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Grüne Gentechnik: Entschuldigung eines Umweltschützers

In den 90er-Jahren war der Umweltschützer Mark Lynas einer der größten Gegner der Grünen Gentechnik. Heute hält er sie für dringend nötig. Hier schreibt er, weshalb er seine Meinung geändert hat.

Ich möchte mit ein paar Entschuldigungen beginnen. Es tut mir leid, dass ich mehrere Jahre damit verbracht habe, genetisch veränderte Pflanzen auszureißen. Es tut mir auch leid, dass ich in der Mitte der 90er-Jahre geholfen habe, die Bewegung gegen Grüne Gentechnik ins Leben zu rufen und dass ich dadurch dazu beigetragen habe, eine wichtige Technik zu verteufeln, die zum Wohl der Umwelt genutzt werden kann.

Als ein Umweltschützer und als jemand, der glaubt, dass jeder in dieser Welt das Recht auf eine gesunde, gehaltvolle Ernährung seiner Wahl hat, hätte ich keinen unsinnigeren Weg wählen können. Das bereue ich jetzt. Ich vermute, Sie wundern sich jetzt, was zwischen 1995 und heute passiert ist. Die Antwort ist recht simpel: Ich habe die Wissenschaft entdeckt und dabei bin ich hoffentlich ein besserer Umweltschützer geworden.

Als ich erstmals von Monsantos genveränderten Sojapflanzen hörte, wusste ich genau, was ich zu denken hatte. Hier war ein großes US-amerikanisches Unternehmen mit einem üblen Ruf, das etwas Neues und Experimentelles in unser Essen tat, ohne es uns zu sagen. Gene zwischen verschiedenen Arten zu mischen, schien so unnatürlich zu sein, wie es nur geht – hier erhielt die Menschheit zu viel technologische Macht. Etwas würde furchtbar schief gehen. Diese Gene würden sich wie eine Art lebende Verschmutzung ausbreiten. Es war der Stoff für Albträume.

Diese Ängste breiteten sich aus wie ein Buschfeuer und innerhalb weniger Jahre waren genetisch veränderte Pflanzen in Europa praktisch verboten und unsere Sorgen wurden durch Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Friends of the Earth nach Afrika, Indien und in den Rest Asiens exportiert. Dies war die erfolgreichste Kampagne, an der ich jemals beteiligt war.

Es war auch eine explizit anti-wissenschaftliche Bewegung. Wir nutzten das Bild von Wissenschaftlern in ihren Laboren, die dämonisch lachen, während sie mit den Bausteinen des Lebens selbst herumpfuschen. Daher kommt auch die Bezeichnung „Frankenstein Food“ – es ging um tief sitzende Ängste vor wissenschaftlicher Macht, die heimlich für unnatürliche Zwecke eingesetzt wird. Was uns damals nicht klar war: Das echte Frankenstein’sche Monster war nicht die Gentechnik sondern unsere Reaktion dagegen.

Für mich wurde diese anti-wissenschaftliche Form des Umweltschutzes immer weniger vereinbar mit meiner Pro-Wissenschafts-Haltung, wenn es um den Klimawandel ging. Ich veröffentlichte mein erstes Buch über die Erderwärmung 2004 und ich war entschlossen, es wissenschaftlich zu untermauern, anstatt lediglich eine Sammlung von Anekdoten vorzulegen.

Ich musste also die Geschichte meiner Reise nach Alaska mit Satellitendaten zum Meereseis unterfüttern, und ich musste meine Bilder verschwindender Gletscher in den Anden mit Langzeitmessungen von Gebirgsgletschern begründen. Dafür musste ich lernen, wissenschaftliche Veröffentlichungen zu lesen, Statistik zu verstehen und mich in verschiedene Felder von Ozeanographie bis Paläoklimatologie einarbeiten. Mein Abschluss in Politik und Neuerer Geschichte half mir dabei nicht viel.

Ständig führte ich Diskussionen mit Menschen, die ich für unverbesserliche Wissenschaftsgegner hielt, weil sie nicht auf die Klimatologen hörten und die wissenschaftliche Realität des Klimawandels bestritten. Also habe ich sie belehrt über den Wert der Peer-Review (Fachgutachten, die darüber entscheiden, ob eine Arbeit in einem Journal veröffentlicht wird – Anm. d. Red.), über die Wichtigkeit des wissenschaftlichen Konsenses und dass die einzigen Fakten, die zählen, die sind, die in den angesehensten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.

Mein zweites Klimabuch, Six Degrees, war so wissenschaftlich, dass es sogar den Wissenschaftsbuchpreis der Royal Society gewann und Klimaforscher, mit denen ich mich angefreundet hatte, scherzten, dass ich mehr über das Thema wisse als sie. Und dennoch, unglaublicherweise, schrieb ich zu dieser Zeit, 2008, immer noch im „Guardian“ Artikel, die die grüne Gentechnik angriffen, obwohl ich keine akademische Forschung in dem Feld gemacht hatte und ein ziemlich beschränktes Verständnis dafür hatte.

Natürlich war dieser Widerspruch unhaltbar. Was mich wirklich beunruhigte, waren einige der Kommentare unter meinem letzten „Guardian“-Artikel gegen Grüne Gentechnik. Besonders ein Kritiker, der meinte: Sie sind also gegen Grüne Gentechnik, weil sie von großen Firmen vermarktet wird. Sind sie auch gegen das Rad, weil es von großen Automobilunternehmen vermarktet wird?

Also begann ich ein wenig zu lesen. Und ich entdeckte, dass sich meine Überzeugungen über Grüne Gentechnik eine nach der anderen als wenig mehr als grüne Legenden erwiesen. Ich hatte angenommen, dass die Grüne Gentechnik den Verbrauch von Chemikalien steigern würde. Es stellte sich heraus, dass genveränderte Baumwolle und Mais weniger Insektizide benötigten. Ich war davon ausgegangen, dass die Grüne Gentechnologie nur den großen Unternehmen nutzt. Es stellte sich heraus, dass Milliarden US-Dollar an Bauern gingen. Ich war davon ausgegangen, dass niemand die Grüne Gentechnik wollte. Tatsächlich wurde Bt-Baumwolle nach indien und Roundup Ready Soja nach Brasilien geschmuggelt, weil Bauern diese Pflanzen unbedingt anbauen wollten. Ich war davon ausgegangen, dass die Grüne Gentechnik gefährlich ist. Es stellte sich heraus, dass sie sicherer und genauer war als konventionelles Züchten. Die Grüne Gentechnik bewegt nur ein paar Gene, während bei konventioneller Züchtung mit dem gesamten Erbgut rumgemurkst wird.

Und das Vermischen von Genen verschiedener Arten? Fisch und Tomate? Es stellte sich heraus, dass Viren das ständig tun, ebenso wie Pflanzen und Insekten und sogar der Mensch – das heißt Genfluss. Aber das war nur der Anfang. Wir werden 2050 mit etwa derselben Landfläche, die wir heute nutzen, 9,5 Milliarden hoffentlich viel weniger arme Menschen ernähren müssen. Mit begrenztem Dünger, Wasser und Pestiziden und in einem sich schnell wandelnden Klima.

Viele Menschen glauben, dass hohe Geburtenraten in Entwicklungsländern das große Problem sind - anders gesagt, arme Menschen kriegen zu viele Kinder und deshalb brauchen wir Familienplanung oder sogar etwas Drastisches wie eine Ein-Kind-Politik.

Die Wahrheit ist, dass die durchschnittliche Reproduktionsrate auf der Welt auf etwa 2,5 gesunken ist. Wenn man bedenkt, dass zur Arterhaltung eine Rate von 2,2 nötig ist, dann liegt sie nicht viel höher. Woher kommt also der massive Bevölkerungszuwachs? Er ist auf die sinkende Kindersterblichkeit zurückzuführen. Heute werden mehr Kinder erwachsen und kriegen selbst Kinder anstatt an vermeidbaren Krankheiten in der frühen Kindheit zu sterben.

Wieviel Nahrung werden all diese Menschen brauchen? Laut der neuesten Berechnungen, die im vergangenen Jahr im Fachblatt „PNAS“ erschienen sind, erwartet uns ein Anstieg in der globalen Nachfrage von deutlich über 100% bis zur Mitte des Jahrhunderts. Das geht fast komplett auf das steigende Bruttoinlandsprodukt vor allem in Entwicklungsländern zurück.

Als eine Folge dieses Wachstums bekommen wir es mit heftigen Umweltproblemen zu tun. Landgewinnung für die Landwirtschaft ist eine der größten Quellen von Treibhausgasen und vielleicht die wichtigste Ursache für den Verlust von Tier- und Pflanzenarten. Deshalb ist Intensivierung entscheidend – wir müssen auf der gleichen Fläche mehr anbauen, um die Regenwälder und verbleibenden Naturgebiete vor dem Pflug zu retten.

Zugleich müssen wir mit begrenztem Wasser auskommen – nicht nur wegen sinkender Grundwasserspiegel, sondern auch wegen Dürren, die auf Grund des Klimawandels in Zukunft heftiger zuschlagen könnten. Und wir müssen besser mit Stickstoff umgehen. Kunstdünger ist nötig, um die Menschheit zu ernähren, aber sein ineffizienter Einsatz hat zu Todeszonen im Golf von Mexiko und an vielen Küsten der Welt und zur Überdüngung von Binnengewässern geführt.

Es reicht nicht, sich zurückzulehnen und zu hoffen, dass der technische Fortschritt unsere Probleme lösen wird. Wir müssen aktiver und strategischer sein. Wir müssen sicherstellen, dass die Technik viel schneller voranschreitet und in die richtige Richtung für die, die es am dringendsten brauchen.

Im Grunde ist die Bio-Bewegung eine ablehnende. Aus Prinzip akzeptiert sie viele moderne Technologien nicht. Wie die Amischen in Pennsylvania, die ihre Technik auf dem Stand der 1850er eingefroren haben, hat die Bio-Bewegung ihre Technik auf dem Stand der 1950er-Jahre eingefroren und auch nicht aus besseren Gründen.

Sie wendet diese Idee nicht einmal konsequent an. Vor Kurzem las ich, dass es in Ordnung ist, Unkraut mit einem Flammenwerfer oder Stromstößen zu bekämpfen, aber gutartige Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat sind verboten, weil sie „künstliche Chemikalien“ sind.

In Wirklichkeit gibt es keinen Grund, warum Chemikalien zu vermeiden, besser für die Umwelt sein sollte – ganz im Gegenteil.Jesse Ausubel und Kollegen an der New Yorker Rockefeller-Universität haben errechnet, wie viel mehr Land indische Bauern benötigen würden, um heutige Erträge mit den Technologien von 1961 zu erzielen. Die Antwort ist 65 Millionen Hektar, eine Fläche von der Größe Frankreichs.

In China haben Maisbauern 120 Millionen Hektar Land eingespart, eine Fläche zweimal so groß wie Frankreich, weil moderne Technologien höhere Erträge erzielen. Zwischen 1961 und 2010 wuchs die Fläche, die für Landwirtschaft genutzt wird, um nur zwölf Prozent, während der Kalorienverbrauch pro Person von 2200 auf 2800 stieg. Mit drei Milliarden mehr Menschen hatte jeder trotzdem noch mehr zu essen, weil die Produktivität in dieser Zeit um 300 Prozent anstieg.

Wie viel Land wurde also weltweit verschont dank dieser dramatischen Steigerung der Erträge, für die Chemikalien eine wichtige Rolle spielten? Die Antwort ist drei Milliarden Hektar, das entspricht zweimal Südamerika. Es gäbe heute keinen Amazonas mehr ohne diesen Anstieg der Erträge. Es gäbe auch keine Tiger mehr in Indien und keine Orang-Utans in Indonesien. Darum verstehe ich nicht, wie sich manche derer, die gegen Technologie in der Landwirtschaft sind, Umweltschützer nennen können.

Und woher kommt der Widerstand? Es scheint eine weitverbreitete Annahme zu geben, dass moderne Technik mehr Risiko bedeutet. Tatsächlich gibt es sehr viele natürliche und organische Wege krank zu werden oder früh zu sterben, wie das deutsche Debakel mit Bio-Sprossen 2011 gezeigt hat. Das war eine Gesundheitskatastrophe, mit ebenso vielen Toten und Verletzten wie Tschernobyl. Insgesamt starben 53 Menschen und 3500 erkrankten. Und warum hatten sich diese Konsumenten für Bio-Essen entschieden? Weil sie glaubten, es sei sicherer und gesünder.

Wenn Sie sich die Situation ohne Vorurteile anschauen, dann ist viel von der Debatte auf den naturalistischen Fehlschluss zurückzuführen – den Glauben, dass Natürliches gut ist und Künstliches schlecht. Das ist ein Fehlschluss, weil es zahlreiche absolut natürliche Gifte und Todesursachen gibt, wie Ihnen Verwandte derer, die an Ehec gestorben sind, bezeugen können. Bei Bio-Lebensmitteln ist der naturalistische Fehlschluss zum zentralen Leitprinzip einer ganzen Bewegung erhoben worden. Das ist irrational und wir schulden es der Erde und unseren Kindern, es besser zu machen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir reicht es. Meine Schlussfolgerung hier und heute ist ganz klar: Die Debatte über die Grüne Gentechnik ist vorbei. Sie ist abgeschlossen. Wir müssen nicht länger diskutieren, ob sie sicher ist oder nicht - in mehr als eineinhalb Jahrzehnten, in denen drei Billionen Mahlzeiten mit grüner Gentechnik gegessen wurden, hat es keinen einzigen Schadensfall gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass Sie von einem Asteroiden getroffen werden als dass Ihnen eine genmanipulierte Mahlzeit schadet. Um es auf den Punkt zu bringen: Es sind schon Menschen gestorben, weil sie sich für Bio-Essen entschieden haben, aber niemand, weil er genetisch verändertes Essen gegessen hat.

Genau wie ich das vor zehn Jahren getan habe, behauptet Greenpeace heute, es werde wie beim Klimawandel von der Wissenschaft geleitet. Aber bei der Grünen Gentechnik gibt es einen steinharten wissenschaftlichen Konsens, der von der American Association for the Advancement of Science, der Royal Society und von Gesundheitsinstituten und Wissenschaftsakademien auf der ganzen Welt vertreten wird. Aber diese unangenehme Wahrheit wird ignoriert, weil sie mit der Ideologie in Konflikt steht.

Also fordere ich Sie alle heute heraus, Ihre Überzeugungen in diesem Bereich zu hinterfragen und zu schauen ob Sie einer rationellen Überprüfung standhalten. Fragen Sie immer nach den Beweisen und lesen Sie nicht nur die sich selbst zitierenden Berichte der NGOs, die Kampagnen fahren.

Das wichtigste ist, dass Bauern die Freiheit haben sollten, zu wählen, welche Technik sie nutzen wollen. Wenn Sie glauben, die althergebrachten Methoden sind am besten, ist das okay. Das ist ihr gutes Recht.

Wozu Sie nicht das Recht haben, ist, anderen im Weg zu stehen, die nach Wegen streben, die Dinge anders und hoffentlich besser zu machen. Bauern, die den Druck einer wachsenden Bevölkerung und einer sich erwärmenden Welt verstehen. Die verstehen, dass Ertrag pro Hektar der wichtigste Umweltmaßstab ist. Und die verstehen, dass die Technologie nie aufhört, sich zu entwickeln, und dass selbst der Kühlschrank und die Kartoffel einmal neu und furchterregend waren.

Darum ist meine Botschaft an die Gegner der Grünen Gentechnik: Ihr habt das Recht auf eure eigene Sichtweise. Aber ihr müsst wissen, dass die Wissenschaft nicht hinter euch steht. Wir kommen an einen Wendepunkt und im Interesse der Menschen und des Planeten ist es jetzt an der Zeit, dass ihr beiseite tretet und den Rest von uns damit weitermachen lasst, die Welt nachhaltig zu ernähren.

Danke.

- Der Autor ist Journalist, Buchautor und Umweltaktivist. Der Artikel basiert auf einer Rede, die Lynas am 3. Januar auf einer Konferenz in Oxford gehalten hat. Der Text wurde übersetzt und gekürzt von Kai Kupferschmidt.

Mark Lynas

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