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in der Klinik

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Ethikrat fordert Reformen für Krankenhäuser: Der Patient sollte der Maßstab sein

Zeitmangel, Fehlanreize, Kostendruck:  Dass das Patientenwohl in der Klinik im Mittelpunkt steht, ist keine Selbstverständlichkeit. Der Deutsche Ethikrat bemängelt die Missstände.

Wer ins Krankenhaus geht, möchte gesund werden – oder diesen Ort zumindest mit der Aussicht auf mehr Gesundheit verlassen. Und er möchte sich für die Zeit seines Aufenthalts dort, den Umständen entsprechend, möglichst wohlfühlen. Gut versorgt und in jeder Beziehung gut behandelt. So gesehen sollte „Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus“ eine Selbstverständlichkeit sein. Zahlreiche Entwicklungen deuteten allerdings darauf hin, „dass das stationäre Versorgungssystem in Deutschland zunehmend hinter diesem Anspruch zurückbleibt“, schreibt der Deutsche Ethikrat in einer 150 Seiten umfassenden Stellungnahme, die gestern zum Abschluss einer vierjährigen Amtsperiode in Berlin vorgestellt wurde.

Derzeit komme es bei den Klinikmitarbeitern immer wieder zu Konflikten zwischen ihrem Berufsethos und der Realität des Berufsalltags. Mit dem Papier will der Deutsche Ethikrat keinen politischen Vorschlag für ein weiteres Krankenhaus-Reform-Gesetz vorlegen. Man habe es vielmehr für nötig befunden, „Überlegungen zu den leitenden normativen Maßstäben“ anzustellen, sagt Ratsmitglied Thomas Heinemann.

Um dem Wohl der Kranken zu dienen, müssen Kliniken danach drei ethische Kriterien beachten und ausbalancieren: Sie müssen natürlich gute Qualität bieten, und das nicht allein bei der Behandlung, sondern auch bei Diagnostik und Therapieentscheidung. Sie müssen sich mit „selbstbestimmungsermöglichender Sorge“ um die Patienten kümmern, und sie müssen auf Gerechtigkeit beim Zugang zu ihren Leistungen und bei deren Verteilung achten. Der Ethikrat spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „ressourcen-reflexivem“, also wirtschaftlichem Verhalten.

Fehlanreize für ethisch problematisches Verhalten

Das seit mehr als einem Jahrzehnt gültige „DRG“-System, bei dem Krankenhäuser von den Krankenkassen diagnosebezogene Fallpauschalen vergütet bekommen, wird in der neuen Stellungnahme ausdrücklich nicht infrage gestellt. „Wir gehen davon aus, dass das System lernfähig ist“, sagt der Psychologe Michael Wunder. Folgerichtig liefert der Ethikrat gleich ein paar Vorschläge dafür, an welchen Stellen das System besser werden muss: „Als überprüfungsbedürftig kann das bisher im DRG-Fallpauschalen-System vorrangig zugrunde gelegte Vergütungskriterium der erbrachten ärztlichen Leistungen angesehen werden.“ Das biete einen starken Fehlanreiz zu „ethisch problematischem Verhalten“, schreibt der Ethikrat mit Blick auf die Zunahme von lukrativen Eingriffen.

Eine zentrale Malaise im gegenwärtigen Krankenhausbetrieb sei Zeitmangel und die drastische finanzielle Unterbewertung des Gesprächs mit dem Patienten. Um dem zu begegnen, schlägt der Ethikrat vor, die Zahlung der Pauschalen an den Nachweis von Gesprächen und Bedenkzeit vor einer Behandlung zu knüpfen. Außerdem sollte die Zahlung an Qualität und Ausstattung gebunden sein.

Zudem solle es prinzipiell möglich sein, auch das Unterlassen einer therapeutischen Maßnahme zu honorieren, etwa durch die Einführung einer Prozedur mit dem schlichten Namen „Beobachtung“. Diese Forderung passt perfekt zur Initiative „Gemeinsam klug entscheiden“, für die verschiedene medizinische Fachgesellschaften unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) jetzt Listen von Tests und Therapien zusammengestellt haben, von denen Ärzte in bestimmten Konstellationen besser die Finger lassen sollten.

Nicht ein Krankenhausaufenthalt nach dem nächsten

Ein Ärgernis, weil meist dem Patientenwohl überhaupt nicht dienlich, ist auch, dass mehrfach kranke Menschen heute mehrfach hintereinander im Krankenhaus aufgenommen werden, weil dort jeweils nur eine Diagnose DRG-gerecht behandelt werden kann. Das belaste vor allem ältere, ohnehin schon geschwächte Patienten. Der Ethikrat fordert hier „Paketlösungen“, also die Bündelung paralleler Diagnosen und deren Behandlung bei einem Aufenthalt. Für bestimmte Situationen sollten individuelle Entgeltsätze vereinbart werden können. So könne man etwa die Bereitschaft fördern, Demenzkranke im Akutkrankenhaus angemessen zu behandeln und zu betreuen oder Notfallambulanzen zu unterhalten. Zudem müsse es Mindestquoten für qualifizierte Fachpflegekräfte geben.

Wunder sieht in all diesen Punkten „Missstände mittlerer Reichweite“, die sich durch Reformen des derzeitigen Entgeltsystems zumindest verringern lassen. Dass die finanzielle Misere vieler Kliniken auch mit dem mangelnden Engagement der Bundesländer für deren Ausstattung zu tun hat, wird in der Stellungnahme ebenfalls angesprochen.

„Salus aegroti suprema lex“, das Wohl des Patienten ist das oberste Gesetz. Wo diese Maxime gilt, ist es trotz solcher Missstände unstatthaft, an erster Stelle aufs Geld zu schauen. „Ein ökonomischer Reduktionismus bei der Führung eines Krankenhauses“ verbiete sich auch für Manager der Führungsebene, betont der Deutsche Ethikrat. Auch die Geschäftsführung eines Krankenhauses sollte seiner Ansicht nach über „grundständige Kenntnisse in Medizin und Pflege“ verfügen.

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