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Naturelemente: Was ist das Meer?

Eigentlich müsste unser Planet Meer heißen. Zwei Drittel der Oberfläche bestehen aus Wasser. Wir aber sind Landbewohner und vernachlässigen die Ozeane – mit schwerwiegenden Folgen.

WO KOMMT DAS MEER HER?

Vermutlich schwappte schon vor 4,3 Milliarden Jahren der erste Ur-Ozean auf der jungen Erde. Der Planet, gerade 300 Millionen Jahre alt, war noch kochend heiß. Vereinzelt bildete sich schon eine feste Kruste auf dem zähflüssigen Gesteinsbrei, gleichzeitig entwichen Gase, vor allem Wasserdampf, Kohlendioxid und Stickstoff, die eine primitive Atmosphäre bildeten. In den Senken der Urkruste – das waren Krater von Vulkanen oder Asteroideneinschlägen – bildeten sich bald die ersten Pfützen. Darin fand sich aber nicht nur das Kondenswasser der frühen Atmosphäre. Eisige Asteroiden, die damals in großer Menge auf die Erde prasselten, brachten ebenfalls einen beträchtlichen Teil Wasser auf unseren Planeten.

Der typische Salzgeschmack ließ jedoch noch auf sich warten. Im Lauf der Zeit verwitterten die Gesteine an der Erdoberfläche immer weiter, ihre Reste wurden von Flüssen ins Meer gespült – und brachten das Salz mit sich. Noch heute gelangen auf diese Weise jedes Jahr rund vier Milliarden Tonnen Salze vom Festland in die Weltmeere, mehr als Dreiviertel davon sind Kochsalz. Trotzdem ist ihr Salzgehalt von durchschnittlich 3,5 Prozent seit Jahrmillionen weitgehend unverändert. Denn das Meerwasser verliert auch Salz. Zum Beispiel, indem es am Meeresboden abgelagert wird oder bestimmte Elemente in den Schalen von Meerestieren eingebaut werden. Im Mittel gleichen sich Zu- und Abfuhr aus.

WAS LEBT IM MEER?

Auch die Freskenmaler im serbisch-orthodoxen Weltkulturerbe-Kloster Gracanica hatten vom Getier im Meer nur eine ungefähre Vorstellung, wie unser Bild zeigt. Kein Wunder, denn ganz genau weiß das niemand. Dafür sind die Weltmeere zu groß und zu schlecht erforscht. Klar ist aber, dass es eine ungeheure Vielfalt teils bizarrer Formen und Farben in der Unterwasserwelt gibt. Im „Census of marine life“ haben tausende Forscher in den vergangenen zehn Jahren eine Art Inventur der Meere versucht. Wenn die Zählung im Oktober endgültig abgeschlossen sein wird, werden wohl mehr als 230 000 Meeresarten bekannt sein. Die Zahl der noch unbekannten Arten ist nach Schätzungen aber mindestens viermal so groß. Und über manche Lebensräume, wie die Tiefsee, wissen wir so gut wie gar nichts. Dabei liegen rund 60 Prozent der Erdoberfläche mehr als einen Kilometer unter Wasser. „Das ist der größte Lebensraum der Erde, aber er ist schlechter erforscht als der Mond“, sagt Pedro Martinez vom Forschungsinstitut Senckenberg in Wilhelmshaven.

In gewisser Weise ist ohnehin alles Leben auf der Erde Meeresleben. Schließlich entstand das Leben in den Ozeanen und als es sich vor 500 Millionen Jahren an Land kämpfte, nahm es das Wasser mit. Der Mensch besteht nicht zufällig zu mehr als 60 Prozent aus Wasser. Die Billionen Zellen des menschlichen Körpers werden von interstitieller Flüssigkeit umspült, einer Art innerem Ozean.

Trotzdem unterscheidet sich das Leben an Land und im Wasser grundsätzlich. „Wenn Sie aus dem Fenster schauen, dann sind die ersten Lebewesen, die Sie sehen, vermutlich Pflanzen“, sagt die Meeresforscherin Katherine Richardson. Der Grund: Pflanzen sind auf zwei sehr unterschiedliche Lebensquellen angewiesen. Sie benötigen Wasser, dafür entwickeln sie an Land tiefe Wurzeln. Außerdem benötigen sie die Sonne als Energiequelle, darum bilden sie Stängel und Stämme und wachsen dem Licht entgegen. Im Meer dagegen ist Wasser allgegenwärtig. Weder Stängel noch Wurzeln sind nötig. Im Gegenteil: So eine große Pflanze würde im Meer wohl auf den dunklen Meeresboden sinken und sterben. Der überwiegende Teil der Pflanzen in den Ozeanen ist deshalb so klein, dass man sie mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann, meist bestehen sie aus einer einzigen Zelle. Die winzigen Pflanzen heißen Phytoplankton und bilden die Grundlage des Ökosystems im Meer.

Es ist vor allem eine Kraft, die das Leben im Meer formt: Die Gefahr, gefressen zu werden. Darum haben selbst die winzigsten Algen stachelartige Ausstülpungen oder Schutzpanzer aus Kieselsäure, die dem Fressfeind das Essen verleiden sollen. Und die meisten Meeresbewohner legen Unmengen kleiner Eier, weil die Wahrscheinlichkeit, dass jedes einzelne überlebt, so gering ist. Im Meer gilt das Prinzip: Masse statt Mutterliebe. So muss ein Kabeljauweibchen nur 1,9 Nachfahren durchbringen, um die Population zu erhalten. Dafür legt es im Laufe seines Lebens etwa 10 Millionen Eier.

WAS BEDROHT DAS LEBEN IM MEER?

Dreieinhalb Monate lang hat das BP-Ölleck die Welt beschäftigt. Rund 660 000 Tonnen Öl sind in dieser Zeit in den Golf von Mexiko geflossen, die größte Katastrophe ihrer Art. „Das sieht dramatisch aus, weil es an einer Stelle konzentriert ist“, sagt Richardson. „Aber in einem normalen Jahr fließt insgesamt viel mehr Öl ins Meer.“ Die größten Bedrohungen für die Meere seien andere, nur werde darüber weniger gesprochen.

In der Tat hat eine weitaus dramatischere Nachricht vor zwei Wochen sehr viel weniger Aufmerksamkeit bekommen. Kanadische Forscher haben anhand hunderttausender Messdaten die Veränderung des Phytoplanktongehaltes in den Weltmeeren errechnet. Das Ergebnis: Seit 1950 haben die winzigen Pflanzen im Meer um 40 Prozent abgenommen.

Einen entscheidenden Grund dafür sehen die Forscher in der Erwärmung der Weltmeere. Der Klimawandel bringt ein weiteres Problem: die Versauerung der Ozeane. Ein beträchtlicher Teil des Kohlendioxids auf der Erde löst sich im Meer und bildet dort Kohlensäure. Je mehr CO2 in die Atmosphäre gepumpt wird, umso mehr Kohlensäure bildet sich auch in den Ozeanen. „Das bedroht vor allem Tiere mit Kalkschalen, denn die lösen sich bei zu viel Säure auf“, sagt Richardson.

Die Forscherin ist überzeugt, dass die Menschheit sich an einem Wendepunkt befindet: „Wir müssen endlich akzeptieren, dass der Mensch die Erde auf einem globalen Level beeinflussen kann – und gegensteuern.“ Das Meer wird im Naturschutz aber immer noch vernachlässigt. So unterlagen 2007 nach Schätzungen 18 Millionen Quadratkilometer Land gewissen Naturschutzregeln, aber nur 1,9 Millionen Quadratkilometer Meer.

WIE WICHTIG IST DAS MEER FÜR DEN MENSCHEN?

So wichtig das Meer für das Werden des Lebens überhaupt war, so entscheidend ist es für die Menschen. Ohne die Ozeane wäre das uns bekannte Leben unmöglich. Es ist ein wichtiger Motor für das Klima und mildert zugleich extreme Entwicklungen ab. Ohne Ozeane wären die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht viel größer. Die Verdunstung über den Meeren wiederum liefert die Niederschläge, die Landschaften blühen lassen.

Und das Meer ernährt uns auch direkt. 17 Kilogramm Fisch isst jeder Mensch pro Jahr. Zudem ist das Meer eine Rohstoffquelle. Nahe an den Küsten werden Sand und Kies gewonnen sowie Erdöl und Erdgas aus dem Meeresgrund gefördert. Angesichts steigender Preise stoßen Bohrschiffe in immer tiefere Gewässer vor. „In Zukunft könnten auch Metallerze aus dem Meer gewonnen werden“, sagt Christian Reichert, Leiter der Abteilung für Marine Rohstofferkundung bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Mehrere Tauchexpeditionen haben etwa am Mittelatlantischen Rücken beobachtet, wie an heißen Quellen Sulfidminerale abgeschieden werden. Sie enthalten unter anderem Blei, Zink, Kobalt, Kupfer, Gold und Silber. „Vor Papua-Neuguinea befinden sich solche Lagerstätten im flachen Wasser, nur wenige hundert Meter tief; dort soll demnächst der Abbau beginnen“, berichtet Reichert.

Längst arbeitet die Industrie an Verfahren, um mit Tauchrobotern auch jene Vorkommen in den üblichen zwei bis vier Kilometern Tiefe ausbeuten zu können. „Je nachdem, wie weit die Technik ist und wie die Rohstoffpreise liegen, könnte es in 10 bis 15 Jahren losgehen“, schätzt der BGR-Experte. Bei den Manganknollen hingegen wird es seiner Meinung nach länger dauern. Sie liegen in einigen Gegenden auf dem Grund der Tiefsee und enthalten neben Mangan auch Kupfer, Nickel, Kobalt sowie Hightech-Metalle wie Germanium, Indium und Tantal.

Das Meer ist auch ein Verkehrsraum, der in der globalisierten Welt immer bedeutender wird. „Eine amtliche Statistik über den globalen Güterverkehr auf den Meeren gibt es nicht“, sagt Burkhard Lemper vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik in Bremen. Schätzungen zufolge waren es im vergangenen Jahr rund acht Milliarden Tonnen; infolge der Wirtschaftskrise gab es einen leichten Rückgang. „Generell beobachten wir jedoch ein Wachstum von drei bis vier Prozent im Jahr“, sagt Lemper. „In den nächsten Jahren könnte es sogar mehr sein.“

WEM GEHÖRT DAS MEER?

Ausgehend von der Küste eines jeden Anrainerstaats sind die ersten 12 Seemeilen (22 Kilometer) Hoheitsgewässer und damit Staatsgebiet. Dieser Streifen ist zugleich Teil der 200-Seemeilen-Zone. In diesem 370 Kilometer breiten Streifen darf das Land gemäß Seerechtsübereinkommen der UN Rohstoffe abbauen, Kraftwerke errichten oder Inseln anlegen. Was darüber hinausgeht, ist internationales Gewässer. Will man dort in Zukunft Rohstoffe gewinnen, muss das bei der Internationalen Meeresbodenbehörde in Kingston (Jamaika) beantragt werden. Dorthin wäre im Fall des Erzabbaus auch ein Teil des Gewinns abzuführen. Gemäß der Leitlinie, wonach Bodenschätze das „gemeinsame Erbe der Menschheit“ sind, soll die Behörde das Geld an Entwicklungsländer verteilen.

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