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Appetitzügler. Potsdamer Forscher haben Kartoffelpflanzen mit Molekülen ausgestattet, die in den Darmzellen des Kartoffelkäfers ein lebenswichtiges Gen ausschalten.

© Sher Afzal Khan, Max Planck Institut für Chemische Ökologie

Neue Methode zurSchädlingsbekämpfung: Wider den Kartoffelfresser

Ohne Chemie Schädlinge vertreiben und Nützlinge schonen – das schaffen Potsdamer Forscher mit einer neuen smarten Pflanze.

„Jetzt fressen sie, wohin man schaut, Kartoffelkraut, Kartoffelkraut. Die Stauden, erst so herrlich grün, sie werden kahl, sie schwinden hin. Der Bauer schreit: ,Was muss ich seh’n? Gleich wird’s Euch an den Kragen geh’n!‘ “ Was der Lyriker Josef Guggenmos einst im Versmaß androhte, haben deutsche Forscher jetzt in die Tat umgesetzt. Im Fachblatt „Science“ präsentieren sie eine Kartoffelpflanze, die Kartoffelkäfern den Appetit verdirbt.

Kartoffelkäfer-Abwehrdienst

1811 wurde der Schädling erstmals in Colorado entdeckt, 1859 kam es in Nebraska zur ersten Massenvermehrung des „Coloradokäfers“, der kaum natürliche Feinde hat. In den 1920er Jahren setzte er nach Europa über und zerstörte 250 Quadratkilometer Kartoffelfelder bei Bordeaux. 1935 wurde in Deutschland ein „Kartoffelkäfer-Abwehrdienst“ eingerichtet, der die Käfer von den Pflanzen sammelte. In der DDR gab es noch bis in die sechziger Jahre solche Sammelaktionen gegen den „Amikäfer“.

Dem Insekt ist nur schwer beizukommen. Anfangs versuchte man es mit Kalk-Arsen, dann wurden Pyrethroide das Standard-Insektizid. Heute kommen verschiedene Pestizidklassen zum Einsatz. Doch gegen alle hat der Käfer inzwischen Resistenzen entwickelt, sodass er als „internationaler Superschädling“ gilt.

Keine Chance dürfte der Käfer gegen das System haben, das von Ralph Bocks Team vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenzüchtung in Potsdam-Golm und dem Jenaer Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie entwickelt wurde. Bock nutzt Gentechnik, verändert aber nicht das Erbgut der Kartoffel, sondern nur die DNS in den Photosynthese-Organen der Pflanze, den Chloroplasten. Dort schleust er ein Gen ein, das große Mengen doppelsträngige RNS (dsRNS) produziert. „Es ist schon länger bekannt, dass man mit doppelsträngiger RNS Insekten bekämpfen kann“, sagt Bock. Die Insekten sterben daran, wenn die dsRNS die gleiche Bausteinabfolge hat wie eines ihrer lebenswichtigen Gene. Das liegt daran, dass die dsRNS die Übersetzung des lebenswichtigen Gens in ein Protein unterbricht (siehe Grafik). Das Gen wird gewissermaßen stillgelegt – ein Prozess namens RNS-Interferenz, dessen Entdeckung 2006 mit dem Nobelpreis belohnt wurde und inzwischen auch in der Medikamentenentwicklung genutzt wird.

Schädlingsbekämpfung über die Chloroplasten der Pflanze

Die Idee liegt auf der Hand, Pflanzen dsRNS produzieren zu lassen, um sie so giftig für Schädlinge zu machen, die von der Pflanze fressen. Doch bislang gelang das nicht. Denn wird die dsRNS im Zellkern der Pflanze produziert, wird sie zerstückelt und kann nicht mehr den tödlichen Prozess im Insekt auslösen. In Chloroplasten hingegen bleibt die dsRNS intakt. „Deshalb ist es möglich, große Mengen dsRNS in den Chloroplasten zu produzieren“, sagt Bock.

Solche „transplastomen“ – im Chloroplastenerbgut veränderten – Pflanzen haben eine Reihe von Vorteilen. Zum einen müssen keine chemischen Pestizide mehr auf den Feldern verteilt werden, sagt Bock: „Hat man einmal eine solche Pflanze gezüchtet, ist sie komplett vor dem Käfer geschützt, ohne dass es etwas kostet.“ Die Bausteinabfolge der dsRNS lässt sich so präzise wählen, dass nur eine ganz bestimmte Art, der Schädling, betroffen ist, aber andere, nützliche Lebewesen verschont bleiben. „Das setzt voraus, dass man das Erbgut der Schad- und Nutzinsekten kennt, aber das ist dank der neuen Erbgutsequenziermethoden kein Problem mehr“, sagt Bernd Müller-Röber, ebenfalls Forscher am Potsdamer MPI, aber an Bocks Forschung nicht beteiligt. Dass die dsRNS negative Folgen für den Menschen, der solche Pflanzen verzehrt, oder wichtige Bakterien im menschlichen Darm haben könnte, hält er für sehr unwahrscheinlich – wenn solche dsRNS gewählt wird, die keine Ähnlichkeit mit menschlichen Genen hat. „Außerdem hat der Mensch, anders als Insekten, im Magen ein so saures Milieu, dass da wahrscheinlich keine dsRNS überlebt“, sagt Bock.

Resistenzentwicklung extrem unwahrscheinlich

Ein häufig gegen gentechnisch veränderte Pflanzen ins Feld geführte Argument zieht bei dsRNS-Pflanzen nicht: „Die Pflanze produziert nur dsRNS, die nicht in ein Protein übersetzt werden kann, welches im Verdacht stehen könnte, Allergien auszulösen“ , sagt Bock. Der entscheidende Vorteil der dsRNS-Pflanzen ist jedoch, dass der Kartoffelkäfer gegen die dsRNS aus der Pflanze auch langfristig machtlos sein wird. „Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass das System völlig immun gegen Resistenzentwicklung ist“, sagt Bock. „Aber wenn wir gleich mehrere Gene eines Schädlings mit der dsRNS angreifen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass der Käfer es schafft, diese Gene gleichzeitig so zu verändern, dass er resistent wird.“ Das sei bei den herkömmlich gentechnisch veränderten Pflanzen anders. Wird ein Schädling resistent gegen Gifte, wie sie beispielsweise „BT-Mais“-Sorten enthalten, dann ist die Pflanze schutzlos.

Den Käfern vergeht der Appetit

Käferlarven, die von den dsRNS-Pflanzen fressen, können sich nicht mehr weiterentwickeln. Die Käfer selbst sterben nicht unbedingt, aber sie hören auf zu fressen, sagt Bock: „Die dsRNS schädigt das Beta-Aktin-Gen in den Darmzellen des Käfers, sodass er davon wahrscheinlich wirklich Magenschmerzen bekommt und zu fressen aufhört.“

Derzeit untersucht Bocks Team, ob auch andere Schädlinge mit dem dsRNS-System vertrieben werden können – „Schnecken, die dem Gärtner den Salat wegfressen, oder Pilze, die zum Beispiel die Kraut- und Knollenfäule auslösen, die 1845 in Irland eine Hungerkatastrophe ausgelöste und Millionen Iren zum Auswandern zwang.“ Ob das gelingt, hänge vor allem davon ab, wie effektiv die jeweiligen Schädlinge dsRNS aus dem Darm aufnehmen. „Da ist noch viel Forschung nötig“, sagt Bock.

Außerdem können Forscher noch nicht bei jeder Pflanze Gene in das Erbgut der Chloroplasten einschleusen, sagt Müller-Röber. Bislang ist die Technik auf Pflanzen wie Tomate, Kartoffel, Tabak und Salat beschränkt, bei so wichtigen Nutzpflanzen wie Reis, Mais oder Weizen funktioniert sie noch nicht. „Aber früher oder später wird das möglich sein“, ist sich Bock sicher.

Ob es die dsRNS-Kartoffeln je aus dem Labor auf ein deutsches Feld schaffen, ist allerdings fraglich. Die Bundesregierung strebt ein nationales Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen an, wozu auch die dsRNS-Pflanzen gehören. „Ich will nicht sagen, dass ich das völlig leidenschaftslos sehe, aber die politischen Rahmenbedingungen sind nun mal, wie sie sind“, sagt Bock. „Forscher können nicht mehr als ein Technologieangebot machen. Das kann man dann nutzen oder eben nicht.“

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