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Mehr Schutz für Studierende gefordert: Sexuell belästigt auf dem Campus

Studierende an deutschen Hochschulen brauchen mehr Schutz vor sexuellen Übergriffen - das fordert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Nur wenige Unis haben Richtlinien um Umgang mit dem Thema aufgestellt.

Studierende an deutschen Hochschulen müssen besser vor sexueller Belästigung geschützt werden. Das fordert Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Anders als für Beschäftigte gebe es „für Studierende keine eindeutigen und transparenten Regelungen“, sagte Lüders dem Tagesspiegel.

"Schutzlücke für Studierende"

Sie bezieht sich auf ein Rechtsgutachten ihrer Behörde, das am heutigen Mittwoch veröffentlicht wird und das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Juristinnen Eva Kocher und Stefanie Porsche von der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder argumentieren in der Expertise, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das sexuelle Belästigung im Arbeitsleben eigentlich verbietet, schütze Studierende nicht. Diese seien – anders als die Beschäftigten der Hochschulen – nämlich keine Arbeitnehmer.

Lüders spricht von einer „Schutzlücke, die geschlossen werden muss“. Sie fordert die Unis auf, eindeutige Beschwerdeverfahren aufzusetzen. Oft wüssten Studierende nicht einmal, an wen sie sich im Fall einer Belästigung wenden können.

Umfrage: Mehr als die Hälfte der Studentinnen wurde belästigt

Zwar sind in Deutschland bisher nicht so eklatante Fälle wie in den USA bekannt geworden. Dort ermittelt das Bildungsministerium nach Beschwerden von Studentinnen derzeit gegen 79 Unis, die sexualisierter Gewalt nicht genügend nachgegangen sein sollen. Doch das Problem auf US-Unis zu fokussieren, blende aus, dass es Diskriminierungserfahrungen auch hierzulande gebe, schreiben die Frankfurter Juristinnen. Sie verweisen auf eine EU-weite Befragung von 21 500 Studentinnen aus dem Jahr 2011. Demnach waren in Deutschland 54,7 Prozent der Befragten während des Studiums belästigt worden. 3,3 Prozent der befragten Studentinnen waren sexueller physischer Gewalt ausgesetzt. Auch für Männer, denen „Unmännlichkeit“ oder Homosexualität zugeschrieben wird, seien sexuelle Belästigungen „erschreckend normal“, schreiben die Juristinnen.

In ihren Landeshochschulgesetzen haben zwar alle Länder verankert, dass Hochschulen die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen fördern müssen. Implizit schließe das ein Verbot sexueller Belästigung ein, heißt es in dem Gutachten. Explizit schreiben das Verbot allerdings nur Bremen, Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg fest. Lüders fordert, die anderen müssten nachziehen. Ebenso wichtig sei, dass Hochschulen sich Richtlinien für den Umgang mit dem Thema geben: „Wer sexuelle Belästigung erlebt, muss eine schnelle und umfassende Unterstützung erhalten.“ Bisher hätten nur wenige Hochschulen solche Regeln aufgestellt.

Vorbildliche Richtlinien von TU und HU

Vorbildliche Richtlinien haben dem Gutachten zufolge unter anderem die RWTH Aachen sowie die HU und die TU Berlin erlassen. Die RWTH etwa listet konkret auf, was unter unzulässigem Verhalten zu verstehen ist. Das reicht vom Verbreiten sexistischer Bilder und dem Nutzen pornografischer Inhalte auf Unicomputern über anzügliche Bemerkungen bis zur Aufforderung zu sexuellen Handlungen. Die RWTH hat auch geregelt, welche Maßnahmen bei Verstößen ergriffen werden: Ausschluss von Lehrveranstaltungen, Hausverbot oder eine Strafanzeige durch den Rektor.

Die TU Berlin nennt explizite Verfahrensschritte und Zuständige, die sich – je nach Hierarchieebene der Beschuldigten – des Verfahrens annehmen. Die HU sieht verpflichtende Fortbildungen für Personalverantwortliche vor, um sie für das Thema zu sensibilisieren.

Unis müssen sexuelle Übergriffe ernst nehmen

Nun ist Papier geduldig. Wichtig sei, dass im Hochschulalltag klar werde, wie ernst eine Uni das Thema nehme, heißt es. Die RWTH befragte zum Beispiel ihre Studentinnen 2012 zu dem Thema – wobei herauskam, dass sie vor allem in technischen Fächern über sexuelle Belästigung durch Kommilitonen klagten. Die HU startete 2014 eine Plakatkampagne gegen Übergriffe. Gerade solche Infoflyer hätten an einigen Unis erstmals überhaupt Studierende ermutigt, sich mit Beschwerden an die Uni zu wenden, schreiben die Autorinnen.

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