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Verspielt. Der Informatiker Raúl Rojas und sein Team haben auch fußballspielende Roboter entwickelt und in Turnieren erprobt. Das Ziel ist bessere künstliche Intelligenz.

© Mike Wolff

Informatiker Raúl Rojas im Porträt: Eine kommunistische Utopie des Stadtverkehrs

Taxischwärmer: Der Informatiker Raúl Rojas von der FU Berlin testet ein selbstfahrendes Auto und träumt von einem automatischen Fahrdienst für alle.

Um ein selbstfahrendes Auto zu fahren, braucht man in Berlin drei Menschen. Ein Sicherheitsfahrer sitzt am Steuer und kann stets eingreifen. Ein Kopilot überwacht die Software. Der Dritte fährt mit einem anderen Wagen hinterher, um mögliche Auffahrunfälle zu verhindern. So will es der TÜV, der eine Sondergenehmigung zum Testen auf der Straße erlassen hat. Einer der drei ist heute krank, also bleibt das Auto in der Garage. Den Teamleiter Raúl Rojas können aber solche Probleme nicht ernsthaft einschüchtern.

Der Informatiker an der Freien Universität Berlin ist Herausforderungen gewohnt. Nach seiner Ausbildung in Mathematik in seiner Heimatstadt Mexiko City promovierte er über politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin. Aus politischer Verantwortung, wie er sagt. „Das Studium hat mir Einblick in die Denkweise der Sozialwissenschaften gegeben“, sagt Rojas, „das ist wichtig, um die Gesellschaft zu verstehen.“ Technik und Soziales gehören für ihn zusammen.

Er entschlüsselte die Funktion des legendären Z1

2010 kandidierte Rojas als FU-Präsident. Sein Wahlprogramm umfasste mutige Vorschläge. Wie etwa den, seine Universität mit der Technischen Universität Berlin zu verschmelzen. Doch aus den politischen Ambitionen ist vorerst nichts geworden. So konzentriert sich Rojas auf die Roboterforschung. Jetzt erhielt er den Tony-Sale-Preis der britischen Computer Conservation Society. Der Anlass: Rojas hatte die Funktion der Rechenmaschine Z1 des Computerpioniers Konrad Zuse entschlüsselt. Z1 gilt als die erste programmierbare Rechenmaschine.

Rojas’ Herz schlägt für Mathematik und Naturwissenschaften. Seit 1997 ist er an der FU Professor für Künstliche Intelligenz. „Ich will verstehen, wie Menschen Aufgaben ohne Nachdenken erledigen können und warum das für Computer so schwer ist“, sagt er. Das sei wie die Umkehrung der Biologie: Durch das Erschaffen von Robotern soll das menschliche Denken besser verstanden werden.

"Wir sind wie Google, aber mit weniger Geld"

Dazu haben er und sein Team die verschiedensten Maschinen konstruiert. Rollende Kicker, die bei Fußball-Weltmeisterschaften für Roboter einige Preise gewonnen haben. 2013 wandten sich die Forscher einem anderen Robo-Problem zu. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hatte in einer Halle bei Bonn eine Mondlandschaft aufgeschüttet und zehn Teams eingeladen, diese mit ihren Robotern zu erkunden. Gegenstände sollten gefunden und bewegt werden, so wie man sich die Forschungstätigkeit auf einem fernen Himmelskörper vorstellt. Doch dieses Mal hatte das FU-Team weniger Glück, ihr sechsbeiniges Wesen landete auf einem hinteren Platz.

Solche Rückschläge nennt Rojas lieber „Erfahrungen“, aus denen er lernt. So forscht er an Bienenrobotern und an Drohnen, die 3-D-Karten von archäologischen Grabungen erstellen. Stets steht die Frage im Mittelpunkt, wie Maschinen ihre Umgebung wahrnehmen und sich darin zurechtfinden können. Die meisten Antworten darauf stecken im größten Roboter der Arbeitsgruppe, dem umgebauten VW Passat, der selbstständig fahren könnte. Es gibt zwei Orte auf der Welt, wo regelmäßig solche Autos im Stadtverkehr getestet werden – Kalifornien und Berlin. „Wir sind wie Google, aber mit weniger Geld“, sagt Rojas.

Autonome Wagen bilden einen ständig fahrenden Taxischwarm

Das Hauptargument für selbstfahrende Autos ist Sicherheit und die Aussicht, dass sie die Zahl von mehr als einer Million Verkehrstoten im Jahr weltweit senken könnten. Doch Rojas will nicht nur die Technik, sondern auch die Gesellschaft verändern. Ihm schwebt ein Carsharing-System autonomer Wagen vor, ein ständig fahrender Taxischwarm. Per Smartphone bestellt der Reisende ein Auto. Das Fahrzeug holt ihn ab, auf dem Weg steigen andere Mitfahrer ein und aus. Weil die Autos rund um die Uhr fahren, braucht man keine Parkplätze. Staus werden verhindert, weil sich der Schwarm optimal verteilt.

Überhaupt rechnet Rojas damit, dass es bei diesem System nur eines Viertels der Fahrzeuge bedarf, die wir heute einsetzen. Keine Privatwagen ohnehin, und so ist Rojas Vorstellung eine kommunistische Utopie des Stadtverkehrs.

Noch kann der Wagen keine Ampel lesen

Eine Welt ohne Autofahrer? Macht es einen nicht nervös, keine Kontrolle über sein Fahrzeug zu haben? Die Gefährte sollen schließlich einmal ganz ohne Lenkrad auskommen. „Wir könnten endlich relaxen“, erwidert Rojas. Ohne zu zögern würde er für diesen Traum auch sein eigenes Auto aufgeben.

Bis dahin müssen viele Herausforderungen gemeistert werden. Noch kann der Wagen nicht immer Rot und Grün unterscheiden. „Es wäre einfacher, wenn die Ampeln direkt mit dem Auto kommunizieren würden“, sagt Rojas. So aber bleibt es dabei, dass die erste Generation von selbstfahrenden Autos es am schwersten haben wird. Sie muss sich in einem Verkehrssystem zurechtfinden, das für Menschen geschaffen wurde.

Für Maschinen ist der Mensch mit seinem schwer vorhersehbaren Verhalten das kniffligste Problem. „In einem Kreisverkehr können wir meistens sagen, ob der andere rausfahren wird“, sagt Rojas. Sein Auto dagegen muss warten, bis niemand zu sehen ist.

Hristio Boytchev

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