Professoren sollen die Digitalisierung vorantreiben – von der Archäologie bis zur Medizin. TU-Präsident Christian Thomsen erklärt im Interview, was das für Berlin bedeutet.

Herr Thomsen, die Digitalisierung gilt als eines der Zukunftsthemen Berlins. Vor wenigen Tagen wurde die Gründung eines „Einstein-Zentrums für digitale Zukunft“ mit 50 Professuren bekanntgegeben, das maßgeblich auf Ihre Initiative zurückgeht und von der TU Berlin geführt werden wird. Wie kam es dazu?

Inspiriert worden bin ich durch einen Artikel des Tagesspiegel-Mitherausgebers Sebastian Turner, der im Frühjahr 2015 nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung Berlins schrieb: Wenn die Stadt bereit ist, große Summen in dieses Sportereignis zu investieren, und das klappt nicht, dann sollte man stattdessen das Geld nehmen und 100 IT-Professoren nach Berlin holen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Ich habe noch in derselben Woche den Regierenden Bürgermeister, Michael Müller, angerufen und mit ihm darüber diskutiert. Und er hat gesagt: Das machen wir!

Nun gibt es bereits umfangreiche IT-Forschung in Berlin, welche Themen sollen an dem neuen Zentrum bearbeitet werden?

Zum Großteil wird bisher an Grundlagen geforscht oder an konkreten Anwendungen für Computer- und Handynetze. Das neue Einstein-Zentrum wird das ergänzen, dort soll an Schnittstellen zu anderen Disziplinen gearbeitet werden. Das Spektrum reicht von der Archäologie über Industrie 4.0 bis zu allem, was mit Smart City zu tun hat, also Digitalisierung der Infrastruktur im weitesten Sinne. Eine solche Konzentration an IT-Forschung, wie sie es dann in Berlin geben wird, ist in Deutschland einmalig und eine große Chance für den Wissenschaftsstandort.

Welche Schwerpunkte werden gesetzt?

Das Zentrum spricht viele Disziplinen in einer großen Breite an, aber es lassen sich vier Gruppen unterscheiden: ein IT-Kern, wo die der Informatik näheren Themen zu suchen sind, zweitens IT und Gesellschaft, drittens IT und Industrie und viertens IT und Medizin. Gerade „E-Health“ ist ein Gebiet, wo die Digitalisierung eine große Rolle spielt. Denken Sie an die „personalisierte Medizin“, wo man maßgeschneiderte Therapien für jeden Einzelnen entwickeln möchte. Ein weiteres großes Thema ist die zunehmende Fülle an Informationen, die zu bewältigen ist. Bei einem MRT zum Beispiel entstehen sehr viele Bilder, die bisher von Menschen ausgewertet werden – die auch einmal etwas übersehen können. Es ist vielversprechend, dafür Algorithmen zu entwickeln, die Unregelmäßigkeiten auf den Bildern erkennen und die Ärzte darauf hinweisen.

Ein Mann steht lächelnd vor einem Gebäude.
Christian Thomsen (57) ist Präsident der TU Berlin und Mitbegründer des „Arbeitskreises Digitalisierung“, der das Thema in der Stadt voranbringen will.

© TU Berlin/David Ausserhofer

Ein weiteres Thema sollen die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft sein.

Auch das ist sehr spannend. Konkret wird eine Professur zu Arbeit 4.0 entstehen, die vom Bundesarbeitsministerium gefördert werden soll. Dort geht es um die Frage, wie sich die Arbeitsumgebung durch die Digitalisierung verändern wird. In dieser Hinsicht geschehen gerade gewaltige Veränderungen. Dadurch ändern sich auch die Anforderungen, welche Fähigkeiten die Menschen haben müssen. Zudem sind wir mit dem Land Berlin im Gespräch, das digitale Module in alle Ausbildungsberufe einbringen möchte, weil das einfach eine Grundkompetenz in nahezu allen Tätigkeiten sein wird.

Wo werden die Forscher arbeiten? An den einzelnen Institutionen in der Stadt oder werden sie zusammengebracht, um den Austausch zu verbessern?

Formal werden die einzelnen Berufungen an den jeweiligen Institutionen erfolgen. Das sind die vier Universitäten mit der Charité sowie die Beuth-Hochschule für Technik und die Hochschule für Technik und Wirtschaft. Ein Teil der Berufenen wird an den jeweiligen Instituten sein, vor allem, wenn etwa Labore nötig sind. Ein großer Teil der Berufenen soll jedoch gemeinsam in einem eigenen Gebäude forschen. Das wird an der Wilhelmstraße am Robert-Koch-Forum sein, wovon der Regierende Bürgermeister einen Teil dafür zur Verfügung stellt. Dort wird es leichter sein, miteinander ins Gespräch zu kommen – über Fachgrenzen hinweg. Dabei werden auch regelmäßige Vorträge, Seminare und Diskussionsrunden helfen.

Sicher sind 50 Professuren, wobei der größte Teil Juniorprofessorinnen und -professoren sein werden. Woher kommt das Geld?

Aus einer Public-Private-Partnership. Ich habe mit mehreren Unternehmen gesprochen, ob sie unsere Digitalisierungs-Strategie unterstützen, und die Reaktionen waren beeindruckend. Es gab keine Absagen. Wir haben 27 private Spender, die Juniorprofessuren über die reguläre Dauer von sechs Jahren finanzieren werden. Dazu gehören bekannte Firmen wie die Telekom, Zalando oder Tomtom, aber auch mittelständische Unternehmen. Das Geld geht an die Einstein-Stiftung und für jeden Euro, der aus privaten Mitteln kommt, gibt das Land Berlin 50 Cent dazu. Auf diese Weise haben wir 18 Millionen Euro zusammenbekommen. Außerdem hat der Berliner Senat aus seinen Mitteln 12 Millionen Euro für die nächsten sechs Jahre zugesagt. Hinzu kommen Kooperationspartner, die aus juristischen Gründen nicht spenden können – etwa Fraunhofer-Institute, die aber unbedingt dabei sein wollen. Insgesamt ergibt das 38,5 Millionen Euro.

Das Interesse der beteiligten Firmen ist offenkundig. Die sagen also auch, was erforscht werden soll?

Wir einigen uns mit ihnen auf das Themengebiet. Die Bahnindustrie zum Beispiel will Bahnlogistik verbessern. An der Auswahl der Personen sind die Stifter aber nicht beteiligt. Das ist mir sehr wichtig, um die Freiheit der Forschung zu wahren.

Stehen die Forschungsergebnisse dann den Unternehmen exklusiv zur Verfügung oder sind diese öffentlich?

Da die Unternehmen das Geld an die Einstein-Stiftung zahlen und diese das Geld über das Zentrum an die Universitäten gibt, sind wir inhaltlich völlig unabhängig. Die Ergebnisse liegen urheberrechtlich bei der jeweiligen Uni und den Entwicklern, wie alles, was in öffentlich finanzierter Forschung erarbeitet wird.

Warum engagieren sich die Firmen, wenn sie so wenig davon haben?

Viele sagen mir, dass sie das Thema Digitalisierung in ihrer Branche voranbringen wollen. Natürlich ist es möglich, dass die Firmen dann in einzelnen Projekten mit den jeweiligen Professorinnen und Professoren zusammenarbeiten und dabei vereinbaren, dass die Resultate beim Unternehmen bleiben.

Warum sind bei der Initiative so viele Juniorprofessuren und keine vollwertigen Lehrstühle?

Das stimmt, etwa 45 der 50 IT-Profs werden Juniorprofessoren sein. Erstens handelt es sich um völlig neue Fachgebiete. Da gibt es wenige Personen, die man auf hoch ausgestattete Positionen berufen könnte. Und zweitens kann man für eine Finanzierung aus der Wirtschaft keine Professur auf Lebenszeit erwarten. Für manche Unternehmen sind auch Zusagen über sechs Jahre schon eine Herausforderung, vor allem für kleinere.

Was ist die Perspektive für die Wissenschaftler, wenn die Förderung nach sechs Jahren endet?

Eine Möglichkeit ist, dass sie bereits in der Zeit als Juniorprofessor auf eine höhere Stelle berufen werden. Ich denke, das wird bei vielen der Fall sein, weil sie auf innovativen Fachgebieten arbeiten. Die Nachfrage dort ist groß. Ehrlich gesagt macht mir das sogar ein bisschen Sorge, dass uns einige womöglich schon bald wieder verlassen. Darüber hinaus haben wir eine Zusage der Wissenschaftsverwaltung, dass wir ein Drittel der Juniorprofessuren in der jeweiligen Einrichtung dauerhaft erhalten können.

Ein solches Zentrum in etwa einem Jahr an den Start zu bringen, ist bemerkenswert schnell. Kam Ihnen auch zugute, dass am kommenden Sonntag Wahlen sind und der Regierende Bürgermeister diesen Meilenstein vor dem Wahltag präsentieren möchte?

Das weiß ich nicht. Die Einstein-Stiftung trifft sich allerdings jedes Jahr Anfang September, um über neue Zentren zu entscheiden. Man muss dazu wissen, dass die Bewilligung auf einem Votum internationaler Gutachter gründet, die wissen oft gar nicht, wer der Regierende ist. Aber es stimmt schon, es mag ein glücklicher Zufall für Michael Müller gewesen sein, dass die Sitzung nicht am 5. Oktober, sondern am 5. September war. Nun ist das jedoch nur ein Teil. Das Gesamtprogramm, der Zehn-Punkte-Plan zur Digitalisierung, an dem wir seit einem Jahr arbeiten, ist auf jeden Fall wahlunabhängig.

Die Digitalisierung ist auch andernorts als großes Thema erkannt worden. Wie sicher ist es, dass die Top-Forscher der Zukunft gerade nach Berlin kommen, wo nicht alles einen exzellenten Ruf hat?

Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Wir werden sicher den ein oder anderen verlieren, weil er nach München oder in eine andere Stadt geht. Aber wir haben den Vorteil, dass viele in die Metropole Berlin kommen möchten. Der Nachteil ist, dass die Bezahlung hier schlechter ist, aber dafür sind beispielsweise die Mietkosten geringer. Und man darf nicht vergessen, dass die Breite der Wissenschaft in der Stadt so groß ist wie kaum woanders. Es geht ja explizit nicht um die reine Informatik, die kann man anderswo auch gut betreiben. Wir wollen gerade die Schnittstellen zu anderen Disziplinen suchen.

Wann werden die ersten IT-Profs anfangen?

Die Ausschreibungen für die ersten 18 Professuren sind fertig, sie werden heute veröffentlicht. Eine zweite Ausschreibungsrunde kommt noch in diesem Jahr. Ich rechne damit, dass wir im Januar die ersten Zusagen haben, am 1. April 2017 geht es dann richtig los.

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