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Forschen ohne Schranken. Die Meinungen der Verlage und der Hochschulen über die Bedingungen gehen weit auseinander.

© Nicolas Armer/ picture alliance / dpa

Streit um das Urheberrecht: Die individuelle Vergütung der Autoren taugt nicht für Hochschulen

Bei der anstehenden Urheberrechtsreform ist die Vergütung eine heilige Kuh. Die Koalition sollte sie vom Eis holen. Ein Gastbeitrag

Vergütung ist sozusagen eine der Heiligen Kühe des Urheberrechts, die vom Eis zu bekommen äußerst schwierig ist. Das will ja auch eigentlich niemand. Vergütung soll sein. Die Frage, ob für die (genehmigungsfreie) Nutzung von urheberrechtsgeschützten Materialien vergütet werden soll, wird also nach herrschender Meinung eindeutig mit „ja“ beantwortet. Die Frage, wie vergütet werden soll, ist schon schwieriger. Da ist Streit vorprogrammiert.

Und in der Tat ist die Regelung, wie zu vergüten, aktuell offenbar eines der zentralen Knackpunkte bei den Verhandlungen der Parteien um den Referentenentwurf des BMJV, durch den ein neues Wissenschaftsurheberrecht Gesetz werden soll. Bevor dieser Entwurf in die parlamentarische Beratung gebracht wird, müssen sich die beteiligten Ministerien, aber vor allem die beiden Koalitionspartner einigen.

Kritisch sind zwischen SPD und CDU/CSU derzeit vor allem zwei Fragen: Zum einen, ob rechtsverbindliche Schrankenregelungen Priorität gegenüber den Lizenzangeboten der Verlage haben sollen (oder umgekehrt) und zum andern, ob Vergütungsansprüche durch die schrankenbedingten  Nutzungen pauschal oder individuell erhoben und abgerechnet werden sollen. Es sieht so aus, dass für die SPD der Vorrang der rechtlichen Regelung gegenüber marktwirtschaftlichen Lizenzregelungen ein absolutes Muss ist. So sieht es auch der Referentenentwurf vor.  Die Politik will wieder im Urheberrecht das Heft des Handelns über das Gesetz zurückgewinnen, nachdem in den letzten Jahr in erster Linie die Rechtsprechung (vor allem durch den Bundesgerichtshof) Bewegung in das Urheberrecht gebracht hat. Die CDU tendiert eher für die Marktlösung über Lizenzangebote der Verlage. Bei der Vergütung gibt es den Konflikt zwischen  Pauschal- und Individualvergütung. Die SPD tendiert zu der im Referentenentwurf vorgesehenen Pauschalvergütung. Die SPD meint aber wohl der CDU bei der Vergütungsfrage der CDU entgegenkommen zu müssen. Diese besteht, wohl nicht zuletzt auf Grund intensiven Drängens der Verlage, auf einer Individualvergütung.

Warum mischen sich die Verlage überhaupt bei der Vergütung ein?

Zu verstehen ist das allerdings kaum. Derzeit dürfen die Verlage (nach entsprechenden Gerichtsentscheidungen) nicht automatisch an den Ausschüttungen der VG-Wort beteiligt werden. Fraglich also, warum die Verlage sich überhaupt bei der Vergütung einmischen. Ihr Hauptgeschäft ist sowieso der Verkauf beziehungsweise die Lizenzierung der von ihnen verlegten Werke. Dafür bringt die öffentliche Hand jedes Jahr ca. eine Milliarde Euro auf. Die Vergütung nach den direkten Nutzungen wie zum Beispiel durch Schrankenerlaubnisse  hat dabei nur einen sehr geringen Anteil (geschätzt knapp drei Prozent). Zudem ist sehr deutlich in den letzten Jahren eine Verschiebung bei der Nutzung von Materialien im Zuständigkeitsbereich der VG-Wort und der Nutzung von Werken/Daten außerhalb des VG-Wort-Bereichs festzustellen: War das Verhältnis 2007 noch 75 Prozent zu 25 Prozent zugunsten des VG-Wort-Bereichs, so machte 2015 genau umgekehrt die Nutzung von Materialien außerhalb der VG-Wort-Zuständigkeit 78 Prozent aus.

Mehr als fraglich also, ob die öffentliche Hand weiter, wie bislang üblich, an die VG Wort  2,4 Millionen Euro pro Jahr pauschal zahlen soll. Wird das Beharren auf Individualvergütung nicht ein Eigentor werden, wenn, wie es zu erwarten ist, die VG-Wort-Einnahmen bei einer Individualerhebung und damit die Ausschüttungsbeträge drastisch sinken werden? Was passiert jetzt in der Politik? Gibt es einen Kuhhandel zwischen den Koalitionsparteien: Gibst du mir den Vorrang der rechtlichen Regelung, so gebe ich dir die Individualerhebung  und –vergütung (obgleich gegen Letzteres eigentlich alles spricht)? Aber ist der Kuhhandel nötig? Sowohl der europäische Gerichtshof (EuGH im September 2014) als auch im Gefolge der Bundesgerichtshof haben den Vorrang einer Verlagslizenz abgelehnt. Also sollte sich die SPD hier zurücklehnen können. Der Vorrang der rechtlichen Regelung muss nicht mehr mit Zugeständnissen der Vergütung erkauft werden.

Das Justizministerium hat erklärt, den Hochschulen sei die Individualvergütung nicht zuzumuten

Welche Zugeständnisse wären denn überhaupt möglich? Die SPD könnte hier einfach Realpolitik betreiben. Eine Individualvergütung ist an den Hochschulen einfach nicht durchsetzbar. Das haben die Erfahrungen im letzten Jahr gezeigt, als die Zumutung eines zwischen VG-Wort und Kultusministerkonferenz (KMK) vereinbarten Rahmenvertrags, der die Individualvergütung vorsieht, „zu einem Aufschrei unter den Hochschulen“ geführt hatte (vgl. den Artikel „Studierende zurück in den Copyshop?“ von Tilman Warnecke im Tagesspiegel). Das Justizministerium hat in einer aktuellen Erläuterung zum Referentenentwurf  vom 21. März darauf hingewiesen, dass die Transaktionskosten (also nicht alleine die reinen monetären Kosten) für die Individualvergütung einfach zu hoch und den Hochschulen nicht zumutbar seien.

Der jetzt im Referentenentwurf vorgesehene § 60a, der die Lehre im digitalen Umfeld begünstigen soll, wird leerlaufen, die Schranke also nicht genutzt werden, wenn auf Individualvergütung bestanden wird. Den Lehrenden ist es nicht zuzumuten. Sie werden auf digitale Semesterapparate verzichten, und die Studierenden werden ein Problem haben und, wie gesagt, in den Copyshop gehen müssen oder sich die Materalien über kostenlose, offene, kaum legale Internetdienste besorgen. Die Bibliotheken bzw. die E-Learning-Zentren der Hochschulen, die vielleicht für die Erhebungen in Frage kommen könnten, haben weder die Ressourcen dafür noch die technische Kompetenz, um so etwas mit noch vertretbarem Aufwand durchführen zu können.

Beide Berge sind einfach zu hoch – die Individualabrechnung bei den Schrankennutzern mit dem Bürokratieberg und die Individualabrechnung der VG-Wort mit den betroffenen Urhebern mit dem anderen Verteilungsberg. Es ist mehr als fraglich, ob beide Prozesse so effizient umgesetzt werden können, dass am Ende die verschobenen Summen größer sind als die Transaktionskosten für Erhebung und Abrechnung. Die VG-Wort, so Robert Staats, der VG-Wort Chef, auf der Urheberrechtstagung der TIB-Hannover und der Universität Hannover vom 26. Januar 2017, tendiert daher offenbar derzeit dazu, zwar auf einer möglichst vereinfachten individuellen Erhebung zu bestehen, aber die Ausschüttung nicht urheber-spezifisch vorzunehmen.

Eine repräsentative Stichprobe wird als Alternative diskutiert

Also pure Individualerhebung und -vergütung mit den jetzt verfügbaren Verfahren wird nicht gehen. Am liebsten wäre der SPD  wohl eine Lösung, welche gleichermaßen auf Pauschal- und Invidualerhebung und –abrechnung beruht und die auch für die CDU akzeptabel wäre. Aber wie könnte das gehen? Das ist tatsächlich die Millionen-Euro-Frage. Das Justizministerium hat als Alternative zur Pauschalierung eine repräsentative Stichprobe der Nutzung ins Spiel gebracht. Das könnte eventuell so gehen, dass einzelne unterschiedliche Universitäten oder Fachbereiche (zwischen zehn und 30) ausgewählt werden, bei denen die Nutzung von aktuell verfügbaren Werken im Wege der Einzelerfassung "protokolliert" wird. Das Problem dabei ist freilich, dass hier einigen Dozenten die Bürde und Verantwortung zugemutet wird. Aber das sollte lösbar sein. Es würde auch reichen, dass diese Erhebung nur etwa alle vier Jahre (also eine Studentengeneration) durchgeführt würde. Die erhobenen Daten, vor allem die zu intensiv genutzten Werken, könnten hochgerechnet werden, so dass bei einer stärkeren Nutzung der Betrag für die Pauschalierung angehoben bzw. jeweils angepasst werden könnte.  Das hätte zur Folge, dass die Autoren im Durchschnitt etwas mehr von der Ausschüttung durch die VG-Wort profitieren könnten.

Aber ob das das Gerechtigkeitsproblem löst? Verlage plädieren für die komplette Individualerhebung für jedes Werk, da dann der Rechtsinhaber, dessen Werk viel genutzt wird, mehr bekommt als die Autoren mit geringerer Werknutzung. Erreicht werden könnte das eventuell auch dadurch, dass für die normale Nutzung die Pauschalvergütung zum Tragen kommt und nur bei Werken mit extrem hoher Nutzung (das werden vermutlich wenige Prozent der Gesamtnutzung sein) eine individuelle Vergütung zugestanden wird. Das setzt allerdings wieder voraus, dass die extrem hohe Nutzung tatsächlich und nach Möglichkeit automatisch ermittelt werden kann.

Gerade in kleineren Fächern würden Lehrbücher verschwinden

Aber kann das wirklich gewollt sein und ist das gerecht? Natürlich ist die Ausschüttung nach dem Gießkannenprinzip nicht ideal. Aber ist es gerecht, so fragt zum Beispiel der Urheberrechtsprofessor an der Uni Hannover Nikolaus Forgó, den Autor eines Standardlehrbuchs der Sinologie mit vielleicht 200 Studierenden 100 Mal schlechter zu bezahlen als den Autor eines Standardlehrbuchs der Betriebswirtschaftslehre, nur weil letzterer einen vielleicht 100 Mal größeren Markt hat? Zu Ende gedacht, führt das zu einem Verschwinden von Lehrbüchern gerade in den kleinen Fächern, was ja angeblich durch die Individualabrechnung verhindert werden soll. Gerade hier können Verwertungsgesellschaften ausgleichend wirken. Zudem würde die Individualabrechnung mit der überproportionalen Bezahlung weniger Lehrbuchautoren gerade in diesen Fächern die Entstehung alternativer Lehr- und Lernformate vermutlich behindern, weil die Verlage (und die wenigen Autoren) keinerlei Anreiz haben, sich hier anzupassen/zu verändern. Das wirkt laut Forgó strukturkonservativ.

Was also nun tun? In politischer Hinsicht sollte die SPD der CDU/CSU deutlich machen können, dass die Individualerhebung und –vergütung nach dem derzeitigen technischen Stand keine Chance bei den Hochschulen hat und sogar vermutlich zu einer Verschlechterung der Ausschüttungssituation durch die VG-Wort führt. Zudem kann darauf hingewiesen werden, dass in absehbarer Zukunft die Verlage ohnehin nicht  an den Ausschüttungen beteiligt werden (oder nur sehr marginal, wenn Autoren Anteile an die Verlage abtreten).

Der Referentenentwurf sollte zum Gesetz werden

Für den Referentenentwurf ist die Vorgabe auf repräsentative Stichproben zur Erhebung der Daten ein Hinweis auf die einzuschlagende Richtung. Vielleicht wäre ein Moratorium von vielleicht drei Jahren mit Pauschalvergütung im Gesetz vorzusehen. Diese Frist könnte genutzt werden, um festzustellen, ob technisch vollautomatische Verfahren entwickelt werden und zum Einsatz kommen können. Die Daten selber sind ja im Prinzip elektronisch auf verschiedenen Ebenen vorhanden. Natürlich sollten die Hochschulen bzw. ihre Vertretungen daran beteiligt werden. Die Entwicklung sollte aber nicht auf die Hochschulen abgewälzt werden. Der Bürokratieberg darf nicht für die Hochschulen zu einem Softwareberg werden.

Fazit: Es macht Sinn, dem Referentenentwurf jetzt, so wie er ist, grünes Licht zu geben. Er bietet keine umfassende, zukunftssichere Lösung wie eine Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, wie sie eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehen war, aber der Entwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung – auch durch die Priorität zugunsten der rechtlichen Schrankenregelung und der Empfehlung für Pauschalierung bei der Vergütungsfrage. Das sollen die Koalitionsparteien akzeptieren können und im Bundestag sehr bald ein Gesetz daraus machen.

Rainer Kuhlen ist Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz und Sprecher des Aktionsbündnisses "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft".

Rainer Kuhlen

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