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Professorinnen im Parlament. An sechs Thementischen wurde im Berliner Abgeordnetenhaus über Genderforschung diskutiert – wenn auch nicht besonders kontrovers.

© Karlheinz Schindler/ picture alliance / dpa

Gender-Professorinnen im Parlament: Gender: „Kapieren, wie Macht funktioniert“

Eine Genderdebatte im Abgeordnetenhaus: Wie Berliner Professorinnen ihre Wissenschaft verteidigen.

Seit geraumer Zeit fungiert „Gender“ als Kampfvokabel. Der „Genderismus“ soll demnach eine totalitäre Ideologie sein, die uns das Geschlecht aberziehen und Kinder frühsexualisieren will, ruft es nicht nur aus der AfD, Pegida oder dem Kreis der „Besorgten Eltern“, sondern auch aus den Feuilletons bürgerlicher Zeitungen. Die Genderforschung an den Hochschulen fühlt sich von den nicht enden wollenden Kampagnen inzwischen dermaßen unter Druck gesetzt, dass sich ihre Berliner Vertreterinnen, Professorinnen aus verschiedenen Disziplinen, nun zu einer unkonventionellen Maßnahme entschlossen. Um ihre Forschung zu verteidigen, trafen sie sich in der vergangenen Woche mit der Politik und der interessierten Öffentlichkeit zu einem Austausch im Berliner Abgeordnetenhaus. „Dialog statt Hass“, lautete die Devise.

0,4 Prozent aller Professuren sind für Gender denominiert

Eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg). Die Seite der Politik wurde von der Überparteilichen Fraueninitiative e.V. (üpfi) repräsentiert, die seit fast 25 Jahren engagierte Frauen aus den Fraktionen des Abgeordnetenhauses und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens verbindet – und der Genderforschung sehr freundlich gesonnen ist: „Durch die Genderforschung habe ich erst richtig kapiert, wie Macht funktioniert“, sagte die üpfi-Sprecherin und FDP-Politikerin Carola von Braun gleich zum Auftakt. Die anwesenden Genderprofessorinnen trugen an diesem Abend also Eulen nach Athen.

Wie kommt es, dass sich so aggressiver Widerstand gegen ein so kleines Forschungsgebiet formiert hat?, fragte Sabine Hark, Soziologin an der TU Berlin, in ihrem Einführungsvortrag. Von bundesweit hauptamtlich besetzten 35.000 Professuren sind nur 0,4 Prozent der Genderforschung gewidmet, die meisten davon aus einer Disziplin heraus (Germanistik, Wirtschaft usw.). Von dem behaupteten „Boom“, der angeblich Millionen bis Milliarden schlucke, könne gar keine Rede sein.

Gender-Bashing ist anschlussfähig an den populistischen Anti-Etatismus

Doch die anti-feministischen Kräfte wüssten, dass es heute kaum opportun sei, Geschlechtergerechtigkeit infrage zu stellen und den Feminismus zu attackieren. Frauen sollten natürlich die gleichen Rechte haben, wird deshalb auch von Gender-Feinden argumentiert, denen der Fortschritt in Wahrheit zu weit geht. Allerdings seien Frauen von Natur aus nun einmal grundsätzlich anders, stellen sie entsprechend fest. So verschiebt sich die Attacke vom Feminismus auf ein akademisches Konzept, eben Gender, das die sozial gemachten Ungleichheiten machtkritisch untersucht, erklärte Hark.

Anschlussfähig an die großen populistischen Felder des Anti-Etatismus und des anti-europäischen Nationalismus wird das Thema Hark zufolge durch die falsche Behauptung, die Gender Studies seien Teil der staatlichen Gleichstellungspolitik („Gendermainstreaming“) Deutschlands und der EU. „Auf dem Spiel steht nicht nur die Reputation der Gender Studies“, schloss Hark, „sondern auch die Universität als Teil einer offenen, demokratischen Gesellschaft“.

Die GEW und der DGB wollen Bündnispartner sein

Was ist zu tun? Carola von Braun sagte, die Mehrheit der Gesellschaft sei sicher für die Gleichberechtigung und gegen Rassismus. „Aber die Mehrheit schläft.“ Sie dürfe sich auf dem Erreichten nicht ausruhen, sondern müsse es verteidigen. Detlef Mücke von der AG Homosexuelle Lehrer in der GEW empfahl den Forscherinnen seine Gewerkschaft und den DGB als Bündnispartner gegen scharf angreifende Eltern. „Wir sollten uns nicht nur in Abwehrschlachten verlieren“, sagte die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig (FU), „sondern zeigen, wofür wir positiv einstehen: Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte.“

An sechs Themen-Tischen luden die Geschlechterforscherinnen dann die Politik und etwa 30 Zuhörer ein, alle sie bewegenden Gender-Fragen zu stellen: zu Wirtschaft, Literatur, Biologie, Medien, Soziologie und Technik. Gibt es in der Kunst- und Theaterstadt Berlin eine feministische Avantgarde?, lautete die Frage am Literaturtisch. Intellektuell schon, sagt Judith Siegmund, Professorin für Theorie und Gestaltung an der Universität der Künste. Hier gebe es Autorinnen, Regisseurinnen, Künstlerinnen en masse. „Doch viele von ihnen arbeiten prekär. Und je höher der Grad der Institutionalisierung, umso weniger Frauen gibt es.“ Intendanzen, Galerien, Orchester – alles in Männerhand.

"Die Biologie findet so viele Geschlechter, wie sie sucht"

Am Wirtschaftstisch erläuterte die Ökonomin Andrea-Hilla Carl von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, dass die Unternehmen das Gender-Wissen inzwischen gerne benutzten, um Personal zu rekrutieren und international konkurrenzfähig zu sein. Doch für Lohndifferenzen, Altersarmut und die Belastungen durch die Familienarbeit interessiere sich die Wirtschaftselite nicht.

„Wenn Biologen zwei Geschlechter finden wollen, finden sie auch zwei“, war am Biologie-Tisch zu erfahren. „Suchen sie fünf, finden sie fünf.“ Die Vorstellung, es gebe nur zwei Geschlechter, sei jedenfalls längst in Auflösung, weil die Zweigeschlechtlichkeit biologisch nur noch schwer zu beweisen sei. Allerdings leide das Fach Biologie an einem Mangel an Genderreflexion. Ein Kongress, auf dem sich Biologinnen mit Kulturwissenschaftlerinnen über Gender austauschen, könne Abhilfe schaffen, schlug eine Forscherin vor. Vielleicht verläuft die Debatte dann auch kontroverser als im Abgeordnetenhaus.

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