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(Nicht-) Korrigieren. Per Gentechnik kann das Gen, das rote Blutkörperchen zu Sichelzellen (grün) macht, korrigiert werden. Doch die Mutation schützt auch vor Malaria.

© Mauritius

Gentechnik: Genbastler bremsen sich

Das optimierte Erbgut: Forscher rufen zu einer Diskussion um neue genchirurgische Techniken auf. Es müsse dringend geklärt werden, welche Eingriffe erlaubt sein sollen und welche man besser unterlässt.

Es waren die wilden Siebziger, die Anfänge der Gentechnik. Gerade erst hatten Forscher wie die Amerikaner Paul Berg und David Baltimore Werkzeuge entwickelt, mit denen sich DNS schneiden und neu kombinieren ließ. Eine Zeit der Begeisterung, der Start in eine neue Ära der Biologie. Doch Berg, Baltimore und andere Gentechnikpioniere hielten inne, legten ihre Genscheren und -kleber zur Seite, um über mögliche Gefahren der neuen Technologie zu diskutieren und sich 1975 auf der inzwischen legendären Konferenz im kalifornischen Asilomar selbst Regeln aufzuerlegen.

Eingriffe in die Keimbahn betreffen auch die Nachkommen

Jetzt rufen Berg und Baltimore, längst nicht mehr lang- sondern grauhaarig, gemeinsam mit einem Dutzend Genforschern wieder zum Nachdenken auf. Anlass ist eine neue Technik, „Crispr“. Sie erlaubt handwerklich simple aber präzise Eingriffe ins Erbgut – so präzise, dass Ärzte Gendefekte in menschlichen Keimzellen tilgen und menschliches Erbgut – wenn man so will – „optimieren“ könnten. Solche Eingriffe in die Keimbahn, die also nicht nur ein Individuum, sondern auch dessen Nachkommen betreffen, sind bei Mäusen und Affen bereits gelungen. Beispielsweise konnte ein Gendefekt im Erbgut der Maus behoben werden, der sonst eine erbliche Leberkrankheit auslöst. Soll Derartiges künftig auch beim Menschen möglich sein?

„Selbst dieses scheinbar überschaubare Szenario wirft gravierende Probleme auf“, schreiben die Forscher in ihrem Diskussionsaufruf im Fachblatt „Science“. Das Wissen um die Interaktion menschlicher Gene mit der Umwelt sei noch sehr begrenzt. So bietet beispielsweise ein Gendefekt, der rote Blutkörperchen verändert und Sichelzellanämie auslöst, gleichzeitig Schutz gegen Malaria – die Erreger können sich in den „kranken“ Zellen nicht vermehren. Da jedes Gen mehrere Funktionen haben kann, könnte es kommenden Generationen womöglich schaden, wenn eine vermeintlich „krank machende“ Genvariante korrigiert wird.

Die Forscher fordern ein Moratorium

In Deutschland und auch in den meisten anderen Industrieländern sind Eingriffe in die Keimbahn ohnehin verboten oder streng reguliert. Dennoch empfehlen die Forscher in ihrem Aufruf ausdrücklich, dass selbst Wissenschaftler unter laxeren Gesetzgebungen Eingriffe in die Keimbahn „nicht einmal versuchen“ sollten, solange ethische, gesellschaftliche und Umwelt-Folgen noch diskutiert werden. Ein solches Moratorium solle den Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Techniken ermöglichen.

Zweitens wünschen sich die Genforscher Experten-Foren, die über die Risiken und Möglichkeiten dieser „mächtigen“ Technik beraten und informieren. Drittens sollen genchirurgische Techniken wie „Crispr“ besser erforscht werden. Das sei „essenziell“, um beurteilen zu können, ob eine klinische Anwendung überhaupt infrage kommt. Viertens plädieren die Forscher für eine „global repräsentative Gruppe“ aus Entwicklern und Nutzern genchirurgischer Techniken, Experten für Genetik, Ethik, Gesetzgebung, Vertretern der Öffentlichkeit, Regierungsorganisationen und Interessengruppen. Sie soll Regulierungen empfehlen, falls nötig.

Der Ethikrat sieht keinen Anlass für eine Stellungnahme

In Deutschland ist man sich der Bedeutung der „Crispr“-Technik bewusst. „Die Leichtigkeit und die Präzision der neuen Verfahren sind eine neue Qualität“, sagt Ferdinand Hucho, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften die Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ leitet. Die Notwendigkeit einer Diskussion über „Genome Editing“, wie sie Hucho unterstützt, sieht der zuständige Nationale Ethikrat allerdings noch nicht. Eine Stellungnahme zur Genomchirurgie ist dort nicht geplant.

Deutsche Gesetze werden durch die neuen Techniken nicht in Frage gestellt, eine Änderung sei „keinesfalls“ nötig, sagt Hucho: „Das Embryonenschutzgesetz, das Eingriffe in die Keimbahn verbietet, darf nicht infrage gestellt.“ Keimbahntherapie dürfe nicht denkbar werden. Denn wäre erst die Keimbahntherapie einzelner Krankheiten erlaubt, dann ginge es bald auch um eine „Verbesserung“ des Menschen, „um eine neue Eugenik“.

Inwiefern lässt sich der Einsatz der Technik überhaupt kontrollieren?

Da die „Crispr“-Technik selbst von durchschnittlich ausgestatteten Labors anwendbar ist, stellt sich allerdings die Frage, wie ein verdeckter Einsatz der Technik an menschlichen Keimzellen, beispielsweise in Befruchtungskliniken, künftig überhaupt kontrollierbar wäre. „Man wird an verschärften Regulierungen zur Zertifizierung gentechnisch arbeitender Forscher und Arbeitsgruppen sowie von Befruchtungskliniken nicht vorbeikommen“, sagt Hucho.

„Die Intention von Asilomar 1975 war, Selbstregulierungen zu entwickeln, die als Gerüst für ein neues Feld dienen können, ohne vorhersehen zu können, wohin es sich entwickeln würde“, sagt Baltimore. „Und wir waren extrem erfolgreich damit.“ So ist auch der aktuelle Aufruf gemeint, dem ein Forschertreffen im kalifornischen Napa im Januar vorausging. Gesetze hält Baltimore nicht für das richtige Mittel. „Gesetze sind starr und die damit einhergehende Bürokratie lässt sich nicht schnell genug an neue Entwicklungen anpassen“, sagt Baltimore, der am California Institute of Technology in Berkeley arbeitet. „Für jede neue Technologie sollten die regulatorischen Rahmenbedingungen flexibel sein, denn technische Möglichkeiten können sich rasch ändern.“ Die Einzigen, die diese neuen Informationen verstehen könnten, seien die Forscher selbst.

Sein Kollege Paul Berg sieht das anders. Er plädiert für eine starke Einbindung der Gesellschaft in die Diskussion der Gentechnik: „Hybris, der Gegensatz zur Besonnenheit, ist unter Forschern weitverbreitet“, sagte er 2012 auf einer Tagung der Royal Society in London. Forscher hätten eine „unglaubliche Fähigkeit“, potenzielle Risiken der eigenen Arbeit zu ignorieren.

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