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Schlaf ist mehr als nur Regeneration.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Lob der Nacht: Die Kostbarkeit des Schlafes

Viele Menschen haben Schlafprobleme. Das hat auch mit einem falschen Verständnis der Nachtruhe zu tun. Ein Plädoyer für eine Renaissance der Schlafkultur.

In einem der bekanntesten deutschen Schlaflieder „Guten Abend, gut’ Nacht“ heißt es in der letzten Strophe: „Schlaf nun selig und süß, schau im Traum ’s Paradies.“ Aus ihr erklingt ein Versprechen, das viele heute vermutlich nur noch als diffuse Ahnung aus der Kindheit kennen: der nächtliche Traum als Geschenk, das selige Schlummern als individueller und intimer Genuss.

Der Schlafende gibt jegliche Kontrolle über sein Dasein ab, darf sich selbst verlieren und mit sich jegliche Betriebsamkeit und Bestimmung. Die Nachtruhe birgt in sich darum einen utopischen Zug und ist so etwas wie die Vorahnung des ewigen Seelenfriedens – jenes besungene „Paradies“.

Der Untergang der Schlafkultur

Zur gleichen Zeit wie Johannes Brahms „Guten Abend, gut’ Nacht“ komponierte, entstand im 19. Jahrhundert die Idee des Schlafzimmers. Als eigenständige Räumlichkeit war es ein Ausdruck der neuen Wertschätzung gegenüber der Nachtruhe. Drumherum entstand eine regelrechte Schlafkultur: von Schlafliedern über Gutenachtgeschichten bis hin zur Nachtwäsche.

Von dieser Hochschätzung ist heute kaum noch etwas zu spüren. Gerade weil die Zeit des Schlafes so ziel- und gegenstandslos ist, weil sie der Inbegriff absoluter Unproduktivität ist, erscheint sie heute als Zumutung, als lästiger Zwang, der sich trotz all des Fortschritts und der Naturbeherrschung nicht überwinden lässt.

Power Nap als Prinzip

In der Leistungsgesellschaft sind die nächtlichen Stunden ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der ermüdeten Konkurrenz und die Nacht wird wortwörtlich zum Tag gemacht. Es wird dabei als Zeichen persönlicher Freiheit empfunden, die Nächte wahlweise durchzuarbeiten oder durchzufeiern. Chemische Substanzen helfen dabei, die sich anmeldende Natur zu unterdrücken. Zu Zeiten der Industrialisierung galt man als faul, wenn man früh ins Bett ging. Davon lebt heute noch etwas in der weitverbreiteten, rastlosen Angst davor fort, etwas zu verpassen.

Erst wer gar nicht mehr kann, sucht das Bett auf. Nach dem Motto „Augen zu und durch“ wird der Schlaf dann zumindest als Phase der Regeneration und des Abspannens hingenommen. Längst hat das Prinzip des Power Napping in der heimischen Bettstätte Einzug gehalten.

Die Qual der Schlaflosigkeit

Und eines Tages liegen wir dann wach. In qualvollen Stunden vergeblich darum bemüht, die leere Dauer zu vergessen, die uns umgibt. Dann werden die schlaflosen Nächte nicht mehr als Gewinn betrachtet, sondern als fruchtlose Zeit, die uns durch die Hände rinnt. Eine Ahnung von der Kostbarkeit des Schlafes könnte in uns erwachsen – und die Erkenntnis dass wir zunächst aufwachen müssen, um wieder richtig einzuschlafen.

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