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Die Studienteilnehmer sollen gründlich untersucht und über die Resultate informiert werden - sofern sie das wünschen. Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen.

© Mike Wolff/TSP

Gesundheit: Volkskrankheiten auf der Spur

Gene, Umwelt, Lebensstil? Mit der "Nationalen Kohorte" sollen Erkenntnisse über die Entstehung von Volksleiden gewonnen werden. 200 000 Deutsche sollen bei der größten Gesundheitsstudie des Landes mitmachen.

Hinterher ist man bekanntlich schlauer, oder man fühlt sich jedenfalls so. Die hohe wissenschaftliche Kunst besteht allerdings darin, der Entstehung von Krankheiten vorausschauend auf die Schliche zu kommen. Mit der „Nationalen Gesundheitsstudie“ soll dieser prospektive Weg nun in Deutschland beschritten werden, und zwar in großem Maßstab: 200 000 zu Beginn gesunde Frauen und Männer zwischen 20 und 69 Jahren werden daran teilnehmen, sie sollen wenn möglich über 20 Jahre lang regelmäßig untersucht und zu ihren Lebensgewohnheiten befragt werden. Es geht um den Obst- und Gemüsekonsum wie um Stress und Freude am Arbeitsplatz bis hin zu Blutfettwerten und genetischen Konstellationen.

Am Montag gab Bundesforschungsministerin Johanna Wanka in Berlin den Startschuss für die größte medizinische Langzeitstudie, die es jemals in Deutschland gegeben hat. An dem Projekt, mit dem mehr Klarheit über das Zusammenspiel von Genen, Lebensstil und sozialen Rahmenbedingungen bei der Entstehung der großen Volkskrankheiten gewonnen werden soll, beteiligen sich 13 Universitäten, vier Helmholtz-Zentren, vier Leibniz-Institute und zwei weitere Forschungseinrichtungen. Finanziert wird die Studie mit 140 Millionen Euro von Bund und Ländern, mit weiteren 70 Millionen von der Helmholtz-Gemeinschaft.

Alle Probanden werden zunächst in eines der 18 Studienzentren zu medizinischen Untersuchungen und ausführlichen Befragungen eingeladen. Ein Fünftel von ihnen soll weitere Untersuchungen erhalten, etwa einen Ultraschall des Herzens und Messungen zur Schlafqualität, eine kleinere Gruppe auch ein MRT. „Internationale Gutachter haben bestätigt, dass wir hier die richtige Mischung getroffen haben“, sagte Karl-Heinz Jöckel von der Uni Essen, wissenschaftlicher Vorstand der Nationalen Kohorte e.V. Die Studie sei auch als Beitrag zu internationalen Forschungskonsortien bedeutsam.

Günter Wess vom Helmholtz-Zentrum für Gesundheit und Umwelt in München, das bei der Lagerung der von den Versuchsteilnehmern gewonnenen Proben eine wichtige logistische Rolle übernehmen wird, bezeichnete die Kohorte als „Schatz für zukünftige Wissenschaftler“. Denn damit ließen sich nicht nur aktuelle Fragen beantworten, sondern auch jene, an die möglicherweise jetzt noch gar nicht gedacht werde.

Die Daten könnten dabei helfen, Faktoren ausfindig zu machen, die heute bedeutungslos erscheinen für die Entstehung von großen Volkskrankheiten wie Krebs, Demenz oder Diabetes, aber doch bedeutsam sind, sagte Wanka. Die große Teilnehmerzahl soll es zudem ermöglichen, Aussagen zu Risiken und Schutzfaktoren für bestimmte Untergruppen der Bevölkerung zu treffen.

Die Untersuchungen, die im Abstand von einigen Jahren wiederholt werden sollen, erfüllen zwar nicht die Funktion von individueller Vorsorge und Früherkennung, und sie können normale Arztbesuche nicht ersetzen. Die Teilnehmer bekommen allerdings die gewonnenen Informationen mitgeteilt, falls sie es wünschen. Auch ein Hinweis darauf, dass eine medizinische Abklärung nötig ist, gehört gegebenenfalls dazu. Wer mit alledem nicht behelligt werden möchte, soll auch das Recht auf Nichtwissen haben.

Noch ist es nicht so weit, erst ab Beginn 2014 sollen 400 000 Bundesbürger einen Einladungsbrief erhalten. Da das Zufallsprinzip bei der Auswahl wichtig ist, ist es jedoch nicht möglich, sich gezielt für eine Teilnahme zu bewerben. Falls sie selbst einen Brief bekomme, werde sie sich auf jeden Fall beteiligen, versprach Wanka.

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