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Ein massives Insektensterben haben Forscher in deutschen Naturschutzgebieten entdeckt.

© Horst Ossinger/dpa

Studie: Dramatischer Insektenschwund in Deutschland

Die Zahl der Insekten in deutschen Naturschutzgebieten ist seit 1989 um mehr als drei Viertel gesunken. Gründe vermuten die Forscher in der Landwirtschaft.

Sie surren durch die Luft, die kleinen Flügel schlagen schnell. Manche stechen, manche beißen, manche nerven, wenn man im Sommer beim Essen draußen sitzt, andere sind ganz harmlos, ein paar sogar wunderschön. Fliegende Insekten sind ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems. Umso besorgniserregender sind die Erkenntnisse einer neuen Studie, die im Fachblatt „Plos One“ veröffentlicht wurde.

Forscher deutscher, holländischer und britischer Hochschulen haben über 27 Jahre hinweg die Insektenpopulation in 63 Naturschutzgebieten in Deutschland untersucht. Von 1989 bis 2016 verringerte sich die in Kilogramm gemessene „Biomasse“ der fliegenden Insekten um 76 Prozent.

Etwa 80 Prozent aller wilden Pflanzen seien von Bestäubung durch Insekten abhängig, 60 Prozent aller Vögel seien auf Insekten als Nahrungsmittel angewiesen, heißt es in der Studie. Der Nutzen für die Natur sei immens. So würden nach einer amerikanischen Hochrechnung die Insekten dem Ökosystem der USA Dienste im Wert von 57 Milliarden Dollar erweisen. Die Erhaltung der Artenvielfalt sollte daher Priorität haben, fordern die Forscher.

Um die Diversität steht es allerdings schlecht, wie die Studie zeigt. Von 1989 bis 2016 stellten Wissenschaftler in Naturschutzgebieten in Deutschland zeltartige Insektenfallen, Malaise-Fallen genannt, auf und untersuchten regelmäßig die ins Netz gegangenen fliegenden Insekten.

Das sind Zelte, die nach drei Seiten offen sind, ausgestattet mit einer Alkoholfalle. Die Tiere fliegen in die Zelte hinein und verenden. Die Proben werden gewogen, so erhält man die Biomasse der Fluginsekte. Die, wie die Forscher feststellten, um mehr als drei Viertel seit Beginn der Untersuchungen gesunken ist.

Klima liefert keine Erklärung für Insektensterben

Da nicht alle Landstriche gleich insektenfreundlich sind, verteilten sie die Netze gezielt an Orten mit unterschiedlichen Eigenschaften, von nährstoffarmen Heidelandschaften bis zu nährstoffreichem Grasland. In den Jahren der Untersuchung kamen so mehr als 53 Kilogramm an Insekten zusammen, das sind Millionen einzelner Tiere. Die Forscher behielten zudem Faktoren im Auge, die die Insektenpopulation beeinflussen könnten: das Wetter, wie das Umland genutzt wird und die Natur rund um die Falle.

Beim Klima konzentrierten sie sich mittels Daten aus umliegenden Wetterstationen auf Temperatur, Niederschlag und Windgeschwindigkeit. Sie machten außerdem Luftaufnahmen in einem Umkreis von 200 Meter rund um die Insektenfallen, um zu erkunden, ob sich dort Wald, Wasser oder Ackerland befindet.

Zudem untersuchten die Wissenschaftler die Pflanzenvielfalt, Lichtverhältnisse, Stickstoffkonzentration und Feuchtigkeit rund um die Messstationen.

Allerdings konnte keiner dieser Faktoren die massive Abnahme der Population geflügelter Insekten erklären. Im Gegenteil, manche Veränderungen bei diesen Indikatoren über die Jahre hätten sich positiv auswirken sollen, wie etwa leicht gestiegene Temperaturen.

Als mögliche Ursache für den starken Rückgang bei der Population nennen die Forscher intensive Landwirtschaft und den damit einhergehenden Einsatz von Pestiziden und Dünger. Daten dazu sind jedoch nicht in die Analyse eingeflossen.

Deutscher Bauernbund warnt vor Verurteilung der Landwirtschaft

„Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, zum Beispiel mit Agrochemikalien, ist eine plausible Ursache für den dramatischen Rückgang der Insektenbiomasse“, sagte Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie an der Georg-August-Universität in Göttingen. Dazu gehöre auch eine immer monotoner werdende Landschaft. „Große Felder, nur noch wenige schmale Feldränder, kaum Hecken und Gehölze sowie nur noch vereinzelte Brachen und kaum mageres Grünland führen dazu, dass außerhalb der Schutzgebiete kaum noch Nahrungs- und Nistressourcen zur Verfügung stehen“, erklärte Tscharntke. Damit komme es zu einer Isolation der Schutzgebiete.

Die Studie beweise einen „drastischen Rückgang der Fluginsekten in Naturschutzgebieten“, sagte Alexandra-Maria Klein, Ökologin an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg. „Welche Insektengruppen und Arten betroffen sind, ob es sich um bedrohte Arten handelt und ob es auch Arten gibt, die zugenommen haben, sollte nun in weiteren Schritten untersucht werden.“

Auch die Autoren der Studie mahnen zu weiterer Forschung auf diesem Gebiet an. Die Gründe für diesen Rückgang an geflügelten Insekten und die Folgen für das Ökosystem müssten „dringend“ untersucht werden.

Der deutsche Bauernverband warnte hingegen vor einer übereilten Verurteilung der Landwirtschaft. „In Anbetracht der Tatsache, dass die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten stattfand, verbieten sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft“, sagte der Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Die neue Studie bestätigt und betont ausdrücklich, dass es noch dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gibt.“

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