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Bedrohtes Idyll: Der Nicaraguasee soll Teil eines Schifffahrtskanals zwischen Atlantik und Pazifik werden.

© AFP

Konkurrenz für den Panama-Kanal: Nicaraguas großer Schnitt

Chinesische Investoren planen einen Kanal für Hochseeschiffe quer durch Nicaragua. Die dortige Regierung verspricht Narrenfreiheit und hofft, den südlicheren Panama-Kanal in den Schatten stellen. Allerdings drohen massive Umweltschäden.

Die Spanier dachten im 16. Jahrhundert darüber nach, die Amerikaner erstellten Mitte des 19. Jahrhunderts eine Machbarkeitsstudie und selbst Napoleon III. bekundete seine Absichten. Alle wollten eine Wasserstraße durch Nicaragua bauen, die den Pazifik mit der Karibik verbindet – und alle scheiterten am Projekt. Nun kommt Wang Jing.

Wang Jing ist Vorsitzender der Investorengruppe „Hong Kong Nicaragua Canal Development“ (HKND). Er will den interozeanischen Kanal bauen und Nicaragua zu einer Straße für Handelsschiffe verhelfen, die den Konkurrenten im südlich gelegenen Panama in den Schatten stellen soll. Mit rund 270 Kilometern wird der Kanal mehr als drei Mal so lang wie der Panamakanal (82 Kilometer). Auch soll er wesentlich breiter und tiefer werden, um selbst Containerschiffen mit einer Tragfähigkeit von 400 000 Tonnen Platz zu bieten. Der neu ausgebaute Panamakanal lässt nur Schiffe mit halb so viel Ladung passieren. Das Konsortium aus Hongkong hält daher einen zweiten Kanal in Mittelamerika für notwendig, er würde vor allem den Handel zwischen der US-Ostküste und Asien verbessern.

Der Bau am Nicaragua-Kanal soll bereits Ende 2014 beginnen

Rund 40 Milliarden Dollar soll das Unterfangen kosten, die nicaraguanische Regierung hat das Projekt bereits abgesegnet. Ab Dezember soll gebaggert werden, nach optimistischen Schätzungen könnte der Kanal 2019 fertig sein. Noch halten HKND und die Regierung Nicaraguas die genaue Planung geheim. Doch eines steht bereits fest: Mit dem Bau kommen auf das Land massive ökologische Probleme zu.

„Die Folgen für die Bioreservate des Landes, für die Landwirtschaft und das ökologische Gleichgewicht werden dramatisch sein“, sagt der Evolutionsbiologe Axel Meyer. Er hat den Lehrstuhl für Zoologie an der Universität Konstanz inne und forscht seit mehr als 30 Jahren regelmäßig in Nicaragua. 1984 stand er zum ersten Mal am Ufer des Nicaraguasees; die Region wurde für ihn zu einer Leidenschaft. In Nicaragua bilden Regenwälder und Vulkanseen einzigartige geschlossene Biotope, in denen die Forscher der Evolution gewissermaßen zuschauen können.

All das sei nun bedroht, sagt Meyer. Gemeinsam mit seinem nicaraguanischen Kollegen Jorge Huete-Pérez hat er im Wissenschaftsmagazin „Nature“ vor den Folgen des Kanalbaus gewarnt. Ganz gleich, wo er verläuft, der Kanal wird Bioreservate zerschneiden, den Lebensraum bedrohter Tierarten gefährden und mit der Durchfahrt durch den Nicaraguasee das Ökosystem der Region womöglich aus dem Gleichgewicht bringen.

Drei Kanal-Routen sind angedacht - alle führen durch geschützte Bioreservate

Drei Routen gelten als wahrscheinlich. Die nördliche folgt dem Rio Escondito aus der Karibikmündung landeinwärts bis zum Nicaraguasee, die südliche dem Rio Punta Gorda. Als wahrscheinlichste gilt jedoch eine Verbindung, die im Osten im Bluefield-Marschland beginnt und entlang des Rio Kukra zum Nicaraguasee führt. Alle drei Routen würden dann auf der Westseite des Sees in Höhe der Stadt Rivas das letzte Landstück bis zum Pazifik durchbrechen. Egal, welche Route gebaut wird, es wird ein Ausbau bestehender Flüsse und des Nicaraguasees nötig. Die chinesische Gruppe plant einen Kanal von 500 Metern Breite und 22 Metern Tiefe – dabei ist selbst der Nicaraguasee nur durchschnittlich 15 Meter tief.

Der Biologe Meyer vermutet unter dem See verschiedenste Materialien wie Schlamm, Fels und Vulkangestein. Die Bauarbeiter werden sich den Weg freibaggern oder -sprengen müssen. „Es werden enorme Sedimentmengen entstehen, die alle in die Karibik geschüttet werden müssen – hinzu kommt das Material, das jedes Jahr anfällt, um die Fahrrinne frei zu halten.“ Der Durchbruch zum Pazifik könnte dazu führen, dass Salzwasser in den See gelangt – und damit auch fremde Arten. Das Ökosystem wäre massiv gefährdet, heimische Fische wie der Buntbarsch oder der im Süßwasser lebensfähigen Bullenhai wären bedroht. Vergleichbare Salzwasserintrusionen wurden bereits bei Schleusen an der chinesischen Bohai-Küste oder an der US-Ostküste beobachtet. Für den Nicaraguasee wäre eine Intrusion besonders schlimm: Er ist das größte Trinkwasserreservoir Mittelamerikas. „Wenn ein Tanker eine Havarie haben sollte, würden Unmengen von Öl in den See gelangen“, sagt Meyer.

Teil zwei: Was der Bau für den Regenwald bedeutet und wer hinter den chinesischen Investoren steckt

Drei Routen sind für den Kanal möglich. Die Nutzung des San-Juan-Flusses an der Grenze zu Costa Rica wurde von HKND ausgeschlossen.
Drei Routen sind für den Kanal möglich. Die Nutzung des San-Juan-Flusses an der Grenze zu Costa Rica wurde von HKND ausgeschlossen.

© Tsp/US

Auch östlich des Sees kann der Bau des Kanals Schaden anrichten. Die angedachten Routen führen durch wenig erschlossene Regenwaldgebiete, darunter Reservate wie die Indio-Maiz-Biosphäre im Südosten Nicaraguas. Der Bau würde den Lebensraum der indigenen Bevölkerung, aber auch vieler Tierarten zerstören. Der Tapir, die Harpyie und der Jaguar sind bedroht. Durch den Schiffskanal entsteht eine Barriere, die es Reptilien, Amphibien und selbst einigen Vögeln unmöglich machen wird, die Wälder Mittelamerikas zu durchqueren, warnt Meyer.

All die ökologischen Bedenken, die neben Meyer viele Kollegen vorbringen, haben bei der Planung des Projektes bislang keine Rolle gespielt. Lediglich wirtschaftliche Prognosen hatten die Investoren von HKND der nicaraguanischen Regierung zunächst vorgelegt, erst auf öffentlichen Druck begannen nun auch ökologische Untersuchungen.

Die Chinesen versprechen einen Wirtschaftsboom - und werden mit einer "Carte Blanche" belohnt

Dennoch lockt der wirtschaftliche Aufschwung. Um zehn Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt steigen, die Beschäftigung würde sich verdreifachen, wirbt HKND. Neben dem Kanal würden Straßen und Flughäfen entstehen, das verbessere zuletzt auch die Grundlagen für Ökotouristen. Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land des amerikanischen Kontinents, im Parlament wurde der Kanalbau sofort durchgewunken.

„Natürlich ist das für die Regierung und auch die nicaraguanische Bevölkerung eine riesige Chance, ihre Infrastruktur anzukurbeln“, sagt der Ökonom Trevor Evans. Er kann verstehen, dass sich das Land viel von dem Kanal erhofft. Der Professor der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin beschäftigt sich mit internationalen Finanzströmen und Währungstheorien. Unter anderem lehrte Evans in Nicaragua und pflegt Kontakte zu dortigen Ökonomen. Diese würden den Vertrag als sehr fragwürdig ansehen, sagt Evans. Taiwan sei ein langfristiger politischer Partner Nicaraguas, „was für China immer ein Dorn im Auge war“. Nun wird den Investoren aus Hongkong der Weg für dieses Riesenprojekt frei gemacht. Das Konsortium muss zwar die Baukosten übernehmen, darf aber den Kanal dann für 100 Jahre betreiben und erhält Rechte auf alle Bodenschätze, die beim Bau entdeckt werden. Für mögliche Umweltschäden wird HKND nicht belangt. Die Regierung habe eine „Carte blanche“ ausgestellt, sagt der Biologe Meyer.

Wie das Konsortium die 40 Milliarden Dollar für den Bau aufbringen will, ist unklar. Experten vermuten die chinesische Regierung hinter der Firma. HKND verneint dies auf Anfrage. Wang Jing, mit 41 Jahren Vorsitzender von HKND, betont in seiner Selbstbeschreibung stattdessen seine „mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in 20 international operierenden Firmen“. Der Erfolg seiner Projekte ist jedoch nicht sichtbar. Auch sonst gibt sich Jing sibyllinisch, er habe traditionelle chinesische Medizin studiert, sagt er in einem Interview. Das müsste als Ausbildung genügen. „Wahrscheinlich ist er ein Strohmann Pekings“, sagt Evans.

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