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Wissen: Philologe mit Humor

Zum Tode des Germanisten Wolfgang Preisendanz

Mit dem 1920 geborenen Germanisten Wolfgang Preisendanz ist das letzte Mitglied der weltweit berühmt gewordenen „Konstanzer Schule“ am 29. September gestorben. Dabei hat Preisendanz ein sehr eigenes Profil in der Konstanzer Literaturwissenschaft vertreten, deren Innovation die Rezeptionsästhetik war, für die der Anglist Wolfgang Iser und der Romanist Hans Robert Jauss standen. Sie war auf eine umfassende Interdisziplinarität ausgerichtet, wie sie sich in den Bänden der Forschergruppe „Poetik und Hermeneutik“ präsentiert.

Preisendanz war der streng philologischen Germanistik der Nachkriegszeit verpflichtet, die subtile Analyse der formalen Besonderheiten des Textes mit einer Reflexion auf die historischen Bedingungen des Schreibens vereinte – sowie mit der Literatur- und Kunsttheorie. Damit setzte sie eine geisteswissenschaftliche Orientierung fort, die jedoch geschult war an der Wissenschaftstheorie und an den hohen Forderungen, welche Formalismus und Strukturalismus an die Textanalyse stellten.

Preisendanz wurde eine Symbiose von historischer und philologischer Hermeneutik von seinem Heidelberger Lehrer Paul Böckmann vermittelt. Ihn begleitete er nach Köln, wo er sich 1961 habilitierte. Es folgten die Lehrstühle in Münster ab1962 und in Konstanz von 1966 bis 1988. Anders als sein Lehrer hat er aber nicht die großen Linien des literarischen Wandels gezogen. Preisendanz war ein Skeptiker. Nachzufragen, noch einmal auf den Text zu sehen, das kritische Denken waren ihm wichtiger als panoramatisch zu konstruieren. Er erläuterte die spezifische Machart literarischer Texte im Zusammenhang mit den philosophischen und poetologischen Diskursen der jeweiligen Zeit. Brillant hat er die Historizität, die „signatura temporis“, bis in die Fein-Formulierungen der Texte interpretiert. Seine Arbeiten über die Lyrik Goethes und Trakls, über Heine, über die Erzählkunst von Hoffmann bis Drach und Grass sind durchaus kulturwissenschaftliche, auf außerliterarische Diskurse und andere Medien bezogene textaufschließende Glanzstücke. Preisendanz sammelt sie zu seiner noch immer imponierenden Habilitationsschrift von 1962 („Humor als dichterische Einbildungskraft“). In ihr verband er die Prosa deutscher realistischer Erzähler des 19. Jahrhunderts mit der zeitgenössischen ästhetischen Diskussion des Humors als einem Prinzip der Vermittlung von empirischer Wahrnehmung von Wirklichkeit und deren subjektiver Phantastisierung. Sein Interesse am Humor als einem narrativen Prinzip hat er zu theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Komischen, zumal des Witzes, erweitert. Die große Geschichte und Theorie des Komischen zu schreiben, ist ihm, dem schließlich wegen einer Kriegsverletzung erblindeten Fanatiker der Genauigkeit, versagt geblieben. Hermann Kinder

Der Autor ist Schriftsteller und lehrt an der Universität Konstanz Germanistik.

Hermann Kinder

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