zum Hauptinhalt
Tausende Blutproben von Isländern lagert die Firma Decode, um daraus die DNS zu isolieren und zu untersuchen.

© Decode

Erbgut der Isländer - Nordish by Nature: Genetisches Selfie einer ganzen Nation

Ein Drittel aller Isländer hat Forschern einen Blick in ihr Erbgut erlaubt. Die wohl bislang umfassendste Analyse menschlicher Gene nützt auch anderen Ländern.

Ist die Sängerin Björk Islands bedeutendste Künstlerin, so ist Kari Stefansson, 65, der wichtigste Wissenschaftler des Landes. Jetzt hat der Harvard-Neurologe und Biotechnik-Unternehmer Stefansson seinen größten Coup gelandet. In der Online-Ausgabe des Fachblatts „Nature Genetics“ zeichnet er das bislang umfassendste genetische Porträt einer ganzen Nation – seiner eigenen.

"Mehr als ein nationales Selfie"

Gemeinsam mit dem Team seiner Firma „Decode“ und einer Gruppe isländischer Forscher hat Stefansson das komplette Erbgut (Genom) von 2636 Landsleuten entziffert, dazu teilweise Erbgutanalysen von weiteren 104 000 (von insgesamt 320 000) Isländern. Die Ergebnisse seien „weit mehr als ein molekulares nationales Selfie“, sagte Stefansson einer Pressemitteilung zufolge. Man trage mit ihnen zum weltweiten Fortschritt in Wissenschaft und Medizin bei.

Für die genetische Forschung ist Island ein ideales Terrain. Die Isländer sind ein kleines Volk mit gemeinsamer Abstammung von wenigen Kelten und Wikingern und damit fast so etwas wie eine große Familie. Seit fast 1000 Jahren führen sie genau über ihre Herkunft Buch, so dass ihre Stammbäume und Verwandtschaftsverhältnisse gut bekannt sind. Diese genealogischen Daten ergänzen zusammen mit medizinischen Aufzeichnungen die genetischen Informationen. Etwa bei der Frage, wie sich bestimmte Gene auf Krankheiten auswirken.

Berührungsprobleme mit der Genforschung haben die meisten Isländer nicht, das erleichterte die Arbeit der Wissenschaftler. Alle Gen-Analysen erfolgten mit Zustimmung der betreffenden Personen.

Der Genforscher Kari Stefansson hat die isländische Biotechnik-Firma "Decode" gegründet.
Der Genforscher Kari Stefansson hat die isländische Biotechnik-Firma "Decode" gegründet.

© Nature/Chris Lund

20 Millionen ausgetauschte Buchstaben im Code

Drei Milliarden biochemische „Buchstaben“ umfasst ein menschliches Genom. Stefansson und seine Kollegen machten in ihm 20 Millionen Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) ausfindig. SNPs sind Buchstaben im Erbgut, die von Person zu Person unterschiedlich sein können. Meist sind sie ohne Bedeutung für die Gesundheit, sie können aber auch eine Veranlagung zu bestimmten Krankheiten einhergehen. Außerdem fanden die Forscher 1,5 Millionen Stellen, an denen ein Abschnitt der Erbinformation DNS eingefügt oder ausgetauscht war.

In ersten Auswertungen entdeckten die Wissenschaftler Varianten von Erbanlagen, die das Risiko für Leberleiden, Herzrhythmusstörungen und Alzheimer erhöhen. Zudem stellte sich heraus, dass bei etwa acht Prozent der mehr als 100 000 untersuchten Isländer mindestens eine Erbanlage komplett ausgefallen war. Dieses genetische „Knockout“ könnte Folgen für die Gesundheit haben. Davon sind jedoch überwiegend weniger wichtige Funktionen wie der Geruchssinn betroffen, Gene für das Gehirn zum Beispiel sind seltener ausgefallen.

Der genetische "Adam" lebte vor etwa 239 000 Jahren

Auch mit dem Y-Chromosom befassten sich die Wissenschaftler. Es wird ausschließlich in der männlichen Linie weitergegeben. Sie errechneten, wie häufig das männliche Geschlechtschromosom sich im Lauf der Zeit genetisch verändert. Diese Mutationsrate kann als evolutionäre Uhr dienen, mit der Ereignisse in der menschlichen Evolution und Geschichte datiert werden können.

Legt man diese „Uhr“ zugrunde, lebte der letzte gemeinsame männliche Vorfahr des heutigen Menschen, gewissermaßen unser „Adam“, vor etwa 239 000 Jahren, im Rahmen einer Zeitspanne von 174- bis 321 000 Jahren. Nach Angaben von „Decode“ ist das 100 000 Jahre später als nach anderen Kalkulationen und viel näher am letzten gemeinsamen Vorfahr der mitochondrialen DNS. Die in den „Kraftwerken“ der Zelle enthaltene mitochondriale Erbinformation wird nur von der Mutter vererbt. Sie führt auf die Spur von „Eva“, dem letzten weiblichen Vorfahren aller heute Lebenden. Die „mitochondriale Eva“ lebte vor 100- bis 200 000 Jahren.

Zur Startseite