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Mini-Mammut

© dpa

Eiszeit: Vom Anfang der Kunst

Das Mammut aus Elfenbein von der Schwäbischen Alb ist mehr als 30.000 Jahre alt.

Archäologen haben auf der Schwäbischen Alb einen Sensationsfund gemacht. Sie entdeckten dort Elfenbeinschnitzereien, die zwischen 30 000 und 36 000 Jahre alt sind, darunter eine 7,5 Gramm schwere Mammut-Plastik. Es sind die ältesten Schnitzereien, die bisher auf der Welt entdeckt wurden.

Gefunden wurde es von einem Team um Nicholas Conard vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen. Die Forscher förderten die vorzeitlichen Kunstwerke schon im Juni 2006 zutage, und zwar bei Grabungen im Vogelherd, einer Höhle auf der Schwäbischen Alb. Es ist in der Archäologie aber nicht üblich, Fundstücke vor ihrer wissenschaftlichen Publikation zu präsentieren. So warteten die Wissenschaftler erst die Veröffentlichung in einem Fachblatt ab, bis sie an die Öffentlichkeit gingen.

Die zehntausende Jahre alten Schnitzereien sind stark nachgedunkelt. Für besondere Aufregung unter den Archäologen sorgt das etwa vier Zentimeter lange Mammut – vor allem deshalb, weil es vollständig erhalten ist. Elfenbein spaltet sich im Lauf der Zeit in seine Schichten auf: Deshalb wurden ähnlich betagte Kunstwerke aus diesem Material bisher nur in Fragmenten gefunden.

Conard ist begeistert davon, wie die Plastik herausgearbeitet ist. „Das Mammut ist klein und ausgesprochen perfekt gearbeitet, das würden weder Sie noch ich schaffen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das Tier mit seinem gebogenen Rüssel, den mächtigen Vorderfüßen, die den riesigen Kopf tragen, den grazileren Hinterbeinen, mit Augen, Ohren und Stummelschwanz sei erstaunlich realistisch dargestellt. Die Stoßzähne sind allerdings nur angedeutet – vermutlich deshalb, weil es schwierig war, sie in dieser Kleinheit aus Elfenbein zu schnitzen. „Die damaligen Künstler arbeiteten mit Werkzeugen aus Feuerstein“, erklärt Conard.

„Die Datierung der Fundstücke auf ein Alter zwischen 30 000 und 36 000 Jahren ist gut abgesichert“, bestätigt Hansjürgen Müller-Beck, ehemaliger Direktor des Tübinger Instituts. Dass die Kunstwerke nach so langer Zeit noch erhalten sind, sei auf den Boden zurückzuführen. Der bestünde aus trockenen kalkhaltigen Sedimenten, in denen sich Elfenbein und Knochen gut erhielten.

Die Schnitzereien stammen aus der Anfangszeit des künstlerischen Schaffens des Menschen. „Kunstwerke dieser Art wurden vor mehr als vierzigtausend Jahren wahrscheinlich noch nicht hergestellt“, sagt Müller-Beck. Die figürlichen Darstellungen entstanden im „Aurignacien“, der frühesten europäischen Kultur des modernen Menschen Homo sapiens sapiens. Angehörige dieser Kultur wanderten in der Altsteinzeit entlang der Donau nach Europa ein.

Müller-Beck möchte dennoch keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des Homo sapiens sapiens und dem Beginn der Kunst herstellen. „Die ältesten modernen Menschen gab es in Afrika schon vor mindestens neunzigtausend Jahren“, erklärt er, „also zehntausende Jahre, bevor die jetzt gefundenen Figuren entstanden.“ Es sei eine grobe Vereinfachung, wenn man behaupte, mit dem Homo sapiens sapiens sei auch die Kunst aufgetaucht. „Das Einzige, was wir derzeit sicher wissen: Die Schnitzereien wurden in einer Zeit hergestellt, als es in Europa offenbar vorwiegend moderne Menschen und nur noch wenige Neandertaler gab“, sagt Müller-Beck.

Derzeit ist unklar, welchem Zweck die Elfenbein-Plastiken einst dienten. Conard zufolge gibt es mindestens ein Dutzend verschiedene Deutungsansätze. Demnach könnten die Schnitzereien als Schmuck, Spielzeug oder als Utensilien für Schamanen gedient haben. Vielleicht haben sie aber auch die Zugehörigkeit zu bestimmten Clans ausgewiesen. Vielleicht geben weitere Grabungen Auskunft, die auf der Schwäbischen Alb bis 2009 andauern sollen. Frank Schubert

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