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Herzenssache. Im Deutschen Herzzentrum Berlin in Wedding konnten Besucher das Innere des Pumpmuskels erkunden – in einem riesigen Modell.

© Davids

Lange Nacht der Wissenschaften: Intelligenztests, Wattestäbchen und schlaue Babys

Über Etruskerspitzmäuse und Ohrenschmalz: Streiflichter von der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam.

Bei der zehnten „Langen Nacht der Wissenschaften“ am Sonnabend in Berlin und Potsdam wurden rund 200 000 „Besuche“ gezählt. 2009 waren es noch 240 000. Das Interesse habe sich auf einem „sehr hohen Niveau stabilisiert“, teilten die Veranstalter der „klügsten Nacht des Jahres“ am Sonntag mit. Die Zahl der Besucher selbst werde noch ermittelt. Eindrücke von einer Nacht der Offenen Türen in der Berliner und Potsdamer Wissenschaft.

SCHLAUER RAT

Die Lange Nacht ist kaum fünf Minuten alt, da sitze ich im Virchow-Klinikum auf einem Stuhl, während Schaulustige auf einem Bildschirm einen Ohrenschmalz in beträchtlicher Vergrößerung bewundern. Martin Khan, HNO-Arzt, war so nett, mir eine Endoskopkamera in den Gehörgang zu schieben. Mein Trommelfell sei in Ordnung, sagt er. Und der Ohrenschmalz? frage ich. Immerhin benutze ich Wattestäbchen. „Das kann man sehr schön sehen. Den kriegen Sie mit Wattestäbchen nicht wirklich raus, Sie drücken ihn nur an die Seite.“ Nach einer kurzen Pause sagt er: „Wir raten ohnehin davon ab, diese Stäbchen zu benutzen. Sie brauchen den Talg ja auch.“ Nie wieder Wattestäbchen in den Ohren, denke ich mir. Wieder eine zentnerschwere Zivilisationslast weniger. kkp

IM SELBSTVERSUCH

Was ist die Lange Nacht anderes als ein Selbstversuch: Wo packt mich die Wissenschaft, wo öffnet sie mir neue Horizonte, wo bringt sie mich an meine Grenzen? Spielerisch ziehen uns die Forscher und ihre jungen Mitarbeiter in Experimente, die wir uns im Alltag kaum antun würden. Ein Intelligenztest bei den Psychologen der Freien Universität, warum nicht? Obwohl man schon ahnt, dass es nicht um Textverständnis geht. Tatsächlich müssen in Reihen von abstrakten Bildfolgen Gesetze erkannt und entsprechend ergänzt werden. Bei der Auswertung versichert der Psychologe, dass der Test ja nur einen Teil der Intelligenz misst – aber 85 Prozent der Teilnehmer haben besser abgeschnitten. Mehr Spaß verspricht das Experiment der Evolutionären Psychologie, dort wird man eingeladen, an einer Studie zum menschlichen Verständnis der Mimik von Schimpansen teilzunehmen. „So viele Teilnehmer bekommen wir nie wieder zusammen“, schwärmt die Professorin und freut sich, dass die meisten vollkommen danebenliegen. Schimpansen, die das Maul aufreißen und die Zähne entblößen, lachen nicht, sie haben Angst! Bereitwillige Testpersonen findet auch das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, das zum ersten Mal mitmacht und trotz seiner Dahlemer Randlage überlaufen ist. Jetzt bitte keinen Pisa-Schnelltest, der Intelligenzquotient ist schon ausgeschöpft. Bildungsforschung ist aber auch dies: Die Forschergruppe „Risk Literacy“ will herausfinden, ob wir Risiken richtig einschätzen können. Können wir nicht, DNS-Tests und Krebsvorsorge etwa suggerieren zu Unrecht hundertprozentige Sicherheit. Glaub keiner Statistik, die du nicht verstanden hast, lautet die Aufgabe, mit der uns die Forscher entlassen. -ry

BEUTHEL-SNACK

Im Foyer der Beuth-Hochschule für Technik ist es brechend voll. An einem Stand präsentieren Studenten eine neue Lebensmittelverpackung. Sie verspricht „die getrennte Aufbewahrung einzelner Komponenten bis zu einem gewünschten Zeitpunkt“. In der Praxis heißt das: In der durchsichtigen Hülle stecken zwei Waffelstücke und dazwischen noch einmal extra in Plastik verpackt etwas Apfelmus. Man muss die Folie oben aufreißen und die Waffelstücke herausschieben. Dabei öffnet sich auch das Apfelmus-Kompartment und der Belag wird gleichmäßig zwischen den beiden Waffeln verteilt. In einem Fragebogen wollen die Erfinder wissen, wie häufig im Monat ich diesen Snack kaufen würde, wenn es ihn zu kaufen gäbe. Ich schreibe eine zarte drei hin. Man könnte es auch als acht lesen. Ich bin hungrig. kkp

DIE RACHE DER WITWEN

Im Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik in der Mohrenstraße ist es ruhiger. „Die Anfänge der Wahrscheinlichkeitsrechnung als Wissenschaft“, heißt ein Vortrag, der in einem kleinen Raum gehalten wird. Am Anfang stand unter anderem ein spielerisches Problem: Wenn ein Spiel mit sechs Gewinnsätzen beim Stand 5:3 abgebrochen wird, wie teilt man den Preis dann gerecht auf? Blaise Pascal und Pierre de Fermat kommen zum selben Ergebnis: Der zurückliegende Spieler kann nur siegen, wenn er die nächsten drei Sätze gewinnt. Die Wahrscheinlichkeit ist für jeden Satz einhalb, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass er siegt, ein Achtel beträgt. Der unterlegene Spieler sollte also lediglich ein Achtel des Preisgeldes erhalten. Damit haben Pascal und Fermat die Wahrscheinlichkeitstheorie begründet. Später nutzt Johan de Wit die neue Wissenschaft, um zu berechnen, wie hoch die Rente von Witwen in Amsterdam sein sollte. Er kommt zu dem Schluss, dass die Rente zu hoch ist und wird dafür angeblich gelyncht. Vermutlich von den Witwen. kkp

DAS GRÖSSTE BUFFET

Die Etruskerspitzmaus ist das kleinste Säugetier der Welt. Sie wiegt nur zwei Gramm und ist wenige Zentimeter lang. Michael Brecht hat in der Toskana einige Exemplare fangen lassen, um sie in den Laboren des Bernstein Center for Computational Neuroscience züchten und untersuchen zu können. Denn die Miniaturmaus hat auch ein winziges Gehirn, die Großhirnrinde besteht aus nur 2 Millionen Zellen und ist nur einen halben Millimeter dick. „Mit neuen Mikroskopen lässt sich das hervorragend untersuchen“, sagt der Doktorand Robert Naumann. Er studiert, wie die Mäuse ihre Beutetiere erkennen. Grillen, die fast genauso groß sind wie sie selbst. Wie diese Form in den kleinen Gehirnen der Tiere codiert wird, das möchte Naumann herausfinden. Die Handvoll Etruskerspitzmäuse die in einem Glaskasten auf einemTisch stehen, kümmern sich allerdings kaum um die Grillen, die um sie herumspringen. Die Mäuse haben schon einige Vorführungen hinter sich. Die „klügste Nacht des Jahres“ war für sie vermutlich „das größte Buffet des Jahres“. kkp

AUFKLÄRUNG FÜR DEN AUFKLÄRER

Für kleine Kinder hatte Jean-Jacques Rousseau nicht viel übrig. Ein Baby sei der „perfekte Idiot“, urteilte der Denker 1762. Ein Besuch im Potsdam des Jahres 2010 würde Rousseau gründlich umstimmen. Im „Babylab“ der Potsdamer Uni demontieren Forscherinnen den Mythos vom konfusen Kleinkind. „Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dachte man, dass Kinder in den ersten zwei Lebensjahren nicht denken können“, erläutert die Psychologin Birgit Elsner. „Denken wurde als innerer Monolog angesehen, der bei Babys nur schwer vorstellbar ist. Heute wissen wir, dass Babys denken und ihre Umwelt erforschen.“ Vor einem staunenden Publikum erklärt die Linguistin Barbara Höhle ihre Experimente mit wenige Monate alten Kindern. Bereits mit einem halben Jahr erkennen Babys den Rhythmus ihrer Muttersprache, mit neun Monaten identifizieren sie zuvor gehörte Vokabeln, aus dem vorbeiströmenden Fluss der Sprache treten die Konturen dieser Wörter nun hervor. „Vielleicht prägen sich Kinder bereits im letzten Drittel der Schwangerschaft den Rhythmus der Muttersprache ein“, sagt Höhle. Lernen schon im Mutterleib – was hätte wohl Rousseau dazu gesagt? wez

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