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Beste Voraussetzungen. Mildes Klima, viel Regen und Pflanzen, die ihre Wurzeln in Felsspalten treiben, führen dazu, dass in den neuseeländischen Alpen Boden besonders schnell gebildet wird.

© IMAGO

Geowissenschaft: Neue Erde

An steilen Bergen in Neuseeland entstehen Böden in rasantem Tempo – schneller als anderswo auf der Welt.

Es schien widersinnig. Eigentlich wollten die Geowissenschaftler die Erosion in den neuseeländischen Alpen erforschen, also den Weg von Geröll und Erde hinab ins Tal. Und nun kämpften sie sich nach oben, an einem steilen, rutschigen Hang. Es ging nicht anders, der Hubschrauber, der sie aus dem weglosen Gelände abholen würde, konnte nur oberhalb der Baumgrenze landen. Dorthin mussten Isaac Larsen und André Eger ihre Proben schleppen, gut 15 Kilo in jedem Rucksack. So ging es Tag für Tag, oft bei Wind, Regen und nur wenigen Grad über null.

Die Forscher wurden belohnt. Wie sich nun herausstellt, hatten sie nicht nur Belege für eine sehr starke Erosion gefunden. Sie entdeckten auch, dass an diesen steilen Gebirgshängen Boden rasend schnell neu entsteht – zumindest aus Sicht von Geowissenschaftlern. Bis zu 2,5 Millimeter im Jahr werden dort gebildet, berichten sie im Fachmagazin „Science“. Ein Wert, den viele Kollegen für unmöglich gehalten hatten. Selbst Daten aus „schnellen“ Bodenbildungsgebieten erreichten allenfalls einen Bruchteil.

Dabei laufen stets ähnliche Vorgänge ab. Den Anfang bildet frisches Gestein, das an die Erdoberfläche gelangt, etwa indem der Hang eines Berges abstürzt. Durch Sonnenstrahlung und wechselnde Temperaturen wird der Fels aufgebrochen in kleine Stücke. Regenwasser und darin enthaltene chemische Verbindungen gelangen an die Bruchflächen und treiben die Verwitterung voran. So werden etwa Feldspate – das sind häufig vorkommende Minerale in Gesteinen – umgewandelt zu Tonmineralen. Diese wiederum sind ein wesentliches Element des Bodens, der sich langsam auf dem Fels bildet.

„Das Tempo der Bodenentwicklung hängt von verschiedenen Faktoren wie Klima und Pflanzenwuchs ab“, sagt André Eger, der mittlerweile an der Universität Potsdam forscht. An den Berghängen auf der neuseeländischen Südinsel treffen einige günstige Voraussetzungen zusammen. Es regnet viel, teilweise zwanzigmal so viel wie zum Beispiel in Berlin. Dadurch steht viel Wasser für die Verwitterung zur Verfügung. Die Temperaturen sind moderat, so dass die chemischen Reaktionen schneller ablaufen als etwa in den Gletschergebieten der europäischen Alpen. „Auch der Pflanzenwuchs in Form von dichten Büschen ist günstig“, sagt der Forscher. „Einerseits dringen die Wurzeln in kleine Felsritzen und brechen das Gestein weiter auf. Andererseits produzieren sie organische Säuren, die die chemische Verwitterung antreiben.“

Ohne äußere Einflüsse verliert die Bodenbildung allerdings bald an Tempo. Denn die Zone, wo die Gesteinsumwandlung gerade einsetzt, wandert weiter in die Tiefe. Dort kommt vergleichsweise wenig Wasser hin, die Umwandlung wird langsamer. Wird hingegen regelmäßig die obere Bodenschicht entfernt, bleibt die „aktive Zone“ nah an der Oberfläche. Genau das ist in Neuseeland der Fall. Die Alpen dort unterliegen einer starken Erosion. Rund ein Zentimeter pro Jahr werden von Wind und Wetter abgetragen. Da das Gebirge langfristig um den gleichen Betrag nach oben steigt, bleibt seine Höhe gleich. Für die Erdschicht an den Hängen bedeutet der regelmäßige Verlust, dass immer wieder frischer Fels vorhanden ist, der rasch zu Boden wird.

Um herauszufinden, wie schnell das passiert, haben die Forscher in den Proben den Gehalt einer bestimmten Sorte von Berylliumatomen (10Be) bestimmt. Sie entstehen durch kosmische Strahlung, die in den Untergrund eindringt. Mit zunehmender Tiefe nimmt ihre Intensität ab und damit der 10Be-Gehalt. Anhand von solchen Messungen konnten die Wissenschaftler berechnen, wie schnell die Erosion an den von ihnen erforschten Hängen voranschreitet und wie schnell sich dort Boden bildet.

„In den europäischen Alpen und im Westen der USA wurden ebenfalls solche Studien gemacht. Sie brachten aber deutlich geringere Werte, als wir nun in Neuseeland gefunden haben“, berichtet Eger. Womöglich gebe es Gebirge, in denen die Voraussetzungen noch besser seien und Böden noch schneller entstehen, sagt er. Etwa im Himalaja oder in Taiwan. Aus verschiedenen Gründen – nicht zuletzt politischen Schwierigkeiten – haben Forscher dort aber noch keine derartigen Untersuchungen angestellt.

Obwohl solche Gebirgsregionen mit ausgeprägter Erosion nur einen kleinen Teil der Landoberfläche einnehmen, dürften sie eine wesentliche Rolle für den Kohlenstoffkreislauf der Erde spielen. „Regenwasser nimmt Kohlendioxid aus der Luft auf und bildet so Kohlensäure“, sagt Eger. Diese werde bei der Verwitterung von Gestein verwertet. Dabei entsteht Hydrogencarbonat, das über Bäche und Flüsse ins Meer gelangt und dort von bestimmten Tieren zum Aufbau ihrer Kalkschalen genutzt wird. „Auf diese Weise wird Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt und gebunden.“

In den meisten anderen Regionen hingegen fällt die Bilanz der Erosion schlechter aus. Vor allem auf Ackerflächen, die naturgemäß für eine gewisse Zeit im Jahr – nämlich nach dem Säen – Wind und Niederschlägen ausgeliefert sind, geht viel wertvoller Boden verloren. Schätzungen zufolge sind es 24 Milliarden Tonnen pro Jahr. Bezogen auf jeden Einzelnen sind das mehr als drei Tonnen, die meist unwiederbringlich verloren sind, weil die fruchtbare Krume in Flüsse, Wälder und Siedlungen gespült und geblasen wird.

Auch in Deutschland sind viele Ackerflächen bedroht. „Im Schnitt gehen allein durch Wasser zwei Tonnen pro Hektar und Jahr verloren“, sagt Detlef Deumlich vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg. „Vor allem Hanglagen sind betroffen, dort werden Böden schneller erodiert als neu gebildet.“ Im Flachland, etwa Niedersachsen oder Brandenburg, ist meist Wind das größere Problem. „Wie viel weggeweht wird, lässt sich kaum beziffern“, sagt Roger Funk, der beim Zalf zur Winderosion forscht. Die Partikel werden mitunter weit in die Höhe getragen, was solide Messungen, besonders über lange Zeiträume, unmöglich macht. „Bei Wind kommt erschwerend hinzu, dass er vor allem kleine Partikel fortträgt“, sagt der Forscher. Und das seien gerade die wichtigen, weil sich daran Nährstoffe und Wasser binden, was wesentlich für die Erträge ist. „Als Gegenmittel haben sich Windschutzhecken bewährt“, sagt Funk. Und eine Pflanzendecke. „Liegt der Boden offen, ist er schutzlos.“

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