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Hinter Gittern. Industrieroboter, hier in der Türfertigung eines deutschen Autoherstellers, können Menschen lebensgefährlich verletzen. Darum ist der Zugang gesperrt.

© picture alliance / dpa

Industrieroboter: 100 Unfälle im Jahr

Künstliche Helfer in der Industrie sind gefährlich und werden oft hinter Gittern verborgen. Für eine echte Kooperation am Arbeitsplatz müssen sie leichter und weicher werden. Und sie dürfen nicht so schnell arbeiten.

Sie arbeiten durch, ohne Pause, jede Bewegung sitzt, in atemberaubendem Tempo. Roboter haben die Produktivität in den Werkhallen des Landes deutlich erhöht. Aber sie sind auch gefährlich. Rund 100 Unfälle mit Industrierobotern erfasst die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung jedes Jahr. Darum werden die mechanischen Arbeiter mit Gittern und Laserschranken vom Menschen ferngehalten. Das Wegsperren senkt das Unfallrisiko, aber es frisst Platz in den Fabriken, und viele Aufgaben in der Produktion können derart ortsgebundene Roboter nicht übernehmen.

„Aus der Industrie kommt jetzt der Wunsch, die Zäune abzubauen“, sagt Matthias Umbreit von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. „Doch ein ungeschützt arbeitender oder gar ein freilaufender Roboter darf dem Menschen nicht gefährlich werden.“ Deshalb beschäftigt viele Forscher, wie Unfälle und Verletzungen vermieden werden können. Dazu gehören auch die Wissenschaftler vom Institut für Robotik und Mechatronik im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen.

Was bei Kollisionen mit monströsen Industrierobotern geschieht, untersuchten sie in einem ADAC-Testzentrum, indem sie bewegliche Teile von Robotern gegen einen Crashtest-Dummy der Autoindustrie fuhren. Ein kompliziertes Messsystem im Puppeninneren signalisierte den Forschern: Jetzt würden Rippen brechen, oder es käme zu einem Schleudertrauma. Schwere Roboter können Kopf und Brust tatsächlich lebensbedrohlich verletzen, vor allem dann, wenn sie einen Menschen gegen eine Wand oder einen Arbeitstisch schieben und einquetschen.

Die Versuche deckten allerdings nur Verletzungen nach einem dumpfen Aufprall auf. Was aber die scharfkantigen Werkzeuge wie Greifer und Zangen anrichten können, sah man den Dummys nicht an. Die sind dazu viel zu hart gebaut. Außerdem ist aus der biomechanischen und forensischen Forschung kaum bekannt, bei welchen Kräften die Haut einreißt, ein Bluterguss oder eine Muskelverletzung auftritt.

Der DLR-Forscher Sami Haddadin kam deshalb auf eine kuriose Idee. Aus Schlachthöfen besorgte er sich Teile der Bauchdecke von frisch geschlachteten Schweinen. Der Aufbau ihrer Haut entspricht ziemlich genau dem beim Menschen. Den Tierkadavern hatten die Schlachter zwar bereits die äußerste Haut abgezogen, aber das war dem Wissenschaftler nur recht. Die darunterliegende Lederhaut ist empfindlicher und zeigt somit schlimmere Verletzungen als in der Realität an. „Wir möchten immer den schlimmsten Fall in Betracht ziehen“, sagt Haddadin.

Die Forscher befestigten die Fleischstücke auf einem Tisch und ließen hundertfach einen Zylinder, einen Würfel sowie eine Pyramide unterschiedlicher Größe darauf herabfallen. Die Gegenstände geben vereinfacht die Form von Roboterteilen wieder, mit dem dieser womöglich einen Menschen trifft. Unter dem Mikroskop und mit bloßem Auge studierten Mediziner dann die Verletzung. Schürf-, Platzwunde oder offene tiefe Wunde – jede Veränderung beschrieben sie bis ins Detail. Wenn eine Wunde beispielsweise bis ins Muskelfleisch reicht, werden wahrscheinlich auch Arterien und Nerven zerstört. Die Wissenschaftler erstellten so eine Art Verletzungslandkarte, aus der sich ablesen lässt, wie ein Roboter abhängig von seinem Tempo, seiner Masse und seiner Form dem Menschen zusetzen würde. Ein kleiner Zylinder ist beispielsweise gefährlicher als ein großer.

Vor allem lernten die Forscher, dass kollaborierende Roboter ganz anders aussehen müssen als herkömmliche Industrieroboter. Die sind oft wuchtig, arbeiten rasend schnell und haben stählerne Ecken und Kanten. „Sie gehören weiterhin hinter Zäune“, sagt Umbreit.

Die Hoffnungen ruhen auf Leichtbaurobotern, die mit dem Menschen zusammenarbeiten. Bosch, Daimler und andere Autobauer beschäftigen bereits solche Produktionsassistenten. Solche Roboter dürfen aber nur wenige Kilogramm Kollisionsmasse haben, keine Ecken und Kanten aufweisen und sollten möglichst von Schaumstoff umhüllt sein. Um den Aufprall zu verringern, sollten sie sich nicht schneller als ein Mensch bewegen. „Das ist natürlich nicht unbedingt im Sinne der Unternehmen“, erläutert Umbreit.

Die strengen Auflagen begrenzen naturgemäß die Einsatzmöglichkeiten. Denn ein leichter Roboter vermag nur leichte Bauteile zu heben. Und ohne scharfe Kanten kann er beispielsweise nichts schneiden. Umbreit dämpft deshalb die Euphorie der Automobilindustrie, die von tausenden kooperierenden Robotern in ihren Werkshallen träumt.

Haddadin, Roboterforscher aus Passion, sieht das naturgemäß anders. Sensoren, die eine Kollision vorzeitig erkennen und vermeiden, werden die mechanischen Gesellen bald zu harmlosen Mitarbeitern machen, glaubt er. Schon jetzt erfüllen die neusten Leichtbauroboter des DLR die genannten Kriterien und tun einem Menschen nach allen bisherigen Tests nichts zuleide.

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