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Tränen für einen Tyrannen. In Nordkorea trauerten viele Menschen geradezu hysterisch nach dem Tod Kim Jong Ils.

© AFP

Psychologie: Gelenkte Gehirne

Als ihr brutaler Diktator Kim Jong Il stirbt, brechen die Nordkoreaner massenhaft in Trauer aus. Gehirnwäsche, vermutet der Westen. Aber wer den Geist eines Menschen versklaven will, muss auch mit Widerstand rechnen.

Seine Worte wirkten, als würden sie von einer Schallplatte kommen. Als würde immer wieder dasselbe Stücke abgespielt, ohne Veränderung oder Unterbrechung. Er schien unter dem unnatürlichen Zwang zu stehen, seinen Gedankengang von Anfang bis Ende fortzuführen, selbst wenn dieser töricht erschien. Der Soldat war seines freien Willens beraubt und unfähig, sich an eine Situation anzupassen, für die er keine Anweisungen besaß. Sein Geist war zum Werkzeug geworden. Es schien, als würde der Mann in Trance handeln.

„Mich gruselte bei seinem Anblick“, schreibt der amerikanische Journalist Edward Hunter, der in seinem Buch über „Gehirnwäsche“ einen US-Soldaten schildert, der aus nordkoreanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist. Der Soldat wirkt wie ein entseelter Zombie, wie ein ferngesteuerter Roboter, der Parteiphrasen drischt. Fast 60 Jahre später wird Nordkorea erneut mit Gehirnwäsche in Verbindung gebracht. Die Bilder der in Tränen aufgelösten Volksmassen, die an den Straßen und Plätzen in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang ihrem verstorbenen „Lieben Führer“ Kim Jong Il huldigten, ließen viele Kommentatoren unwillkürlich an Gehirnwäsche denken. Diese Trauer um einen Tyrannen war unfasslich. Sie musste einfach darauf beruhen, dass die Menschen manipuliert und nicht mehr Herr ihres Verstandes waren.

Als Edward Hunter am 24. September 1950 das Wort „Gehirnwäsche“ in einem Beitrag für die Zeitung „Miami News“ zum ersten Mal gebraucht, trifft er einen Nerv. Der Krieg gegen das kommunistische Nordkorea und seinen bedrohlichen Beschützer Rotchina verunsichert die Amerikaner. Man traut dem Gegner zu, mit Indoktrination, vielleicht mit Drogen, Hypnose oder gar mit Satans Hilfe die Gehirne des Gegners zu unterjochen. Damit beginnt die wechselvolle Geschichte eines Begriffs, der zum Mythos wird.

Die 50er Jahre sind die Hochzeit des Behaviorismus (von behavior, Verhalten). Die Behavioristen glauben, dass sie das Verhalten eines Menschen „konditionieren“ können, ihn auf Deutsch gesagt dressieren können. Urvater des Behaviorismus war der 1936 in Leningrad gestorbene Mediziner Iwan Pawlow – also kennen vermutlich auch Russen und Rotchinesen die fortschrittlichen Methoden.

Behavioristen wie der Harvard-Psychologe Burrhus Frederic Skinner glauben sogar, dass sie die menschliche Psyche programmieren können wie einen Computer. „Gib mir ein Kind, und ich verwandle es in alles Mögliche“, lautet einer von Skinners Grundsätzen. Die Macht über das Mentale erscheint unermesslich.

Edward Hunter ist nicht nur Journalist. Er steht in propagandistischen Diensten des US-Geheimdienstes CIA. Die CIA ist es auch, die 1953 unter dem Namen „Mkultra“ ein bizarres Forschungsprogramm startet. Unter anderem mit der Sinnestäuschungen auslösenden Droge LSD versucht man, den Geheimnissen der Gehirnwäsche auf die Spur zu kommen. 1959 erscheint der Politthriller „The Manchurian Candidate“. Durch eine Gehirnwäsche in chinesischer Gefangenschaft wird ein amerikanischer Soldat zum „Schläfer“, zum willenlosen Automaten eines Staatsstreichs, der bewusstlos mörderische Befehle ausführt. Der Begriff Gehirnwäsche hat sich endgültig ins kollektive Bewusstsein eingeprägt.

Auch die CIA versuchte eine Hintertür zum Gehirn zu öffnen, ihre Bemühungen blieben aber erfolglos

So sehr die Spezialisten im Dienst der CIA auch versuchten, mit immer rabiateren Methoden eine Hintertür zum Gehirn zu öffnen, so erfolglos blieben jedoch ihre Bemühungen. Das geheimnisumwitterte „Mkultra“-Programm wurde nach etlichen Jahren schließlich eingestellt. Zweifel an den sagenhaften Manipulationsfähigkeiten der Kommunisten wären allerdings schon früher angebracht gewesen: Nach Ende der Feindseligkeiten in Korea entschlossen sich von 4500 kriegsgefangenen US-Soldaten ganze 21, nicht in ihre Heimat zurückzukehren – 22.000 Soldaten waren es auf kommunistischer Seite, von grob geschätzt bis zu 100.000 Gefangenen.

In den 60er und 70er Jahren erstand die Idee von der Gehirnwäsche wieder auf. Sie erklärte scheinbar, warum neue Religionen und Kulte wie die Kinder Gottes, die Moon-Sekte, Hare Krishna oder Scientology vor allem bei jungen Leuten so großen Zulauf hatten – die Anhänger wurden ganz offenbar einer Hirnwäsche unterzogen. Die Neu-Religionen wurden auf Schadenersatz verklagt, und „Deprogrammierer“ traten auf den Plan, die sich erboten, das Schadprogramm wieder aus dem Gehirn des Sektenopfers zu löschen.

Doch die Behauptung von der sektiererischen Gehirnwäsche stieß bei Experten auf scharfe Kritik. Denn ihre Anhänger blieben Beweise dafür schuldig, dass Kultisten hypnotisiert, abgerichtet oder geistig geschwächt wurden, um sie ihres freien Willens zu berauben. Vielmehr fanden Wissenschaftler heraus, dass die meisten Anhänger von Alternativ-Religionen „Suchende“ waren, enttäuscht von herkömmlichen Glaubensrichtungen, die geistig nicht eingeschränkt wurden. Manchem verlieh die Gemeinschaft Stärke, viele aber verabschiedeten sich rasch wieder von der neuen Glaubensrichtung, ohne Schaden zu nehmen. Skinners Idee einer beliebigen Programmier- und Manipulierbarkeit des Menschen und seines Gehirns hatte sich als Irrglaube erwiesen.

Gehirnwäsche als manipulative Geheimtechnik, als Schleichweg ins Unbewusste, existiert nicht. Aber Argumente für eine „schwache“, als „Gedankenkontrolle“ bezeichnete Variante gibt es durchaus. In ihrem Zentrum steht die Gruppe, der sich ein Einzelner anpasst oder unterordnet. „Wenn Sie gefoltert werden oder eine Wahrheitsdroge nehmen müssen, dann wissen Sie, dass Sie manipuliert werden“, sagt der Psychologe John Dylan-Haynes vom Bernstein-Center for Computational Neuroscience in Berlin. „Aber wenn junge Leute aus einer Sekte Sie beeinflussen, werden Sie vielleicht nicht bemerken, wie man die soziale Kontrolle über Sie übernehmen will.“

Der amerikanische Psychiater Robert Lifton gehörte zu denen, die in Korea amerikanische Soldaten untersuchten, die in kommunistischer Gefangenschaft der Gedankenkontrolle oder „Gedankenreform“, so der chinesische Ausdruck, ausgesetzt worden waren. Er fand Hinweise, dass das Denken der Gefangenen auf eine Gruppendoktrin ausgerichtet wurde. Die Gruppe wird über den Einzelnen gestellt, ihre Ziele sind erhaben und denen der Außenwelt überlegen, das Ziel lautet Reinigung und Selbstaufgabe.

Allerdings wurde brutaler Zwang eingesetzt, um das Ich der Gefangenen zu brechen. Liftons Kollege Edgar Schein hat darauf hingewiesen, dass die chinesische Gedankenreform ihre historischen Parallelen in den erpressten Geständnissen der päpstlichen Inquisition oder den stalinistischen Schauprozessen mit ihren Selbstbezichtigungsritualen hat. Mit subtiler Überzeugungsarbeit haben diese folterähnlichen Methoden nichts zu tun, „bewährt“ haben sie sich über die Jahrhunderte trotzdem.

Man kann Menschen auf die niedrigste Stufe ihrer Existenz bringen und dann eine rettende Hand reichen – dann glauben sie alles

„Man muss nur Menschen auf die niedrigste Stufe ihrer Existenz bringen, indem man auch ihre grundlegendsten Bedürfnisbefriedigungen wie Schlaf, Wärme, Kommunikation, Essen und Trinken, Namen und Identität entzieht und ihnen dann eine ,rettende Hand’ reicht – dann glauben sie alles, was man verlangt“, sagt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth „Unser scheinbar vernünftiges Ich ist ein wackliges Gebilde, dessen Prinzipien die meisten Menschen aufgeben, wenn ihre unterste biologische und psychische Existenz infrage gestellt wird.“

Ein Gefangenenlager eignet sich besonders, um Gedankenkontrolle anzustreben – aber ein Staat wie Nordkorea kommt nahe an dieses „Ideal“ heran. Fünf Grundsätze des sozialen Drucks lassen sich ausmachen: Isolation – schneide den Häftling/Bürger von Informationen ab, die nicht ins System passen; Kontrolle – überwache die Gespräche, das Verhalten, den Körper des Häftlings/Bürgers; Verbreite Unsicherheit – schüre die Furcht davor, ein ideologischer Abweichler zu sein; Wiederhole die Lektion – Indoktrination braucht Zeit; Arbeite mit starken Gefühlen – bestrafe Abweichler, belohne die Rechtgläubigen.

Totalitäre Staaten wie Nordkorea haben ein einfaches Rezept, um Gemeinschaftsgefühl und Anpassung zu erzeugen. Sie stecken das Volk in Uniformen. Das stärkt das Wir-Gefühl und festigt die moralische Autorität des Tyrannen. Die Uniform verleiht Teilhabe an der Macht, aber sie verlangt auch Unterwürfigkeit und Gehorsam, indem man sich selbst in eine Hierarchie einfügt. In dieses konservative Bild passt, dass Nordkorea sich einer völkischen Ideologie, einer Lehre von der erstrebenswerten Reinheit der koreanischen Rasse zugewandt hat.

Je länger die Herrschaft der Kim-Dynastie währt, umso selbstverständlicher erscheint sie, wird zum Teil einer kulturellen Überlieferung, die um ihrer selbst willen hochgehalten wird – zur Tradition. Sind die Tränen des Volkes an Kim Jong Ils Sarg also echt? Abgesehen davon, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine Art Inszenierung handelt, muss man berücksichtigen, dass Gruppendruck und Angst vor Beobachtung eine Rolle spielen. Klar ist auch, dass nicht die verarmte Landbevölkerung Tränen vergießt, sondern privilegierte Hauptstadtbewohner.

Wer dem Geheimnis der Tränen von Pjöngjang auf die Spur kommen will, sollte sich klarmachen, dass starke Gefühle ein Signal an die Außenwelt sind. Ich weine, also bin ich traurig. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers hat herausgearbeitet, wie brisant auf der anderen Seite demonstrative, „gespielte“ Gefühle für den Darsteller sind. Er läuft immer Gefahr, entdeckt und als Heuchler entlarvt zu werden, erst recht im Spitzelsystem einer Diktatur. Um dem zu entgehen, täuscht der Betrüger – und wir alle betrügen mitunter, sagt Trivers – nicht nur andere, sondern auch sich selbst. Am besten schwindelt, wer auch sich selbst betrügt. Auf nordkoreanische Staatstrauer bezogen heißt das: Fragte man einen der trauernden Passanten, ob seine Tränen echt seien, würde er vermutlich entrüstet antworten: Selbstverständlich!

Im feinen Gespür des Menschen für den Unterschied von Wahrheit und Lüge, von Aufrichtigkeit und Heuchelei liegt auf der anderen Seite die größte Gefahr für die Alleinherrscher dieser Welt. Je mehr die von oben verordnete Weltanschauung mit der Wirklichkeit in Konflikt gerät, umso trotziger reagiert der Untertan. Jede neue Indoktrination, jeder neue Versuch, die Realität umzudeuten und zu verbiegen, vergrößert nur den insgeheimen Widerwillen, ein Phänomen, das die Psychologen Reaktanz nennen.

Weicht der Druckt, schlägt die Stunde des Widerstands. Der Zusammenbruch des Sozialismus 1989 und 1990 war beispielhaft dafür. Ein vermeintlich massiver Ostblock war in Wirklichkeit längst von der Reaktanz seiner Bürger ausgehöhlt. Fast lautlos fiel er in sich zusammen. Auch den meisten Nordkoreanern wird sehr wohl bewusst sein, wie sehr sie ausgebeutet und unterdrückt werden. Auch in Pjöngjang nagt die Reaktanz.

Man kann darüber spekulieren, ob es der Gehirnforschung Jahrzehnte nach Skinner irgendwann gelingen wird, das Denken wirklich zu manipulieren und fernzusteuern. Bis es so weit ist, bleiben die Gedanken weitgehend frei. Selbst in Nordkorea.

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