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Allein in der Masse. Bis zu 20 000 Hühner werden in australischen Ställen gehalten. Die Impfstoffe werden ihnen über das Trinkwasser verabreicht.

© picture-alliance/dpa

Impfungen: Herpes im Hühnerstall

In Australien sind nach der Einführung eines neuen Impfstoffs für Hühner zwei neue Virusstämme aufgetaucht. Die Erreger haben offenbar ihr Erbgut vermischt.

Vor vier Jahren hat die Seuche erstmals vereinzelt auf Hühnerfarmen rund um Sydney zugeschlagen. Dann breitete sie sich immer weiter im Südosten Australiens aus, dem Zentrum der australischen Geflügelproduktion. Die Luftröhren der Hühner waren verschleimt und voller Blut. Fast jedes fünfte Tier in der Massentierhaltung ist qualvoll erstickt. „Das waren ungewöhnlich viele“, sagt Glenn Browning, Leiter des asiatisch-pazifischen Zentrums für Tiergesundheit an der Universität von Melbourne.

Die Diagnose der Tierärzte war zunächst eindeutig: Die Vögel litten an der infektiösen Laryngotracheitis, kurz ILT. Eine klassische Hühnerseuche, die durch Herpesviren ausgelöst wird. Doch als sich Glenn Browning und seine Kollegen das Erbgut der Viren anschauten, erlebten sie eine Überraschung. „Das waren zwei völlig neue Virusstämme, die wir noch nie zuvor gesehen hatten.“

Kurioserweise sind sie ausgerechnet das Ergebnis einer Impfung gegen ILT, die eigentlich vor der Krankheit schützen sollte. Die Hühner sind mit drei verschiedenen Lebendvakzinen geimpft worden – mit abgeschwächten Viren, die sich immer noch vermehren können. Die Erreger haben offenbar ihr Erbgut vermischt und so die beiden neuen Stämme hervorgebracht. Lange hielten Fachleute dieses Szenario für unwahrscheinlich: „Schließlich werden Lebendimpfstoffe schon sehr lange eingesetzt – bei Tieren, aber auch bei Menschen. Bisher sind nie neue Virusstämme aufgetaucht“, sagt Browning.

In Australien werden die Hühner seit Jahrzehnten gegen die infektiöse Laryngotracheitis geimpft, so wie in Deutschland auch. Jahrelang waren aber in Australien nur zwei Vakzinen im Einsatz, basierend auf einem Virusstamm, der hauptsächlich in Australien vorkommt. Um die wachsende Nachfrage der Geflügelfarmer zu decken, wurde 2007 ein Impfstoff aus Europa eingeführt, dessen Impfstamm in erster Linie in Europa kursiert.

„Wir sind uns ziemlich sicher, dass ein paar Hühner gleichzeitig mit den australischen Impfstoffen und der neuen europäischen Vakzine behandelt worden sind“, sagt Browning. In den Tieren habe sich dann das Erbgut der Viren vermischt. Zwei neue Stämme sind entstanden, „die viel gefährlicher sind als die Impfstämme selbst“. 2008 kam es dann zu den Ausbrüchen in Sydney, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“.

Es sei also höchste Vorsicht geboten, wenn mehrere verschiedene Impfstämme verimpft würden, was in der Landwirtschaft gang und gäbe sei, warnt Glenn Browning. Totimpfstoffe, die abgetötete, nicht mehr vermehrungsfähige Erreger enthalten, würden eine Mischung der Impfviren von vorneherein ausschließen. Doch gerade in der Landwirtschaft haben die Lebendvakzinen enorme Vorteile. Die Immunantwort der Tiere ist oft besser. Außerdem lassen sich die Lebendimpfstoffe leichter verabreichen, etwa über das Trinkwasser. „Alles andere wäre auf einer Hühnerfarm, wo bis zu 20 000 Vögel in einem Stall leben, gar nicht möglich“, sagt der Tierarzt.

Die australische Zulassungsbehörde für veterinärmedizinische Produkte (APVMA) will jetzt auf alle ILT-Impfstoffe Warnhinweise drucken, damit sie nicht mehr gleichzeitig in einem Stall zum Einsatz kommen. Außerdem will die Behörde alle in der Tiermedizin bereits zugelassenen Lebendimpfstoffe auf ihr Rekombinationspotenzial hin überprüfen – also auf die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Impfviren, sich miteinander zu vermischen.

Derweil gibt es für die alarmierten Tierärzte in Australien zumindest einen kleinen Lichtblick. Die drei ILT-Lebendimpfstoffe, die die neuen Stämme hervorgebracht haben, können die Hühner zumindest teilweise vor ihnen schützen. Deshalb wird auf den australischen Hühnerfarmen erst einmal weitergeimpft.

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