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Ruth Klüger. Foto: dpa

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Digital versus gedruckt: FU-Studenten verteidigen das gute alte Buch

An der Freien Universität Berlin warb die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Ruth Klüger für E-Books. Die Studierenden konnte sie nicht überzeugen.

Angeblich ist die sogenannte junge Generation ja mit den Fingern auf dem Touchpad zur Welt gekommen. Entweder ist das ein Klischee, oder die Studierenden der Literaturwissenschaft an der Freien Universität gehören zu einer besonders rückständigen Spezies ihrer Art. Von einem Lob auf die Elektronik, genauer: auf das Lesen elektronischer Bücher auf iPad, Kindle und Co, wollten sie am vergangenen Donnerstag jedenfalls nichts wissen. Skeptische Blicke und Wortmeldungen erntete Ruth Klüger, die gemeinsam mit ihrer Berliner Verlegerin für E-Books, Christiane Frohmann, über das „Wesen des Buches“ sprach und ein flammendes Bekenntnis zum E-Book ablegte.

Klügers 300 Zuhörer, überwiegend Erstsemester, hörten es mit Schrecken. Da schreibt man sich für Germanistik ein, sammelt stolz seine Reclam-Bändchen, auf dass sie alsbald einen Regalmeter füllen mögen – und dann kommt eine altehrwürdige Vielleserin, Autorin und Literaturwissenschaftlerin daher und sagt, das Buch im heimischen Regal sei überkommen, lang lebe das E-Book?

„Ich bekenne mich als begeisterte Konvertitin zum elektronischen Lesen“, sagte also Ruth Klüger, und wurde nicht müde, die Vorteile aufzuzählen: Viel zu unhandlich und schwer seien Bücher doch, über schlechte Papierqualität müsse man sich ärgern, und zudem wisse man nie, ob man sie auf dem Bauch oder Rücken liegend lesen solle. Anders das E-Book. „Nur einen Klick“, schon sei das Buch auf dem federleichten Gerät verfügbar. Hunderte Klassiker und Krimis habe sie immer dabei. Überhaupt seien die Vorteile der Digitalisierung unschlagbar, das gelte auch für Bibliotheken und Archive und ihre ständige Angst vor Feuer und Wasser. „Es ist sinnlos, diese Revolution zu beklagen“, mahnte Klüger zur Pragmatik, „sie findet einfach statt.“

Literaturwissenschaftlerin, die sie ist, referierte Klüger in einem kurzen Abriss die Geschichte des Buches und seiner medialen Veränderungen: von den Zehn Geboten auf steinernen Tafeln, über die Erfindung des Buchdrucks zu Beginn der Neuzeit, bis zur Veränderung der Lesekultur im 19. Jahrhundert und der Zunahme von Unterhaltungsliteratur, die allein im Sessel und zunehmend von Frauen konsumiert wurde. Das E-Book sei bloß eine weitere historische Etappe. Christiane Frohmann vom jungen Verlag „eriginals berlin“ verwies auf Schnelligkeit und Bequemlichkeit: „Goethe historisch-kritisch online lesen oder in die Stabi fahren?“, fragte sie und versuchte, dem kalten „Schriftvermittlungssystem“ ein wenig Heimeligkeit einzuhauchen: „Wenn man es mal nicht als technisches, hässliches Ding sieht, dann ist der E-Book-Reader auch nur eine Bibliothek mit Büchern drin.“

Dass elektronische Bücher gerade für die Wissenschaft eine große Chance seien, darüber war man sich jedenfalls einig. 2000 bis 20 000 Euro legt mancher Professor heutzutage auf den Tisch, um eine Monografie oder einen Aufsatzband bei einem guten Verlag zu veröffentlichen. „Die Herstellung der Bücher ist einfach unendlich teuer“, sagte Frohmann, da habe die schnelle und Druckkosten sparende E-Publikation alle Vorteile auf ihrer Seite. Eine Frage der Zeit, bis die in Deutschland bislang kümmerlichen 0,02 Prozent an verkauften E-Books pro Jahr zum Mainstream in Wissenschaft und Belletristik würden.

Unglückliche Gesichter aber im Hörsaal, wo sich eine konservative Revolution formierte. Ob wir digitale Texte nicht als schnelle Wegwerfprodukte verstünden?, fragte kritisch jemand von hinten links, und emphatisch sagte ein anderer: „Ich will Bücher verleihen können, in ihnen Anstreichungen vornehmen und die Anstreichungen anderer sehen können!“ Als dann eine Dame in Grau von ihrer heimischen Bibliothek berichtete, in der Bücher ihres Großvaters aus dem 19. Jahrhundert stünden, da applaudierten die jungen Köpfe.

Klüger, die kürzlich ihren 80. Geburtstag feierte, hat selbst eine ganze Reihe an Büchern geschrieben – literaturwissenschaftliche, vor allem aber ihre autobiografischen Erinnerungen „Weiter leben“ (1992) und „Unterwegs verloren“ (2008). Vermutlich hat sie in ihren Wohnungen in Göttingen und Kalifornien, wo sie bis zur ihrer Emeritierung als Professorin lehrte, selbst eine stattliche Bücherwand vorzuzeigen. „Nur die Anhäufung von Objekten ist noch keine Kultur“, sagte Klüger und redete damit – altersweise und ganz bestimmt zurecht – wider die Eitelkeit und eine hohle Verehrung der Dinge. Indes, das Widerstreben der Erstsemestler blieb. Irgendwie hatte sie die Verehrung des Buches ja allererst in diesen Hörsaal getrieben.

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