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In Flammen. Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933, brannte der Reichstag in Berlin. Sofort danach ließen die Nazis ihre Gegner festnehmen. Historiker, die die Tat erforschten, warfen sich gegenseitig vor, auf gefälschte Quellen hereinzufallen.

© picture-alliance / Judaica-Samml

NS-Zeit: Das Rätsel Reichstagsbrand

Vor 80 Jahren brannte der Reichstag. Die Nazis nutzten die Tat, um ihre Macht zu sichern. Bis heute streiten Historiker, wer das Gebäude anzündete. Kann es wirklich ein kommunistischer Einzeltäter gewesen sein?

Mit dem Plenarsaal des Deutschen Reichstages verbrannte am Abend des 27. Februar 1933 die Weimarer Republik – oder was nach jahrelangen Parlamentsauflösungen, Notverordnungen, Neuwahlen und bald folgenden erneuten Auflösungen des Reichstags davon übrig geblieben war. Noch während der Wallot-Bau brannte, begannen die Verhaftungen von Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Schriftstellern und linken Intellektuellen.

Die Eile, mit der die Politische Polizei und die SA auf das Ereignis reagierten, legt nahe, dass die Nutznießer des Brandes auch ihre Verursacher waren. Zwar hatte man im Reichstag den holländischen Anarchisten bzw. Rätekommunisten Marinus van der Lubbe festgenommen, der die Tat auch gestand. Aber wie sollte ein einzelner ortsunkundiger und darüber hinaus sehbehinderter Täter es mit unzureichenden Mitteln fertiggebracht haben, den Reichstag an vielen verschiedenen Stellen innerhalb weniger Minuten anzuzünden? Und warum war am Ende nur der Plenarsaal so sehr von den Flammen zerstört worden?

Andererseits: Woher hätte beispielsweise die SA, wenn sie denn in die Tat verwickelt war, von van der Lubbes Plan gewusst haben und ihn für ihre Zwecke einspannen können? Wie sollte es ihnen gelungen sein, parallel zu van der Lubbe dafür zu sorgen, dass der Reichstag bzw. dessen Zentrum, der Plenarsaal, wirklich brennt? Und ohne dabei gesehen zu werden? Benutzten van der Lubbes „Helfer“ den geheimnisvollen Gang zum Reichstagspräsidentenpalais (wo Göring residierte), wie es der ARD-Spielfilm „Nacht über Berlin“ vergangene Woche nahelegte? Eine absurde Verschwörungstheorie, sagen die einen. Wie man nur so naiv sein könne, zu glauben, die Nazis hätten den Reichstag nicht selber angezündet, fragen die anderen.

Streit und gegenseitige Schuldzuschreibungen sind so alt wie das Ereignis selbst. Für Hitler freilich, der den Abend in der Wohnung von Joseph Goebbels am Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) verbracht hatte und sich schnellstens zum Tatort fahren ließ, war die Sache klar. „Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden“, brüllte er angesichts der Flammen. „Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird.“ Schon bald waren die Polizei- und SA-Kommandos unterwegs und holten die „Verdächtigen“ aus den Betten.

Sebastian Haffner spottete 1939 im englischen Exil: „Komisch allerdings auch, dass die Nazis sich gerade über den Reichstag so aufregten. Bis dahin hatten sie ihn immer ‚Quatschbude’ genannt, und jetzt auf einmal war es die Schändung des Allerheiligsten, dass ihn einer angezündet hatte.“

Anderntags ließ sich Hitler, seit vier Wochen Reichskanzler, vom Reichspräsidenten Hindenburg eine Verordnung unterschreiben, die einen nie wieder aufgehobenen Ausnahmezustand begründete. Nicht nur den Kommunisten, auch den Sozialdemokraten wurde der Wahlkampf unmöglich gemacht, ihre Zeitungen verboten, etliche Kandidaten verhaftet und in die ersten KZs verschleppt.

Kommunistische „Hintermänner“ van der Lubbes konnten selbst unter den 1933 herrschenden Terrorbedingungen nicht überführt werden. Die vier kommunistischen Mitangeklagten van der Lubbes wurden im Dezember 1933 nach einem aufsehenerregenden Prozess, der in Leipzig, aber mehrere Wochen auch in einem nicht vom Brand zerstörten Saal des Reichstages stattfand, allesamt freigesprochen. Den Nazis reichte bereits die Behauptung der kommunistischen Mittäterschaft, um die kommunistische Bewegung zu zerschlagen, bald darauf auch die sozialdemokratische.

Van der Lubbe wurde im Januar 1934 hingerichtet, obwohl es zum Tatzeitpunkt kein Gesetz gab, das Brandstiftung mit der Todesstrafe bedrohte. Der Ausschluss der KPD-Abgeordneten aus dem wenige Tage nach dem Reichstagsbrand wieder einmal neu gewählten Parlament hatte zur Folge, dass die NSDAP doch noch die absolute Mehrheit der Mandate erreichte.

Dass hinter der Brandstiftung dessen Nutznießer gesteckt hatten, wurde nach dem Krieg allgemein angenommen, bis sich in den 50er Jahren ein „Amateurhistoriker“, wie er sich nannte, daranmachte, Licht in das Dunkel zu bringen: Fritz Tobias, Mitarbeiter im niedersächsischen Innenministerium. Auf der Grundlage seiner Recherchen druckte der „Spiegel“ Ende 1959 eine elfteilige Serie, in der der Nachweis der Alleintäterschaft van der Lubbes ein für alle Mal erbracht werden sollte. „Über den Reichstagsbrand wird nach dieser ’Spiegel’-Serie nicht mehr gestritten werden“, so Rudolf Augstein.

Daraus wurde nichts. Zwar überraschte Tobias die Fachwelt mit seinen Ergebnissen und erhielt 1964 durch den jungen Historiker Hans Mommsen vom Münchener Institut für Zeitgeschichte wissenschaftliche Weihen, doch hatte Mommsen zuvor einen Tobias-kritischen Autor ausgeschaltet, unter Umständen, die das Institut für Zeitgeschichte 2001 selbstkritisch als „unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten vollkommen inakzeptabel“ bezeichnete. Mommsen attestierte dem Institut daraufhin, sich „zum Kumpan der Fälscher-Mafia“ zu machen.

Warum wird die Klärung des Falls nicht in die Hände des Bundestags gelegt?

Die Alleintäterthese prägte so über Jahrzehnte die Sicht der Historiker auf den Reichstagsbrand – und damit auf die Methoden der Nazis, ihre Diktatur zu errichten. Waren sie über die Reichstagsbrandstiftung überrascht, ja geradezu erschrocken und haben dann etwas überreagiert, weil sie einen kommunistischen Aufstand befürchteten? Eine Diktatur aus Versehen sozusagen? Das wollte vielen nicht in den Kopf, vor allem, wenn selbst erlittene Folge dieser Diktatur Exil oder KZ-Haft gewesen war.

Unterstützt von Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Eugen Kogon, Ernst Benda, Carlo Schmid und dem Historiker Golo Mann hatte sich 1968 das sogenannte Luxemburger Komitee gebildet. Um Tobias zu widerlegen, veröffentlichte es 1970 und 1978 zwei wissenschaftliche Dokumentationen, die 1986 von einer um die Theorie von Fritz Tobias versammelten Gruppe als „samt und sonders Fälschungen“ zurückgewiesen wurden.

In den 90er Jahren trat der Historiker Alexander Bahar das Erbe der „Luxemburger“ an, gab deren Dokumentationen neu heraus und bearbeitete als Erster (gemeinsam mit Wilfried Kugel) die seit der Wende zugänglichen Originalakten, auf die alle bisherigen Arbeiten verzichten mussten. Der Düsseldorfer Soziologe Hersch Fischler steuerte weitere wichtige Einzelheiten bei und deckte die genannten „inakzeptablen“ Vorgänge im Institut für Zeitgeschichte auf.

Seit Jahrzehnten findet zwischen diesen Forschungsrichtungen keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mehr statt. Der Vorwurf, auf gefälschte Quellen hereingefallen zu sein oder sie gar selbst gefälscht zu haben, scheint Normalität zu sein, ebenso die gegenseitige Verdächtigung, mit den Forschungen politische Zwecke zu verfolgen. Eine Klärung der Sache scheint in diesem Streit nicht mehr möglich. Aber sie ist nötig. Der in Wiesbaden lebende Historiker Marcus Giebeler hat sich mit seinem 2010 erschienenen Buch über die „Kontroverse um den Reichstagsbrand“ um eine seit langem überfällige Objektivierung des Konflikts verdient gemacht und eine neue Perspektive in diesem Historikerstreit eröffnet.

Die Aufklärung des Reichstagsbrandes, sofern sie noch möglich ist, sollte nun endlich in die Hände einer überparteilich agierenden Institution gelegt werden. Politisch und materiell Geschädigter des Reichstagsbrandes ist der Souverän, das Volk, repräsentiert durch den Deutschen Bundestag. Warum also sollte sich die Volksvertretung nicht sozusagen in eigener Sache darum bemühen, eine Klärung der Angelegenheit anzugehen? Alle in Wissenschaft und Publizistik mit der Frage beschäftigten Personen und Institutionen sollten in ein solches Verfahren einbezogen werden. Dabei gilt: Wer sich dem entzieht, will den Streit, nicht die Klärung.

Es ist fast unerklärlich, warum bisher noch niemand auf diese naheliegende Idee gekommen ist. Sie wäre auch im Sinn von Fritz Tobias, der am Neujahrstag 2011 98-jährig verstorben ist. Sein Alleinerbe Martin Tobias begrüßt auf jeden Fall ein solches Vorgehen. Er prüfe die Möglichkeit, zu diesem Zwecke den von ihm verwahrten Nachlass seines Vaters dem Deutschen Bundestag zu übergeben, sagte Martin Tobias auf Anfrage. Das entspräche auch dem testamentarisch festgelegten Wunsch seines Vaters. Der im Spätsommer zu wählende 18. Deutsche Bundestag sollte sich diesem Angebot nicht verschließen.

Uwe Soukup

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