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Nachgemessen. Beim Blutdruck sollte der obere (systolische) Wert unter 140, der untere (diastolische) unter 90 liegen.

© dapd

Medizin: Nutzen fraglich

Leichter Bluthochdruck wird möglicherweise unnötig behandelt. Zu diesem Schluss kommt eine unabhängige Untersuchung im Auftrag der Cochrane-Organisation.

Hoher Blutdruck ist häufig, und ganz besonders ein nur gering erhöhter Blutdruck. Als „mild“ oder „Grad 1“ wird ein Bluthochdruck bezeichnet, wenn der erste (systolische) Messwert zwischen 140 und 159 und/oder der zweite (diastolische) Wert zwischen 90 und 99 liegt. Oft bekommen Patienten schon ab Grad 1 blutdrucksenkende Medikamente verschrieben. Vor allem, um hochdruckbedingte Gefäßschäden und damit Herzinfarkt und Schlaganfall zu vermeiden.

Eine industrieunabhängige Untersuchung kommt nun aber zu dem Schluss, dass herzgesunde Menschen mit leicht erhöhtem Blutdruck von einer Arzneibehandlung nicht nachweislich profitieren. Die Analyse wurde von Diana Diao von der Universität von British Columbia in Vancouver und ihren Kollegen im Auftrag der Cochrane-Organisation erstellt. Die Cochrane-Organisation wertet wissenschaftliche Untersuchungen aus und stellt die Ergebnisse in Übersichtsarbeiten in ihrer Datenbank ein. Die beteiligten Wissenschaftler erhalten kein Geld von Pharmafirmen.

Diao nahm vier Studien mit insgesamt 9000 Patienten unter die Lupe, die an mildem Bluthochdruck litten, aber nicht herzkrank waren. Die Patienten wurden über vier bis fünf Jahre mit verschiedenen blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt. Ergebnis: Ob die Studienteilnehmer Blutdrucksenker nahmen oder nicht, machte bei der Häufigkeit von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Todesfällen keinen deutlichen Unterschied. Fast jeder zehnte Patient in der Medikamentengruppe brach die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab. „Wir wissen nicht, ob der Nutzen der Behandlung den Schaden aufwiegt“, lautet Diana Diaos Fazit.

Deutlicher wurde Jerome Hoffman, emeritierter Medizinprofessor an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Milden Bluthochdruck mit Medikamenten zu behandeln könne vor allem von großem Nutzen für den Tablettenhersteller sein. „Aber es war fast vorhersagbar, dass diese Therapie keinen oder nur einen geringen Wert für Patienten hat“, sagte Hoffman dem amerikanischen Online-Magazin „Slate“.

Natürlich könne man das unbequeme Ergebnis mit der Begründung beiseiteschieben, dass nicht jede mögliche Dosis, Medikamentenkombination oder Behandlungsdauer geprüft wurde. Aber die Cochrane-Übersicht sei der beste Beleg, den es gebe. Hoffman wandte sich dagegen, Patienten weiter mit der Begründung zu behandeln, dass ein Nachteil nicht erwiesen sei. „Wir sollten Patienten nicht möglichem Schaden aussetzen, wenn es nicht gute Belege dafür gibt, dass es die Sache wert ist“, sagte Hoffman.

Widerspruch kam dagegen von William White von der Universität von Connecticut in Farmington. „Das größte Problem ist, dass die Analyse zu wenige Patienten umfasst“, sagte White dem Online-Informationsdienst „heartwire“. Deshalb sei es falsch, aus ihr irgendwelche Schlussfolgerungen abzuleiten. „Die Analyse hat keine Bedeutung für die medizinische Praxis und sollte von Ärzten nicht in Betracht gezogen werden.“

Zwar sei die wissenschaftliche Basis für eine medikamentöse Behandlung des milden Bluthochdrucks nicht sehr überzeugend, gibt White zu. Aber er rate dringend davon ab, nun aufgrund der Cochrane-Studie blutdrucksenkende Medikamente abzusetzen. Die Arzneimittel könnten verhindern, dass der anfangs nur leichte Bluthochdruck mit der Zeit ein bedrohliches Ausmaß erreiche. Die hohe Zahl an Therapieabbrechern hänge auch damit zusammen, dass vor allem ältere Medikamente wie hoch dosierte Entwässerungsmittel (Diuretika) und Betablocker getestet wurden. Sie haben stärkere Nebenwirkungen.

Trotz der Kritik bleiben die Cochrane-Forscher bei ihrer Position. „Ärzte, die Patienten mit leichtem Bluthochdruck behandeln, denken vermutlich, dies würde auf der Basis sehr guter wissenschaftlicher Beweise geschehen, sagte der Studienautor David Cundiff, ehemals an der Universität von Südkalifornien, gegenüber dem Informationsdienst „heartwire“. „Jetzt wissen sie, dass das nicht der Fall ist.“ Cundiff schlägt vor, anstelle von Medikamenten lieber mit gesunder Ernährung (reichlich Obst und Gemüse, wenig tierische Fette) und viel Bewegung gegen leicht erhöhten Blutdruck vorzugehen.

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