zum Hauptinhalt
Galileo Galilei. Bild eines Malers aus dem 18. Jahrhundert.

© IMAGO

Spektakuläre Galileo-Fälschung: Tatort „Sternenbote“

Bericht über die Fälscherwerkstatt: Der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp und seine Mitstreiter sind einer Täuschung aufgesessen. Nun präsentieren sie erstmals ihre Analyse.

Er kann es immer noch nicht glauben. Kopfschüttelnd sitzt Horst Bredekamp vor dem gefälschten „Sidereus Nuncius“ („Sternenboten“) aus New York. Im Jahr 2007 hatte er diese Schrift von Galileo Galilei zu einem Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte erklärt. Am Freitagabend stellte der Kunsthistoriker nun in Berlin das Buch „A Galileo Forgery“ („Eine Galileo-Fälschung“) vor. Darin erklären er und sein Forscherteam, warum sie auf die Fälschung hereinfielen. Die Veranstaltung an der Humboldt-Universität platzt aus den Nähten und muss in den großen Kinohörsaal verlagert werden.

Bredekamp hockt auf dem Podium wie auf einer Büßerbank. Um ihn herum müht man sich, ihn aufzumuntern. „Irrtum gehört zum wissenschaftlichen Geschäft“, sagt Sven Fund, der Leiter des De-Gruyter-Verlags, wo der neue Band erschienen ist. Lob gebühre Forschern, „die den Fehler selbst korrigieren“.

Peter Frensch, HU-Vizepräsident für die Forschung, erzählt die Geschichte am Freitagabend aus seiner Sicht. Im Mai 2012 habe ihm ein „leicht entgeisterter“ Bredekamp mitgeteilt, dass ihm bei seiner Studie „Galileo, der Künstler“ ein Fehler unterlaufen sein könnte: Die Tuschezeichnungen in dem neu aufgetauchten Exemplar des „Sternenboten“ stammten vermutlich nicht von Galileis Hand. Bredekamp habe seinen Irrtum sofort öffentlich eingestehen wollen und vorgeschlagen, eine Pressemitteilung zu verschicken. Frensch habe ihm aber geraten, „eine Nacht drüber zu schlafen“, berichtete er. Die Sache sei ja schließlich brisant gewesen.

Passte dem Unipräsidium der Zeitpunkt für negatives Aufsehen vielleicht nicht? Schließlich stand die Entscheidung über den Exzellenzwettbewerb und somit über Bredekamps Cluster „Bild, Wissen, Gestaltung“ im Juni unmittelbar bevor. Frensch nennt einen anderen Grund, warum die Öffentlichkeit nicht informiert wurde. Bredekamp habe berichtet, bis auf ihn und den Archivar Paul Needham sei die Gruppe weiter von der Echtheit des Werks überzeugt. Darum schien es Frensch besser, die Sache noch nicht ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Die Gruppe einigte sich, den verdächtigen „Sternenboten“ neu zu untersuchen, bevor man von Fälschung sprach. Anderthalb Jahre vergingen. Als der „New Yorker“ die Fälschung im Dezember 2013 vorab publik machte, sah es so aus, als hätte die Gruppe das Ganze verschweigen wollen.

Im Kinosaal zeigt Bredekamp jetzt seinen „Dämon“. Mit bloßen Fingern blättert er durch den falschen „Sternenboten“. „Bisher dachte man, historische Bücher könne man nicht fälschen“, sagt er, es klingt halb verächtlich, halb fasziniert. Gefälscht sind auch nur die 80 Seiten des „Boten“, der große Rest des Buches, der „Discorso“ und weitere Werke Galileis, die sich anschließen und das Buch wie einen Sammelband aussehen lassen, sind echt. Die Mischung täuschte die Wissenschaftler auch beim Einband: Der ist alt, die Bindung ist neu.

Bredekamp kommt zu der Stelle, an der in den meisten der 83 erhaltenen „Sternenboten“-Exemplare die erste Radierung folgt. Hier weicht die Fälschung ab: Statt Radierungen sind Tuschezeichnung des Mondes eingefügt. Dies war der Grund, warum man Bredekamp, den Galileo-Kenner, überhaupt kontaktierte.

Bredekamp fand die Abweichung keineswegs verdächtig, im Gegenteil: Es existieren Originale, in denen Stellen frei gelassen wurden, damit später Radierungen eingefügt werden konnten. Dass der Fälscher eigene Zeichnungen eintrug, die auf der Rückseite „wunderbar bluten, wie sich das gehört, wenn Tusche jahrhundertelang eintrocknet“, macht den Fall so einzigartig. Bredekamp geht inzwischen von einer Gruppe von fünf bis sechs Fälschern aus, die, angeleitet vom italienischen Antiquar Marino Massimo De Caro, das Buch nicht einfach kopierten, sondern ein eigenes Werk schufen. Die Genialität des Zeichners irritiert Bredekamp weiterhin. Der Pinselstrich Galileis sei „kaum kopierbar“.

Indizien für eine Fälschung gab es derweil genug: Das Papierformat des falschen „Boten“ war zu groß, die Wasserzeichen schlampig, es wimmelte von Druckfehlern. Doch die Wissenschaftler dachten, vor ihnen läge eine frühe Korrekturfahne, gedruckt auf Papierresten. Als sie es dann besser wussten, brauchte Bredekamps Kollege, der Buchforscher Paul Needham von der Princeton University, „keine 20 Minuten“, um die Fälschung festzustellen. Plötzlich fiel auf, dass das „P“ im Wort „Privilegio“ denselben Fleck hatte wie eine Kopie von 1964, die dem Fälscher wohl als Vorlage für seine Druckplatte diente. Dazu kamen ein verdrehter Mond, ein falscher Stempel und Druckerschwärze, die bei genauerem Hinsehen kein Zufall war.

„Die Echtheit eines Werks ist materialwissenschaftlich nicht zu beweisen, wenn man es nicht zerstören will“, sagt Oliver Hahn von der Bundesanstalt für Materialforschung. „Hat der Fälscher historische Materialien benutzt, bringen selbst solche Proben nichts.“ Bei der ersten Prüfung war es Hahn strikt verboten, das Buch zu beschädigen. Jetzt fanden die Wissenschaftler im Papier Baumwolle, die erst seit dem 20. Jahrhundert verwendet wird.

Bredekamp beschäftigt vor allem das Motiv des Fälschers. Er beschreibt ihn als einen listigen Spieler, getrieben von der Frage: „Wie weit kann ich gehen, bis man mich entdeckt?“ Deshalb hält Bredekamp den neue Band nicht für ungefährlich: „Unser Buch ist auch ein Handbuch für Fälscher, nach dem Motto: Macht diese Fehler nicht wieder.“ Sarah Schaschek

Horst Bredekamp et al. (Hrsg.): „A Galileo Forgery. Unmasking the New York Sidereus Nuncius.“ (Galileo’s O, Vol. III) . Berlin: De Gruyter 2014.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false