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Die Abbildung zeigt ein verwischtes Logo von Twitter mit dem weißen Vogel auf blauem Grund.

© Olivier Douliery/AFP

Sexistische Angriffe auf Politikerinnen: Was der Hass mit ihnen macht

Wie wirkt geschlechtsbasierte Gewalt gegen Politiker:innen? Ziel der Attacken ist es häufig, Frauen von politischer Macht fernzuhalten. Ein Gastbeitrag.

Eine Mehrheit der weiblichen Bundestagsabgeordneten erhält Hass-Mails, ein gutes Drittel hat schon einmal körperliche Übergriffe erlebt. Das besagt eine „Spiegel“-Umfrage vom Februar. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag habe sich die Situation verschärft. Doch das Problem existiert weit länger als die Partei am rechten Rand.

Die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends etwa prangerte 2016 in einem offenen Brief an ihre Partei den Sexismus in den eigenen Reihen an und war daraufhin parteiinternen Anfeindungen ausgesetzt. Vor der Landtagswahl in Hessen 2008 insinuierte Christoph Schwennicke auf „Spiegel“-Online, die damalige SPD- Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti werde sich demnächst in aller Öffentlichkeit ausziehen.

Und die SPD-Politikerin Ute Vogt musste sich als Spitzenkandidatin 2001 in Baden-Württemberg gegen körperliche Grenzverletzungen wehren und hatte es mit einem Stalker zu tun.

Öffentlich wird nach der vermeintlichen Mitschuld gefragt

Solche Dinge kommen entweder gar nicht an die Öffentlichkeit (Vogt); oder sie sorgen dort nicht für Empörung (Ypsilanti); oder sie geben Anlass, öffentlich nach der vermeintlichen Mitschuld der Betroffenen zu fragen (Behrends). Einen Tiefpunkt stellte ein erstinstanzliches Urteil im Fall von Renate Künast dar.

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Die Grünen-Politikerin wehrte sich vor Gericht gegen Beleidigungen und Pöbeleien in sozialen Medien und war mit einem Urteil konfrontiert, wonach Beschimpfungen wie „Stück Scheiße“, „Drecks Fotze“ oder „Geisteskranke“ durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien. Glücklicherweise wurde das Urteil in höheren Instanzen teilweise aufgehoben.

Ein Porträtbild von Renate Künast.
Grünen-Politikerin Renate Künast erreichte im Juli 2019 mit einer Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss zu Beschimpfungen auf Facebook einen Teilerfolg.

© Soeren Stache/dpa

[Dorothee Beck ist promovierte Politikwissenschaftlerin und forscht u.a. zu politischer Partizipation und Geschlecht an der Universität Marburg.]

Diese Beispiele betreffen Frauen. Das ist kein Zufall. Sie sind am häufigsten mit geschlechtsbasierter Gewalt konfrontiert. Doch auch schwule Politiker, nicht-binäre, Trans- und Inter-Personen klagen über Belästigungen und Übergriffe. Geschlechtsbasierte Gewalt umfasst Gewaltformen, die mit dem biologischen oder sozial konstruierten Geschlecht oder der Sexualität zusammenhängen, sei es bei der betroffenen Person, sei es beim Täter oder der Täterin.

Gleichermaßen sexistisch und rassistisch attackiert

Der Begriff weitet den Blick über Sexismus im engeren Sinn hinaus. Denn auch bei anderen Formen von Gewalt, etwa bei rassistischen oder rechtsextremistischen Attacken, spielt Geschlecht eine Rolle.

Dies zeigen etwa die Drohungen eines NSU 2.0, die sich seit 2018 neben der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und die Satirikerin Idil Baydar auch gegen mehrere Politikerinnen richten. Sawsan Chebli (SPD), Berlins Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement, wird in sozialen Medien ebenfalls immer wieder mit gleichermaßen sexistischen wie rassistischen Angriffen attackiert.

Die intersektionalen Verknüpfungen, also das Zusammenwirken verschiedener Motivationen, sind offensichtlich. Gleichwohl wird Gewalt gegen Politiker*innen in öffentlichen Diskursen unterschiedlich behandelt, je nachdem, wie sie motiviert ist. Rassistische Bedrohungen und Übergriffe werden häufig als persönlicher Preis für Zivilcourage diskutiert und empört zurückgewiesen.

Der Sexismus hingegen, der solchen Angriffen ebenfalls innewohnt, wird eher selten thematisiert. Daran haben auch die Kampagnen #MeTooEP aus den Reihen des Europaparlaments (EP) und #NotInMyParliament von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats wenig geändert.

Das Ziel: Frauen von politischer Macht fernzuhalten

Das weltweite Ausmaß von geschlechtsbasierter Gewalt in der Politik ist unbekannt. Im ersten UN-Bericht zu diesem Thema von 2018 heißt es, die vorhandenen Daten belegten jedoch, dass sie weit verbreitet sei und systematisch ausgeübt werde. Übergriffe hätten das Ziel, Frauen von politischer Macht fernzuhalten.

Dem Kriminologen Paul Iganski zufolge wird geschlechtsbasierte Gewalt als „message crime“, also als Botschaftstat, betrachtet. Der Übergriff richtet sich nicht nur gegen die direkt betroffene Person, sondern gegen die gesamte Gruppe, die sie tatsächlich oder vermeintlich repräsentiert.

[Von Dorothee Beck erschien im Tagesspiegel auch dieser Text: Frauen in der Politik - Kümmern und sparen]

So plausibel das klingen mag, empirische Daten fehlen bisher. Lassen sich von Gewalt Betroffene tatsächlich in ihren politischen Partizipations- und Artikulationsmöglichkeiten beschneiden? Wenn ja, in welcher Hinsicht? Wie beeinflussen selbst erlebte und beobachtete Gewalt die Entscheidung für oder gegen ein Amt oder eine politische Karriere? Was wird überhaupt als Gewalt empfunden?

Sexismus als verbreitete Variante geschlechtsbasierter Gewalt gilt in Teilen der Gesellschaft nach wie vor als Kavaliersdelikt. Allerdings trägt auch die männlich dominierte Kultur politischer Institutionen zum Gewaltrisiko in politischen Institutionen bei. Das unabhängige US-amerikanische National Democratic Institute (NDI) lancierte 2016 die weltweite Kampagne #NotTheCost.

Suggeriert wird, Übergriffe seien der Preis für die Karriere

Der Hashtag weist darauf hin, dass Frauen suggeriert wird – und viele diese Suggestion verinnerlichen –, Übergriffe seien der Preis, den sie für eine politische Karriere zu zahlen hätten.

In der Tat passt die Stigmatisierung als Gewaltopfer nicht zu der durchsetzungsstarken, konfliktfähigen und emotional distanzierten politischen Persönlichkeit, die der Soziologe Max Weber 1919 beschrieb und die bis in unsere Tage wirksam ist. Der Vorwurf, die betroffene Politikerin sei an Übergriffen zumindest mitschuldig, nährt sich aus diesem Image. Die Ursache von Attacken wird nicht in der Geschlechterhierarchie und im Sexismus gesucht, sondern im (falschen) Verhalten der Politikerin.

Ein Blick ins Plenum des Deutschen Bundestages.
Geschlechtsbasierte Gewalt muss bei der zu geringen Repräsentanz von Frauen in der Politik als ein Faktor untersucht werden, fordert Dorothee Beck.

© imago images/Christian Spicker

Wagt es eine Politikerin, das übergriffige oder gewalttätige Verhalten von Parteikollegen öffentlich zu machen, muss sie sich auch noch des Vorwurfs der Nestbeschmutzung erwehren, wie die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends, und wird eventuell sogar mit dem vorzeitigen Ende der politischen Karriere abgestraft.

Bisher gelten sozioökonomische, institutionelle, politisch-kulturelle und mediale Faktoren als Ursachen für die nach wie vor zu geringe Repräsentanz von Frauen in politischen Institutionen. Vieles spricht dafür, dass diese Aspekte um geschlechtsbasierte Gewalt erweitert werden müssen.

Machthierarchien in der politischen Öffentlichkeit

Dies wirft eine grundlegende Frage an die liberale Demokratie auf, also an das Ideal, auf das die politischen Systeme vieler westlicher Gesellschaften Bezug nehmen. Liberale Demokratie beruht auf der Idee des herrschaftsfreien Diskurses von autonomen Individuen, die als Gleiche in politischen Öffentlichkeiten agieren.

Diese Fiktion macht geschlechtsbasierte Gewalt zu einem blinden Fleck. Denn Attacken und Übergriffe lassen sich im Rahmen behaupteter Herrschaftsfreiheit nicht analysieren. Doch geschlechtsbasierte Gewalt zeugt eben nicht von einem Diskursraum der Gleichen und Autonomen, sondern von multiplen, intersektionalen und vergeschlechtlichten Machthierarchien in der politischen Öffentlichkeit.

Wie lässt sich nun aber gleichberechtigte politische Partizipation und ein Diskurs auf Augenhöhe in einer politischen Öffentlichkeit denken und organisieren, die eben nicht herrschaftsfrei ist? Meiner Meinung nach kann geschlechtsbasierte Gewalt in politischen Öffentlichkeiten liberaler Demokratien nur dann analysiert und bekämpft werden, wenn die vermeintliche Herrschaftsfreiheit als grundlegende Prämisse fallen gelassen wird.

Ob das Ergebnis dann eine tatsächlich liberale, weil egalitäre Demokratie ist oder aber etwas anderes, bleibt eine offene Frage.

Dorothee Beck

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